Yin und Yang – der Ausgleich im Taoismus

Philosophie

Die Polarität (Yin & Yang) im Taoismus

Kalligraphie "Taoismus"

Der Idee der Polarität kommt im Taoismus eine große Bedeutung zu. Die Erfahrung der Welt in ihren Gegensätzen ist der Ausgangspunkt zahlreicher existenzphilosophischer und ethischer Fragestellungen und Antwortversuche. Yin und Yang symbolisieren die von einander abhängigen und sich bedingenden Gegensätze, wie Tag und Nacht, Gesundheit und Krankheit, Glück und Unglück, Mann und Frau.

Der Taoismus, ganz gleich ob man ihn als religiöses oder philosophisches Konstrukt versteht, fußt auf dem Polaritätsgedanken. Überhaupt ist in Asien das Prinzip der Polarität derart verbreitet, dass es ein fester Bestandteil der asiatischen Mentalität ist. Auch wenn es sich um die Beschreibung von (scheinbaren) Gegensätzen handelt, darf die Polarität im Paradigma des Taoismus nicht als Konflikt oder als ein Gegeneinander verstanden werden. Würde man dies tun, käme man unweigerlich zu dem Trugschluss, eines der beiden Gegensätze favorisieren zu wollen. Das abendländische Denken kennt zwar auch die Idee der Polarität und auch die Idee der gegenseitigen Bedingtheit. Aber im westlichen Kulturkreis hat sich eine eher einseitige Betrachtungsweise durchgesetzt, wonach es ratsam sei, das Gute zu tun und das Böse zu lassen.

Taoismus und abendländischer Fortschrittsglaube

Der Fluss des Lebens im Taoismus

Lebenskunst und Taoismus

Surf-Tipps zu „Taoismus“ und „Yin & Yang“

Taoismus und abendländischer Fortschrittsglaube

Nur durch die Bestimmung von ganz konkreten Gegensätzen, wie dies in großer Menge im Abendland geschah und immer noch vollzogen wird, ist es möglich, einen Fortschrittsglauben zu entwerfen und eine lineare Struktur von Zeit und Geschichte zu entwickeln. Auch wenn die nachfolgende Behauptung polemisch erscheint, da sie den Anspruch erhebt, die gesamte abendländische Welt zu charakterisieren, ist sie dennoch als eine erste Annäherung an den Diskurs haltbar und kann bei gegebener Mühe nachvollzogen werden. Die Behauptung lautet, dass die gesamte abendländische Denkweise ausschließlich darauf ausgerichtet ist, die Welt zu verbessern. Das meint sowohl die Welt als Gesamtes als auch die Welt eines jeden einzelnen Menschen. Ständig wird geplant, organisiert und durchgesetzt, was zu vermeintlich besseren Umständen führen könnte. Die Grundlage dafür ist eine Bewertung von Umständen in gute Umstände und schlechte Umstände. Die schlechten müssen beseitigt und die guten gefördert werden. Doch bei genauerer Betrachtung dürfte jedem klar werden, dass jegliche Versuche und Zwänge, die Welt zu verbessern, nur zum Gegenteil geführt haben. Dies ist auch von einigen abendländischen Denkern erkannt worden. So zum Beispiel von Paul Watzlawick, der davon gesprochen hat, dass die Lösung das Problem sei oder dass ein „mehr desselben“ nur zur Verschlimmerung einer Situation beitragen würde, eben weil der Mensch glaubt, mit „mehr desselben“ etwas Positives bewirken zu können.

Eingang zu einem taoistischen Kloster

Auch im religiösen Kontext ist diese Beobachtung festzustellen: Das Christentum geht von ganz klaren Bedingungen aus und erklärt, was gut sei und was böse sei. Ebenso gibt es Regeln, Rituale und Zwänge, mit deren Hilfe man meint, sich dem Guten annähern zu können. Das Böse wird im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt, ohne daran zu denken, dass es das Gute ohne das Böse überhaupt nicht geben könnte. Der Versuch, die Welt schwarz-weiß zu sehen, ist bereits am Beginn dieses Denkansatzes gescheitert, berücksichtigt man die individuellen Vorlieben der Menschen: Was für den einen gut ist, kann für den anderen das schlimmste Elend bedeuten.

Der Taoismus scheint geradezu ein Gegenentwurf auf dieses eindimensionale Welt- und Menschenbild zu sein, geht er doch von einem ganzheitlichen Ansatz aus, in welchem alles was ist, auch gebraucht wird. Es kann also dem Taoismus nach nie darum gehen, Böses zu überwinden und Gutes anzustreben, weil diese Kategorien einzig Produkte des menschlichen Denkens und keine objektiven Größen sind. Zwar benötigt man auch im Taoismus die Gegensätzlichkeit und Wertung, doch wird diese stets in Relation zum Weltgeschehen gesetzt. Das bedeutet, es gibt zwar die Teilaspekte Yin und Yang, doch ist es für einen Taoisten wesentlich wichtiger, die Harmonie von Yin und Yang zu erfahren, als sich in Vorstellungen, Meinungen und Wertungen darüber, was besser sei und was nicht, zu verstricken.

