Qigong und Heilung – Hinweise zur Qualitätsbeurteilung von Publikationen

Der folgende Abschnitt zeigt einige Anhaltspunkte für die Einordnung von Publikationen zu Qigong und Heilung auf: Was sind mögliche Hinweise für die Einordnung einer Publikation? Ist ein Wissenschaftler ein Qigong-Experte? Ist ein Qigong-Experte, der Qigong ernsthaft betreibt – also an seiner Ausführung „forscht“ – ein Wissenschaftler? Wann ist eine Zeitschrift eine Fachzeitschrift? Wie kann man Kongresse und Institute einschätzen?

„Qigong-Experten“ – Wissenschaft, Praxis und deren Verbindung

Qigong und Heilung - Hinweise zur Qualitätsbeurteilung von Publikationen

Bei medizinischen Studien zu Qigong besteht die generelle Problematik, dass der Wissenschaftler oft nicht Praktizierender ist und die Testgruppe somit nicht selbst anleiten kann. – Die klinischen Studie wird erst mittels einer Qigong-Lehrkraft möglich. Wird der Qigong-Lehrer (oder die „Qigong-Meisterin“) in dieser Studie als Co-Autor genannt, macht es diese nicht zum Wissenschaftler. Äußerungen und Artikel solcher Personen – auch zum Thema der Studie, an der sie beteiligt waren – sind somit keine wissenschaftlichen Äußerungen. Für die Durchführung einer Studie und deren wissenschaftliche Auswertung fehlt diesen Personen die nötige wissenschaftliche Ausbildung, die für gewöhnlich mindestens ein abgeschlossenes Hochschulstudium in dem betreffenden Feld voraussetzt. – Ausnahmen bestätigen die Regel: zum Teil gibt es Mediziner oder Biologen, die auch Praktizierende sind. Diese haben ggf. eine doppelte Ausbildung (d.h. eine praktische Ausbildung in Qigong und eine Studium in einer medizinisch relevanten Fachrichtung vorzuweisen (d.h. ein näherliegendes Studium als bspw. Kunstgeschichte oder Östliche Philosophie) und sind deshalb Experten für Theorie und Praxis.

Akademische Titel, Ausbildung und Methodik

  • Bei akademischen Titeln (Dr., Prof., Ph.D.,…) ist stets darauf zu achten, welcher Fachrichtung diese entstammen. Es gibt keine generelle Wissenschaftlichkeit, die in einem Feld erworben wird und dann auf andere Felder übertragen werden kann. Ein Sinologie kann ggf. Texte über Qigong exzellent übersetzen, ist deshalb aber weder automatisch ein Experte für Qigong noch ein Qigong-Forscher in Bezug auf medizinisches Qigong oder mögliche Heilungseffekte. Dies gilt auch, obwohl er Wissenschaftler sein mag und es sich um eine aus China stammende Methode handelt.
  • Bei praktischen Anleitungen – Fachtexten des Qigong im engeren Sinne – hingegen ist die praktische Ausbildung entscheidend, nicht die akademische. Hier interessiert für die Einordnung der Publikation der jeweilige Lehrer/die Stilrichtung des Autors, die Art und Weise der praktischen Ausbildung und die Lehrerfahrung.
  • ExpertInnen-Interviews können eine anerkannte sozialwissenschaftliche Methodik sein; oft werden Interviews jedoch nicht wissenschaftlich durchgeführt. Ein Experteninterview, welches wissenschaftlichen Standards genügt, ist nicht zu verwechseln mit einer einfachen Befragung von Praktizierenden aus dem persönlichen oder beruflichen Umfeld. Auch das Wiedergeben des Gesprächsgegenstands (oder besser noch einzelner Fragen) auf einem formalisierten Fragebogen und die Thematisierung individueller Lehr- und Lernerfahrungen der ExpertInnen allein begründen nicht die Wissenschaftlichkeit einer Studie. Der Unterschied zwischen einem „Umhören in der Praxis“ und einer wissenschaftlichen Erhebung von Daten auf Basis von ExpertInnen-Interviews liegt hier in der Offenlegung des Mechanismus. Dieser beinhaltet mindestens die systematische Erschließung des einschlägigen Fachgebietes, die begründete Auswahl der InterviewpartnerInnen, die gezielte Entwicklung des Fragebogens (ggf. mittels einer Vorstudie) und die (kritischen) Reflexion der Durchführung. Fehlt diese wissenschaftliche Basis der Arbeit, bleibt es bei der reinen Behauptung der Wissenschaftlichkeit der Vorgehensweise; ihr Nachweis jedoch fehlt. – Es könnte sich jedoch um einen rein journalistischen Artikel handeln.
  • Journalistische Arbeit ist die häufigste Grundlage von Artikeln über Qigong und Heilung. Berichte aus der Praxis („Meiner langjährigen Lehrerfahrung nach…“, „Ein Schüler von mir hat folgende Erfahrung gemacht…“) machen einen Großteil der Publikationen jenseits von wissenschaftlichen Zeitschriften aus. Das journalistische Arbeiten folgt eigenen Kriterien (Richtigkeit, Relevanz, Transparenz, Quellenüberprüfung,..), die selbst den Wissenschaftsjournalismus von der wissenschaftlichen Forschung unterscheiden. Auch journalistische Artikel in Fachjournalen unterscheiden sich im Wesen nicht von Artikeln in Tages- oder Wochenzeitungen und Magazinen. Allein kritischer Journalismus hat eine gewisse Nähe zum Feld der Wissenschaft.
    Artikel wie „Berühmter Qigong-Meister demonstriert die heilende Wirkung von Qi…“/„ XY, Linienhalter der 18. Generation: Kennt er das Geheimnis des langen Lebens?“ – zeigen diese Nähe zur Wissenschaft nicht (und verletzen bisweilen sogar die „eigenen“, journalistischen Standards). Auch Fachjournalismus ist nicht per se näher an der Wissenschaft als normaler Journalismus. „Fachjournalist“ ist keine geschützte Bezeichnung. Wenn jemand sich als Fachjournalistin bezeichnet, kann dies einfach bedeuten, dass jemand längere Zeit (schwerpunktmäßig) auf diesem Gebiet – ihrem „Fachgebiet“ – gearbeitet hat. Die Existenz eines sich deckenden wissenschaftlichen Fachgebietes kann beide Disziplinen zwar näher zusammen führen, die Disziplinen gehen deshalb aber nicht ineinander auf.

