Die Geschichte der chinesischen Siegel beginnt mit dem chinesischen Schriftzeichen Yin-印. Yin-印 in seiner alten Schreibweise zeigt eine Hand, die etwas überreicht, oder eine Hand, die etwas nach unten drückt. In der Orakelschrift bedeutet das Zeichen „Vertrauen“ 印信 und „siegeln“ oder „drucken“. Die genaue Darstellung des Zeichens deutet einerseits auf einen Vertrauensgegenstand, der vom König überreicht wurde, andererseits auf das Drücken mit eben diesem Gegenstand, was das Vertrauen bestätigen soll.
Zu Beginn finden wir das Yin-印 überwiegend aus Bronze. Nur die Adeligen, engen Vertrauten und hohen Beamten des Königs bekamen einen solchen „Gegenstand des Vertrauens“ verliehen. Das Yin-印 gleicht somit einem Amtssiegel; eine private Nutzung gibt es zu dieser Zeit noch nicht. Dementsprechend war auch eine Rückgabe erforderlich, wenn jemand seinen Rang verlor oder sein Amt nicht mehr bekleidete. Auch andere edle Materialien wie z.B. Jade, Gold, Silber, Horn, Elfenbein, Hartholz und verschiedene Steinarten wurden nach und nach für den Zweck entdeckt und auch entsprechend verwendet. Aufgrund seiner Verwendungsweise gilt das Yin-印 zugleich als Vorläufer des Druckereiwesens, welches nach wie vor als eine der „Vier Großen Erfindungen“ Chinas bezeichnet wird.
Arten von Siegeln
Kaiserliche Siegel werden Xi 璽 genannt. Unter diesen Siegeln gab es der Erzählung nach ein Siegel aus Lantian-Jade 藍田玉, welches als „Siegel des Besitztums des Reichs“ 傳國璽 galt. Der Kanzler vom Ersten Kaiser Chinas Lisi lies in seiner Handschrift eingravieren: 受命于天,既寿永昌. Die Zeichen bedeuten: Die Bestimmung des Himmels und der Glanz der Ewigkeit. Die symbolische Bedeutung war immens: Wer auch immer das Xi 璽 bekommt, ist rechtmäßiger Herrscher des Landes. Von Kaiser zu Kaiser, von Dynastie zu Dynastie wurde das Xi璽 bis zum 11. Jh. nach Christus, also bis in die Song-Dynastie hinein, weitergereicht – dann ist es auf rätselhafte Weise verschwunden. Gerade in dieser Zeit machten Kultur und Kunst eine große Entwicklung dank der Vorliebe des Kaisers Hui, der sie sehr gefördert hat. Eine ganze Stadt ist auf betreiben des Kaisers Hui entstanden. In dieser Stadt – Huizhou (Präfektur Hui) wurden – und werden bis heute – Pinsel und Tusche hergestellt. Bedauerlicherweise hat er später sein Reich an die Mongolen verloren.
Neben dem kaiserlichen Siegel entwickelten sich weitere Arten von Siegeln. Die Siegel hoher Würdenträger wurden nach wie vor als Yin-印 bezeichnet. Beamte der niederen Ränge bekamen Zhang 章. Die Faustregel besagt: Je größer das Yin 印, desto höher der Rang. Diese Regel gilt bis heute, bzw. sie wird auch heute noch stillschweigend akzeptiert.
Qin- und Han-Stil
Qin- und Han-Stil – d.h. die in der Qin- und Han-Dynastie (221 v.Chr. – 220 n. Chr.) verbreitete Art und Weise der Siegelgestaltung – markieren eine wichtige Entwicklungsphase für die Kunst der Siegelschnitzerei. Die Experten sind der Auffassung, dass die Kunst der Zhuanke, also des Siegelschnitzens, letztlich auf diese Phase zurückzuführen ist.
In der Qin- und Han-Zeit entwickelten sich zwei Arten der Gravur
- 白文 – weißes Zeichen auf roter Fläche – Yin-Stil
- 朱文 – rotes Zeichen auf weißer Fläche – Yang-Stil
und zwei Arten der Darstellung
- 鈕 – Knopf – das fertige Siegel sieht aus wie ein Knopf (kompakte Darstellung)
- 繆 – Aufwickeln – Die Zeichen sind filigran und verschnürt (verspielte Darstellung)
Zhuanke – Chinesisches Siegelschnitzen
In der Zeit von 220 v.Chr. bis 100 n. Chr. verwendete man hauptsächlich die Zhuan-Schrift. Die daraus entstandene Zhuanke ist charakterisiert durch die Anwendung dieser archaischen Schrift.