Der Fluss des Lebens im Taoismus

Der Weg ist das Ziel

Auch wenn unsere Wahrnehmung uns so manchen Streich spielt und wir glauben, ein Ich zu besitzen oder Geschehnisse in einen linearen Ablauf stellen zu können, so ist die Welt als komplexer Organismus stets im Fluss und steht niemals still. Alles, was ist, bedingt einander und so ist es für die begrenzte Wahrnehmung des Menschen auch unmöglich, alle Aspekte des Weltgeschehens betrachten zu können. Da alles im Fluss ist und Yin und Yang stets Teil eines großen Ganzen sind, gibt es unterschiedliche Phasen, in denen sich die Welt als Organismus und der Mensch als Teil dieses Organismus befinden. Der Taoismus lehrt in dieser Hinsicht, dass es für einen Menschen unmöglich ist, die natürlichen Zyklen zu verändern. Darum sei es wesentlich effizienter, die einzelnen Phasen rechtzeitig zu erkennen und sich ihnen bestmöglich anzupassen. Hier kann das Bild der Schifffahrt ein annäherungsweiser Vergleich sein: Es ist wichtig, die Winde, die Gehzeiten und die Strömungen zu erkennen und auf diese zu reagieren. Die Prozesse des Werdens und Vergehens müssen erkannt werden, so dass man sie für sich selbst nutzen kann. Es geht also nicht darum, gegen die Erscheinungen der Welt anzukämpfen, sondern sie entgegenzunehmen und mit ihnen zu arbeiten.

Demzufolge hat eine taoistische Lebenseinstellung auch nichts gegen das Schwarz-weiß-Denken, da auch dieses ein natürlicher Prozess und ein Teil des großen Ganzen ist. Alles hat seine Zeit und seine Bedeutung Es gibt keinen Widerspruch. Widersprüche treten erst auf, wenn man die Überzeugung hat, dass das eigene Ich eine Substanz hätte, dann werden persönliche Wünsche, Erfahrungen, Haltungen und Ängste wichtiger als das schlichte Betrachten der Weltzusammenhänge. Durch das Überbetonen des linearen Denkens und der narrativen Deutung der Vergangenheit ist es sehr schwer, die natürlichen Rhythmen zu erkennen – folglich ist es unmöglich, die Polarität als Ganzes zu erfahren. Sie wird immer fragmentarisch bleiben und auf subjektive Deutungen reduziert werden. Im Fluss zu sein, heißt darüber hinaus auch, zu erkennen, dass man nie außerhalb des Flusses war. Auch hier ist wiederum das linear-kausale Denken für eine Fehleinschätzung verantwortlich. Solange wir glauben, dass es etwas gibt, das man als „im Fluss sein“ bezeichnen kann, denken wir, dass es auch etwas gibt, das man als „nicht im Fluss sein“ bezeichnen könnte. Man kann sich Gott annähern oder sich von ihm entfernen. Man kann mit dem Tao sein oder von ihm abgetrennt. Diese Ideen sind letztlich nur Ideen – sie sind Gedanken. In Wirklichkeit kann man nie vom Fluss des Lebens getrennt sein, man war immer Teil und wird immer Teil sein. Vielleicht bildet man sich ein, außerhalb des Taos zu sein oder nicht mehr dem Tao zu folgen, aber diese Einbildung ist selbst Teil des Flusses, denn es gibt nichts anderes als das, was ist – dazu gehören auch alle Gedanken und Gefühle. Es gibt damit nichts mehr, was anzustreben ist, außer das, was so oder so angestrebt wird. Dies geschieht aber ohne ein aktives Eingreifen.

Lebenskunst und Taoismus

Taoistischer Mönch

Die Lehre von Yin und Yang hat für die Frage nach dem richtigen Handeln eine essenzielle Bedeutung. Der Taoismus lehrt, dass man nicht an einem der beiden Pole festhalten soll, sondern dass beide in ein Gleichgewicht zu bringen sind. Objektiv betrachtet tut man immer nur genau das, was man tut. Aus der subjektiven Sicht geht es jedoch darum, die natürlichen Rhythmen zu erkennen. Diese Rhythmen zeichnen sich durch Wechselseitigkeit aus. Laotse schreibt nicht grundlos, dass man das Männliche kennen müsse und das Weibliche halten solle. Beides gehört zusammen und in Wirklichkeit gibt es auch keine Trennung – einzig unser Geist trennt die Dinge voneinander. Diese Trennung ist unsere Sicht auf die Welt, damit wir in ihr agieren können, sie ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss.

Sein und Nicht-Sein erzeugen einander. Das logische Denken hilft an dieser Stelle nicht weiter, weil es gewöhnt ist, kausale Beziehungen zwischen zwei fassbaren Dingen herzustellen. Das Nicht-Sein gilt als etwas nicht Existierendes und wird darum nicht erfasst. Dabei wird übersehen, dass die Leere die notwendige Bedingung dafür ist, dass etwas entstehen kann. Ein Haus kann nur dort gebaut werden, wo genügend freie Fläche für den Bau vorhanden ist. Die Leere ist damit etwas Schöpferisches. Das Sein entspringt dem Nicht-Sein wie der Ton aus der Stille. Der leere Raum ist dabei immer genauso präsent wie der besetzte bzw. der seiende Raum. Es gibt keine Trennung von Sein und Nicht-Sein. Wir neigen zwar dazu, den leeren Raum zu ignorieren, aber er ist für uns genauso da wie die Luft für die Vögel oder das Wasser für die Fische. Das Sein wiederum bringt das Nicht-Sein zustande. So ist die Wirklichkeit, so wie wir sie erfahren jenes Sein, welches als Gegensatz zu der dahinter stehenden Leere liegt. Wie könnte man sonst von Wahrheit und Wirklichkeit reden, wenn es keine Leere gibt, die es damit zu füllen gilt?

Surf-Tipps zu Taoismus und Yin und Yang

Taoismus = Daoismus

Taoismus Grundsatzartikel zum Thema „Taoismus“.

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Yin/Yang-Konzept

Autor: Christoph Eydt

Fotos: Taiji-Europa

Kalligraphie: Wang Ning