(Fach)zeitschriften, Fachverlage, (Forschungs)institute und Kongresse

Artikel und Arbeiten aus dem Kreis der Praktizierenden und bilden eine weitere mögliche Fundstelle bzgl. neuer Erkenntnisse über Qigong und Heilung. Eine generelle Aussage über die wissenschaftliche Qualität solcher Publikationen ist kaum möglich – hier ist der kritische Leser / die kritische Leserin gefragt, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Bedeutung des Begriffes “Qigong”
  • Fachzeitschriften und „Fachverlage“
    Seit den 70er Jahren haben sich Qigong und Taijiquan auch im sog. „Westen“ weit verbreitet. Die erste Generation von Praktizierenden im Westen fand keine Literatur in ihrer Heimatsprache vor – auch chinesische Literatur war für die, die sie hätten lesen können, schwer zu bekommen. Einigen PionierInnen ist es zu verdanken, dass sich Zeitschriften und Verbände gründeten, die es als Aufgabe sahen, das Wissen über Qigong, Taijiquan und Techniken und Methoden, aber auch zu den Gesundheitsaspekten der Übungen zu sammeln und dem neuen Publikum zugänglich zu machen.
    Während manche der Verleger und Akteure ihre teilweise ehrenamtliche oder quasi-ehrenamtliche Arbeit mit Hingabe bis heute fortsetzen, haben sich andere zu einflussreichen Spielern auf dem Markt entwickelt. Diese vertreten heute den Anspruch, durch ihre Politik die Entwicklung/Richtung des Qigong zu beeinflussen oder bestimmte Herangehensweisen, Stile und Formen hervorzuheben. Dies lässt naturgemäß auch die Ausrichtung ihrer Publikationen nicht unberührt.
  • (Berufs)verbände und (Forschungs)institute
    Zu den o.g. Zeitschriften aus den Bereich der Praktizierenden gesellt sich heute eine Fülle von (Berufs)verbänden und (Forschungs)instituten, die jeweils ihre eigenen Magazine publizieren und Kongresse organisieren.
    Die Organisationsstrukturen und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Organisationen sind auch für Interessierte schwer zu durchschauen und von Land zu Land unterschiedlich. Während es in einigen Ländern staatliche Dachorganisationen und damit starke Zentralverbände gibt, dominieren in anderen Ländern Organisationen nach den Überlieferungslinien oder professionelle Berufsverbände, die jeweils national oder sogar international eine Führungsrolle und die Deutungshoheit über „richtiges“, „traditionelles“ oder „effektives“ Qigong beanspruchen. Dies wird regelmäßig in den einschlägigen Publikationen untermauert.
    Hier gilt es, genau hinzusehen: Nicht jede Einrichtung, die „Institut“ oder gar „Forschungsinstitut“ im Namen trägt, ist ein Ort wissenschaftlicher Arbeit – es kann sich hier auch schlicht um den Namen einer Schule handeln. Hingegen kann eine einfache „Studiengruppe“ anerkannte WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Ländern umfassen.
  • Kongresse und Tagungsbände
    Eine ähnliche Vorsicht sollte man bei Kongresse und Konferenzen und denen damit in Zusammenhang stehenden Publikationen walten lassen. Bei manchen Organisationen sind diese Veranstaltungen Versammlungen von Praktizierenden oder interne Fortbildungsveranstaltungen, bei anderen Treffen der Funktionäre. Bei einigen Organisationen – insbesondere im asiatischen Raum und bei deren westlichen Ablegern – besteht faktische Anwesenheitspflicht für die TeilnehmerInnen. Es ist auch der Trend zu beobachten, dass der Zusammenkunft mittels der Saaldekoration das Gepräge eines wissenschaftlichen Kongresses gegeben wird. In diesem Kontext werden Funktionäre oder LehrerInnen („weltbekannte Meister“) schnell zu „ExpertInnen“ und Erfahrungsberichte aus dem Unterricht und Ansprachen an die versammelte Vereinigung zu „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ über Heilungseffekte des Qigong.
    Dies soll nicht heißen, dass Veröffentlichungen aus dem Bereich der Praktizierenden – wie Mitgliederzeitschriften oder Tagungsbände von Kongressen – generell eine niedrige Qualität haben. Die Artikel sind jedoch individuell auf ihre Herkunft zu prüfen und inhaltlich kritisch zu lesen, bevor man ihnen vertraut, bzw. auf deren Grundlage weitere Behauptungen aufstellt.