Das Zeichen „Zhuanke“ bedeutet „Siegelschrift-Gravieren“; im allgemeinen westlichen Sprachgebrauch wird es schlicht als „chinesisches Siegel“ oder „chinesischer Stempel“ übersetzt. Zhuanke ist ein Verfahren der uralten Druckkunst (Prägedruck), die als erste Drucktechnik bezeichnet wird.
„Zhuanke“ setzt sich aus 2 chinesischen Schriftzeichen篆刻zusammen: Zhuan 篆 steht für Siegelschrift. Siegelschrift ist eine archaische Schriftart, die vor 2000 Jahren im Umlauf war. Diese Schrift ist vollkommen und hat dazu beigetragen, dass die chinesische Kalligraphie, das „Schön-Schreiben“, daraus entwickelt wurde. Heute wird sie nicht mehr im täglichen Leben verwendet. Man benutzt sie lediglich bei Kalligraphien, beim Siegelschnitzen (Zhuanke) oder anderen künstlerischen Gestaltungsarbeiten. Aus dieser Verwendung folgt, dass die leichte Lesbarkeit nicht im Vordergrund steht – der Hauptaugenmerk bei der Schrift- und Siegelgestaltung liegt hier auf der Schaffung eines ästhetisch ansprechenden Kunstobjektes.
Ke刻 steht für Gravieren. Das Zeichen deutet auf die Handarbeit mit einem Messer hin. Das geeignete Material für die Gravur ist eine besondere Art Stein (Pyrophyllit). Hiermit kann der historische Steindruck, den wir aus der chinesischen Antike kennen, am besten nachgeahmt werden. – Schließlich sind erste Inschriften an Felswänden oder auf Steintafeln die Urquelle dieser Art von Kalligraphie.
Mit der gesellschaftlichen Entwicklung wuchs das Interesse an Zhuanke, wobei vorwiegend diese Steinart verwendet wurde. Ab der Song – Dynastie, etwa im 11. Jh., wird das Yin-印 immer beliebter unter Literaten und Poeten: Sie drücken ihre 私印 – „privaten Siegel“ – auf ihre Werke, wie z. B. zur Vollendung eines Gemäldes, einer Kalligraphie oder ähnlich hochgeschätzter Kunstwerke, um sie zu signieren. Die steigende Nachfrage führte zur Entwicklung der besonderen Kunst des Siegelschnitzers. In der Folge verbreitete sich der Siegelgebrauch über alle Volksschichten, bis solch ein Siegel ein wichtiger Gegenstand des Alltags geworden war. – Das Siegel ist nicht mehr wegzudenken; zwischenzeitlich besaßen viele ein Namenssiegel, um die eigene Identität zu bestätigen.
Zhuanke als Bestandteil der chinesischen Kalligraphie
Zhuanke ist eine einzigartige Kunst. Sie verbindet „Messertechnik“刀功 mit „Kalligraphischer Technik“筆法. Als Kalligraphie zählt eine besondere Ausführung der Schrift, deren maßgebliche Ausführung in Originalsteindrucken dargestellt ist, insbesondere deswegen, weil diese Art Schrift zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten war. – Mit der Erfindung des Papiers erlebte die Kalligraphie mit Pinsel und Tusche eine rasche Entwicklung und damit änderten sich auch die Schriftarten. Veränderungen wurden meistens zu Gunsten der Pinselführung – die freieren Handbewegungen aufnehmend – vorgenommen.
Im Gegensatz zur entwickelten Kalligraphie steht beim Siegelschnitzen die Gestaltung der Antikschrift im Vordergrund, die schon aufgrund des Arbeitsvorgangs des Gravierens ein ganz anderes Bild hervorbringt als die Arbeit mit dem Pinsel auf Papier. Der Einmaligkeit ihres Charakters verdankt die Kunst des Siegelschnitzens ihren Platz unter den Künsten und ihre Daseinsberechtigung neben der „moderneren“ Kalligraphie. Die künstlerischen Gedanken und Vorstellungen, die Übertragung der künstlerischen Ideen finden im Abdruck des Stempels ihren Ausdruck. Der Schaffensprozess des Künstlers kann letztlich nur mit den technischen Möglichkeiten des Drucks realisiert werden – er endet mit der Produktion eines Abdruckes. In der chinesischen Malerei und Kalligraphie ist dieser Abdruck immer rot.
