NORTH SEA TAI CHI FESTIVAL

Tai Chi Chuan Austauschtreffen in Amsterdam (Harlem) mit vielen unterschiedlichen Workshops. Das Festival bietet interessante Seminare sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene. Man kann entweder an einem Tag teilnehmen oder an drei Tagen, entsprechend der eigenen Wünschen oder Möglichkeiten.

North Sea Tai Chi Festival Amsterdam

Der Schwerpunkt des Festivals lieg bei Tai Chi, es werden aber auch andere Themen  mit stilübergreifenden Prinzipien angeboten. Z.B. wurden beim Festival 2012 Workshops angeboten, in denen unter anderem der Zusammenhang von Chi und Stimme (Chi and Voice) dargelegt wurde. In einem anderen Workshop geht es um die Übereinstimmungen zwischen Tango und Tai Chi und Alexandertechnik. In den vorhergegangenen Festivals hat es sich gezeigt, dass viel Interesse an Themen besteht, die dem Tai Chi naheliegen.

Bericht von North Sea Tai Chi Festival 2010

Von Wilhelm Mertens

Die Niederlande waren schon oft Vorreiter in Sachen »Taijiquan«. Schon in den frühen 70er Jahren breitete sich das Taijiquan dort aus, viele Lehrer aus verschiedenen Stilen und Schulen kamen zum Unterrichten und es wurden schon früh Taiji-Wettkämpfe ausgetragen. Da war es fast ein Wunder, dass es noch kein stilübergreifendes Taiji-Treffen gab. Nun gibt es das »North Sea Tai Chi Festival«, das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand. Wilhelm Mertens war zum Unterrichten und Teilnehmen eingeladen.

Ein neuer Stern am Taiji-Firmament! Jedes Jahr wiederkehrend wie ein Planet. Nun haben die Niederländer, die pionierhaft die Taijiquan-Szene beeinflusst haben, auch ihr Festival. In der Nähe von Amsterdam auf einem großzügigen Gelände, das dem Naturschutz unterstellt ist, wird alljährlich am dritten Augustwochenende das »North Sea Tai Chi« stattfinden.

North Sea Tai Chi Festival AmsterdamDie drei Organisatoren Helma Vinke, Pim van den Broek und Roderik Schoorlemmer ergänzten sich großartig und gewährleisteten einen absolut reibungsfreien Ablauf. Daan Hengst, als Vertreter der Stichting, bildete die verbindende Kraft. Von den Gegebenheiten und den Bedingungen war nahezu nichts auszusetzen, außer dass zwei funktionierende Duschen etwas knapp bemessen sind. Selbst der Wettergott hatte diesem Event seinen Segen gegeben. Herrliches regenfreies Sommerwetter. Eine große Zeltanlage hätte bei Wetterkapriolen den Verlauf des Geschehens sichergestellt. Ein auf dem Gelände gelegenes Restaurant sorgte für ausreichend leckeres vegetarisches Essen. Fruühstück und Mittagessen sowie die Übernachtung auf dem Zeltplatz waren im Preis von 169 Euro inbegriffen. Wer dann mal ein Stück Fleisch oder Fisch brauchte, konnte abends von der Karte lecker aussuchen.

Die Niederländer spielten an diesem Wochenende ihr besonderes Naturell aus; ihre Fröhlichkeit und soziale Zugewandtheit, sich für Neues zu interessieren und doch ihre Eigenwilligkeit zu bewahren. So konnte man alle drei Tage voll genießen.

Das Motto war: Taijiquan in Relation zu anderen Bewegungs- und Kampfkünsten. Dieses Treffen bot daher die Möglichkeit, mit dem Blick eines Taijiquan-Begeisterten durch Kontakt und Berührung Erfahrungen mit anderen Bewegungskünsten zu machen und so das eigene Tun und Handeln klarer zu orientieren und zu beziehen. Es gab Parallelen, Gemeinsamkeiten, aber auch spezifische Unterschiede zu erkennen, Stärken und Schwächen kennenzulernen.

