Über die spirituelle Komponente des Qigong
Qigong ist eine alte chinesische Kunst, in der Körperbewegungen, Atmung und mentale Achtsamkeit gleichsam gefordert und gefördert werden. Auch wenn die gesundheitlichen Wirkungen immer wieder hervorgehoben werden, ermöglicht Qigong noch andere Effekte, die über die reine Körperlichkeit hinausreichen und das Spirituelle eines Menschen erreichen.
Wohl die meisten Menschen, die sich mit Qigong befassen, werden dies tun, weil sie auf der Suche nach einem Ausgleich zu ihrem Alltag sind oder weil sie etwas für ihre Gesundheit tun wollen. In der Regel stehen die physischen und psychischen Wirkungen des Qigong im Vordergrund. Und zu Recht! Durch Qigong ist es möglich, die innere Kraft zu entwickeln, Blockaden in Körper und Geist aufzulösen, zu entspannen und gezielt Symptome von Krankheiten zu lindern. Doch über alle diese Wirkungen hinaus hat Qigong noch etwas zu bieten, das in vielen Fitnessprogrammen überhaupt nicht vorkommt und die Ganzheitlichkeit des Qigong ausmacht, nämlich die Kultivierung der Entwicklung im Sinne des Mensch-Seins. Hier wird die Grenze von physischen und psychischen Fähigkeiten und Fertigkeiten überschritten und ein Gebiet betreten, das durchaus als transzendent beschrieben werden kann. Natürlich muss ein Qigong-Übender sich nicht diesem Aspekt zuwenden. Wer Qigong lernen möchte, um nach der Arbeit besser zu entspannen, der kann es genau aus diesem Grund üben. Wer aber über Körper und Geist hinaus will, der kann mit Qigong einen Zugang zu dieser eher verborgenen Seite der Wirklichkeit öffnen.
Qigong im Kontext des Taoismus
Qigong im Kontext des Taoismus
Qigong stammt aus China und wurde demzufolge von verschiedenen philosophischen, spirituellen und religiösen Strömungen aus Asien beeinflusst. Den größten Einfluss dürfte dabei der Taoismus ausgeübt haben, auch wenn es schwierig ist, von dem Taoismus zu sprechen, gibt es doch viele verschiedene Ausprägungen mit teils völlig verschiedenen Inhalten. Im Qigong lassen sich Ansätze finden, die gegenwärtig gemeinhin als taoistisch beschrieben werden. Dazu gehören die Lehre der Polarität von Yin und Yang, die 5-Elemente-Lehre, das Konzept der acht Trigramme, die Beschreibung und Erklärung des Menschen und der Welt mithilfe taoistischer Grundansichten.
Weil in der taoistischen Ethik dem Wu Wei, dem Handeln durch Nicht-Handeln, eine zentrale Rolle zukommt, spielt diese Idee auch im Qigong-Training eine tragende Rolle. Das Handeln durch Nicht-Handeln ist der Ausdruck einer tiefen Gelassenheit und Ruhe, bei der es nicht mehr nötig ist, etwas erreichen oder verändern zu wollen. Die Veränderungen geschehen so oder so und der Mensch, der Wu Wei lebt, gibt sich den Veränderungen in einer passiven Weise hin. Doch um diesen Zustand zu erreichen, bedarf es einer tieferen Einsicht in die Zusammenhänge des Kosmos. Und hier beginnt die spirituelle Komponente des Qigong.
Qigong und Spiritualität
Wer regelmäßig Qigong übt und sich mit der taoistischen Weltanschauung beschäftigt, wird schnell bemerken, dass das Weltbild holistisch ist und der Mensch als Teil des Ganzen angesehen wird. Weil er mit allem, was ist zu jeder Zeit verbunden ist, wird kein Ziel benötigt, das erreicht werden müsste. Im Taoismus gilt es, den eigenen Weg (Tao) zu gehen. Und auch hier bedarf es keiner anstrengenden Gedanken oder Rituale, um diesen Weg zu erreichen, denn man geht ihn bereits – selbst, wenn man glaubt, vom Weg getrennt zu sein, ist dieser Glaube nur ein Teil des Weges.
Qigong ermöglicht die Einsichten in die kosmischen Zusammenhänge, weil der Übende durch das regelmäßige Praktizieren immer mehr entspannen und „zuhören“ lernt. Es entwickelt sich ein Gewahrsein für den Augenblick, so dass hier und da jene Momente durchschimmern, in denen erfahrbar wird, dass alles, was ist, gut ist, so wie es ist. Wenn der Körper entspannt ist und sicher steht, dann kann auch der Geist zur Ruhe kommen. So werden die Gedanken weniger und das Gedankenkarussell wird irgendwann angehalten. Zwar wird man nicht vollkommen aufhören zu denken, da das Denken Teil der menschlichen Natur ist, aber durch die körperliche und psychische Entspannung werden die Gedanken relativiert und man muss sich nicht mehr mit ihnen identifizieren. Die Vorstellung vom Ich wird als bloßes Gedankenkonstrukt akzeptiert und damit die Wahrnehmung auf den Augenblick gerichtet.
Autor: Christoph Eydt
Fotos: L. Liebermann und taiji-forum.de