Wang Ning arbeitet unverändert nach alter Tradition und Handwerkstechnik. Jedes Kunstwerk ist ein Original und Unikat.
Auftragsarbeiten werden individuell besprochen und angefertigt.
Ein Beispiel: Kang – die Gesundheit – in Siegelschrift
Die Vielfalt des Siegelinhaltes – vom eigenen Namen über persönliche Wahlsprüche bis hin zu rätselhaften Wortspielen
Ein Siegel ist zum Signieren da. – „Mit was signiert man?“, wird oft gefragt. Die Antwort ist immer die gleiche: Mit dem Namen. Unter dem Siegelnamen versteht man die verschiedensten Arten von Namen: Vornamen, Nachnamen, selbst erfundene Namen, Künstlernamen,… Auch für einen selbst bedeutsame Wörter oder Sprüche, sei es als Motto oder als Weisheit, können Teil eines Siegels sein. Es ist alles möglich – die Vielfalt ist so groß, dass man ein Stück seines Individuums, das in China so schwer zu finden ist, darin verstecken konnte, weil man sich selbst durch die fast unleserlichen alten Schriftzeichen geborgen oder verborgen fühlen konnte.
Wang Ning’s Herangehensweise
Ein persönliches Siegel als vollständig von Hand hergestellter Kunstgegenstand ist etwas besonderes und Ausdruck einer langen Tradition.
Der Abdruck dient einerseits als Signatur für wichtige Dokumente und andererseits zur Bestätigung eines vollendeten Kunstwerks. Überall in der chinesischen Malerei und Kalligraphie sind die roten Abdrücke zu entdecken. Ob es einem gelingt, ein ausdrucksfähiges Siegel herzustellen, fängt bereits bei der Wortwahl an.
Oft steht der Name des Besitzers in seiner lautmalerischen oder sinngemäßen Übersetzung am Anfang des Prozesses. Wang Ning arbeitet fast ausschließlich mit alten chinesischen Schriftzeichen. Die Interpretation chinesischer Wörter bringt durch den Bezug auf ihr chinesisches Innenleben oft überraschend einen anderen Sinn zum Vorschein, als es uns die üblicherweise verwendeten Entsprechungen und Übersetzungen im Abendland nahe legen.
Beim Entwurf eines Siegels ist eine Betrachtung von beiden Seiten, ein Gedankenaustausch zwischen den Kulturen gefragt. Der Prozess die richtigen Zeichen zu finden ist somit keine trockene Übersetzung, sondern gleicht einer Ausgrabung, einer Archäologie des kulturellen Erbes, welches uns die noch heute verwendete Zeichenschrift offenbaren kann.
In der Symbiose von Kunst, Wort und Sinn verschmelzen die alten Weisheiten dabei zu einem einzigartigen, ganzheitlichen Werk. Die Schönheit und der verborgene Sinn erschließen sich dem Betrachter allmählich.
1. Buchumschläge von den speziellen Büchern über Zhuanke. In diesen Büchern sind die zahlreichen Ausführungen der geschnitzten Schriftzeichen auf genommen. Es sind Lexika und die Sammelarbeit einzelner Künstler.
2. Innenseite von den Büchern über Zhuanke. Die alte Schrift ist heutzutage nicht mehr leserlich.
3. Sammelbänder meiner eigenen Arbeit – beschrieben und dokumentiert
4. Innenseite der „großen Lexikon der Kalligraphie“. Darin wird einzelnes Schriftzeichen in verschiedenen Schreibstilen gesammelt. Das kleinste Teil dieser Sammlung geht es um diese archaische Schrift, die durch Graviertechnik entstanden ist.
5. Fotos von mir in Aktion
6. Eine fertige Arbeit, die in meinem Buch aufgenommen wird
7. Entwurf für einen Buchumschlag
8. Kalligraphie mit Pinsel und Zhuanke
Video „Zhuanke 篆刻 – das Chinesische Siegelschnitzen“
Autor: Wang Ning
Fotos: Wang Ning und Nils Klug