North Sea Tai Chi Festival Amsterdam
Tui Shou in Amsterdam

Zur Vielfalt des Angebots gehörten die Prinzipien des Taijiquan (Nils Klug, Wilhelm Mertens) bei der Auseinandersetzung mit den Bodymechanics und dem Peng, Lü, Ji und An sowie einer Taijiquan-Stockform (Judith van Drooge) und einer Schwertform (Henk Janssen). So könnte man sagen, das Kerngeschäft des Taijiquan kam nicht zu kurz. Mit Baguazhang und Xingyiquan brachte H. E. Elenonora zwei weitere Innere Kampfkünste Chinas ins Blickfeld.

Mit Anwendungen (Paul Silverstrale) und mit Systema aus Russland (Jan Bloem) wurde klar, dass es sich hier um Martial Arts handelte. Beide verstanden es in ihrer Art des Unterrichtens, Wirkzusammenhänge deutlich zu machen. Man konnte behutsam ausprobieren und der Frage nachgehen: Halten die eigenen Fähigkeiten einer druckvollen und stressigen Situation stand? So entstand ein munteres Miteinander von Kämpfern und scheuen, manchmal auch skeptischen Bewegungskünstlern.

Capoeira aus Brasilien (Lisette Spaargaren) setzte nochmals einen ganz neuen Aspekt. Bewegungsrhythmus wurde hier durch die Musik intensiv erfahrbar. Laban, eine spezielle bewegungsorientierte Auseinandersetzung im künstlerischen Bereich, wurde verkörpert durch Mida Schutte und fragte nach dem Zusammenwirken von Bewegungsästhetik und Gesundheit.

Die große Kompetenz der TeilnehmerInnen war bemerkenswert. Verschiedene Stilarten des Taijiquan waren vertreten vom Yang-Stil in verschiedenen Ausprägungen, über den Wu-Stil bis hin zum Chen-Stil. Viele bekannte LehrerInnen hatten sich auch unter die Teilnehmenden gemischt. Besonders angenehm und hilfreich für die Atmosphäre war, dass dieses Treffen nicht männlich dominiert war. Besondere Akzente setzte hier Lisette Spaargaren, die durch unfreiwillige Lebensereignisse in ihren körperlichen Grenzen herausgefordert war und diese Erfahrung in einen kompetenten und lebensbejahenden Capoeira-Unterricht umzusetzen vermochte. Die dreiundachtzigjährige Mida Schutte machte in ihrer authentischen Art und Weise überzeugend deutlich, dass, wie auch im Taijiquan, alles in den Füßen beginnt.

Zeitgleich bot sich wie selbstverständlich Henk Janssen an, in das freie Spiel des Pushhands einzuführen: Mut zu fassen, sich einzulassen. So wurde auch Neulingen im Pushen ein guter Zugang ermöglicht. Beim freien Pushen teilten alle ihre Erfahrungen und ihr Können, so dass es ein fruchtbares Miteinander war. Lernen und Verstehen waren wichtiger als Gewinnen und Verlieren. Unter den TeilnehmerInnen waren nur wenige Ausländer aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Ich denke, dass sich das bei den nächsten Treffen bald ändern wird. Am Samstagabend gab es eine Reihe von Vorführungen, die Gott sei Dank nicht zu lang waren, dafür recht entspannt und doch vielseitig. Beispielsweise zeigte Nils Klug einige Boxanwendungen, Judith van Drooge mit ihrer Gruppe die Stockform und Richard Zwaart Wu-Stil. Dazu spendierten die Organisatoren einige Getränke. Mit der aufkommenden Dunkelheit löste sich die Veranstaltung dann auf und verteilte sich in viele fröhliche Gespräche.
Pim und RoderickGerade dieses Treffen bot die Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, neue Perspektiven zu gewinnen und sich im eigenen Tun zu relativieren. Es gibt mittlerweile nahezu jeden Monat ein Taijiquan-Festival oder -Event in Europa. In diesem Reigen ist »North Sea Tai Chi« ein neuer Stern mit besonderer Ausprägung, den ich ausdrücklich weiterempfehle.

Dieser Artikel wurde und vom Taijiquan & Qigong Journal zur Verfügung gestellt. 
Er erschien im Heft 4-2010.
Fotos: taiji-forum.de