Einige Beispiele für kritische Lektüre finden sich im nächsten, die Serie über Qigong und Heilung beschließenden Abschnitt. Erscheint kommende Woche!

Serie „Heilung durch Qigong“

Heilung durch Qigong Teil 1 – Subjektive Effekte und wissenschaftliche Studien
QigongHeilung durch Qigong, die Arbeit mit dem Qi (Lebensenergie), gilt als allgemein gesunderhaltend. Dieser Grundgedanke des Yangsheng – der Pflege der Lebenskraft – unterscheidet es jedoch nicht unbedingt von anderen Systemen der Gesundheitspflege, der Bewegungslehre oder von anderen therapeutischen Atemschulen. Es gibt keine fundierten wissenschaftlichen Langzeitstudien, die eine besondere Wirksamkeit von Qigong für bestimmte Krankheiten belegen…
Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Qigong stehen vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen transportiert der kulturelle Hintergrund von Qigong eine spezifische Betrachtung des Menschen, die dem westlichen Körperbild, welches die Grundlage „moderner“ medizinischer Forschung ist, in Teilen widerspricht. Dazu tritt das Problem, dass die wissenschaftlichen Standardmethoden medizinischer Forschung, die derzeit die Qigong-Forschung bestimmen, anknüpfend an das westliche Bild der Medizin und auch aus ihrer eigenen Forschungstradition heraus, teilweise ungeeignet sind, typische Aspekte des Qigong zu erfassen…
Wissenschaftliche Qigong Studien – Bestimmung des Forschungsgegenstandes Anschließend an den Abschnitt zur Methodik der Qigong-Forschung beschäftigt sich dieser Teil mit der Bestimmung des Forschungsgegenstandes (was ist Qigong?). Die häufigste Form der wissenschaftlichen Studie, die Einzelversuchsreihe, wird kurz vorgestellt und ihre Bedeutung erörtert…
Qigong Meta-Studien (Metaanalysen) Heilung durch Qigong Teil 4 Neben den Einzelversuchsreihen gibt es in der Qigong-Forschung vor allem Meta-Studien (Metaanalysen) und Reviews (Forschungsübersichten), deren Funktion und typische Ergebnisse hier kurz vorgestellt werden…
„Heilung durch Qigong“ – Forschungslandschaft Die vielfältige und oft auch heterogene Forschungslandschaft erschwert den Überblick für interessierte Praktizierende. Allein die universitäre Forschung teilt sich auf viele Felder mit jeweils eigenen Forschungsmethoden auf: von Medizin über Bewegungslehre/Sportwissenschaften bis hin zu Kulturwissenschaften, Religionswissenschaften und Philosophie. Dazu gibt es verschiedene gemischte Ansätze (sog. inter- oder transdisziplinäre Forschung)…
Quellen medizinischer Forschung über Qigong und Heilung Die Schwierigkeit für alle an Qigong-Forschung Interessierten liegt darin, dass bei Qigong als allgemein gesunderhaltendem System die Artikel über alle Gebiete verstreut sind. Wo also anfangen?
Qigong und Heilung – Hinweise zur Qualitätsbeurteilung von Publikationen Der folgende Abschnitt zeigt einige Anhaltspunkte für die Einordnung von Publikationen zu Qigong und Heilung auf: Was sind mögliche Hinweise für die Einordnung einer Publikation? Ist ein Wissenschaftler ein Qigong-Experte? Ist ein Qigong-Experte, der Qigong ernsthaft betreibt – also an seiner Ausführung „forscht“ – ein Wissenschaftler? Wann ist eine Zeitschrift eine Fachzeitschrift? Wie kann man Kongresse und Institute einschätzen?

Autor: Redaktion Taiji Forum

Bilder: Taiji Forum