Tai Chi Chuan (Taijiquan)

Was ist Tai Chi?

Von Nils Klug

Tai Chi Chuan ist eine chinesische innere Kampfkunst (Nèijiaquán) und wird allgemein als die höchste oder ultimative Hand/ Faust bzw. Kampfkunst übersetzt. Es gibt unterschiedliche Schreibweisen wie z. B. Tàijíquán, T’ai Chi Ch’uan, Taijiquan und Taiji Quan. Im deutschen Sprachraum wird häufig „Tai Chi oder Taiji“ benutzt.

Was ist Tai Chi?

Es umfasst zahlreiche Aspekte, wie z.B. die Gesundheit, Meditation und Selbstverteidigung sowie die Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung. Jede Bewegung der Tai Chi Chuan Form hat eine oder mehrere Bezüge zur Kampfkunst. Am deutlichsten erkennt man dies in den Waffenformen.

Seit den 70er Jahren erfreut sich Tai Chi Chuan auch in Europa immer größerer Beliebtheit. Es gibt zahlreiche westliche Schüler von chinesischen Meistern, die die Stile in der jeweiligen Generation offiziell vertreten. Einige westliche Lehrer üben und unterrichten diese fernöstliche Bewegungskunst seit 40 und mehr Jahren und sind mittlerweile auch bei Turnieren in China und dem Rest der Welt sehr erfolgreich.

Heute wird Tai Chi in erster Linie zur Gesunderhaltung und Steigerung des Wohlbefindens praktiziert. Es gibt verschiedene Ausprägungen, die von esoterischen Ansätzen über Tai Chi-Wellness bis hin zu realistischer Selbstverteidigung reichen. Tai Chi Kurse werden in Tai Chi-Schulen, Volkshochschulen, Universitäten, Rehabilitationszentren, Fitnesszentren, Betriebssportgruppen und in Verbindung mit einer Urlaubsreise angeboten.

1 Was ist Tai Chi?
1.00 Auswirkungen von Tai Chi auf die Gesundheit
1.10 Tai Chi Form
1.20 Platz zum Üben
1.30 Tai Chi Stile
1.40 Tai Chi Waffen
1.50 Kampfkunst
1.60 Push Hands
1.70 Lehrer/ Unterricht
1.80 Turniere
1.90 DVD
1.91 Tai Chi Verbände
2 Die Schriftzeichen im Detail
3 Kurze Geschichte des Taijiquan
3.1 Die Wurzeln
3.2 Die Entwicklung des Taijiquan durch die Familien Chen, Yang, Wu, Wu (Hao) und Sun
3.3 Die spätere Entwicklung

Auswirkungen von Tai Chi auf die Gesundheit

Tai Chi wird in China schon seit vielen Jahren zur Prävention und zur Unterstützung des Heilungsprozesses verschiedener Krankheiten eingesetzt. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), wie z.B. die Akupunktur. Neben den klassischen Beschwerden wie Rückenschmerzen, Stress, Schulter- und Nackenverspannungen, soll Tai Chi positiv bei Beschwerden wie Arthritis, Asthma, Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Migräne, Herz-Kreislauferkrankungen, Gelenkschmerzen, Rheuma, Tinnitus, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Osteoporose wirken. Des Weiteren soll das Gleichgewichtsgefühl und die Verdauung verbessert sowie das Nerven- und Immunsystem positiv beeinflusst werden.

Durch die Art und Weise der Bewegung, die in der Regel langsam, gleichmäßig und fließend ausgeführt werden, wird sich der Übende nach und nach entspannen. Die Atmung wird langsamer, ruhiger und tiefer. Nach längerem Üben werden Körper und Geist beweglicher. Die Gelenkstellungen werden optimiert und die Körperhaltung verbessert sich zunehmend. Traditionell spricht man auch vom „Ölen der Gelenke“. Tai Chi stärkt Knochen, Muskeln, Sehnen und Bänder. Bei Parkinsonpatienten wurde in einer Sudie (New England Journal of Medicine) nachgewiesen, dass die Häufigkeit von Stürzen sich bereits nach 24 Wochen regelmäßigen Tai Chi Übens reduziert hat.

Der meditative Aspekt des Übens klärt den Geist. Die „Entschleunigung“ der Bewegungen kombiniert mit tiefer, natürlicher Atmung (Zwerchfell- oder Bauchatmung) und die damit einhergehende Tiefenentspannung wirken sich äußerst positiv auf das Nervensystem aus und verbessern den Stoffwechsel u. a. durch den erhöhten Sauerstoffgehalt in Blut und Gewebe. Der Übende fühlt sich entspannter. Tai Chi hat eine ausgleichende Wirkung auf den Übenden und führt zu mehr Gesundheit, Vitalität, Fitness und Lebensfreude. Diese Effekte können sich schon nach kurzer Zeit des regelmäßigen Übens einstellen und intensivieren sich zunehmend. Lesen Sie hier mehr über Tai Chi/Qi Gong und Gesundheit.

Tai Chi Form

Die Bewegungen oder Stellungen, die in einer festgelegten Choreographie nach den Tai Chi Prinzipien ausgeführt werden, bezeichnet man als Tai Chi Form, vergleichbar z. B. mit der Kata des Karate. Meist werden Kurzformen gelehrt. Es gibt aber auch Lang-, Partner- und Waffenformen.

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Platz zum Üben

Zum Üben von Tai Chi Chuan braucht man wenig Platz und keine besondere Ausrüstung. Es kann nahezu von jedem praktiziert werden. Ob im Park, am Strand oder zu Hause. Einmal erlernt kann es ein Leben lang geübt werden und ist ein effektives Mittel zur Gesunderhaltung von Körper und Geist.

Tai Chi Stile

Es gibt viele verschiedene Stile im Tai Chi Chuan. Die bekanntesten sind der Yang-, Chen- und Wu-Stil. Traditionell wurden die Stile nach den Familien benannt, die sie entwickelt haben (z. B. Yang-Familie, Yang-Stil). Mittlerweile wurden unzählige Stile entwickelt und es entstehen weiterhin neue Stilrichtungen.

Tai Chi Waffen

Tai Chi Waffenformen

Wie in jeder asiatischen Kampfkunst werden auch im Tai Chi Chuan Waffen benutzt, um die eigene Distanz zu erweitern und um Bewegungsprinzipien mit einem zweiten Schwerpunkt zu erlernen. Die gängigen Waffen im Tai Chi sind das Schwert, der Säbel, der Fächer, die Hellebarde, der Langstock und der Speer. Wer allerdings die Bewegungsprinzipien des Tai Chi beherrscht, kann diese auf jede weitere Waffenart anwenden.
Jeder Tai Chi-Stil verfügt über einmalige Hand- und Waffenformen. Während die Handformen waffenlos gelaufen werden, dienen die Waffenformen dem Umgang mit einer speziellen Waffe. Das Besondere an der Arbeit mit Waffen ist der Umgang mit dem eigenen Schwerpunkt und mit dem Schwerpunkt der Waffe. Es gilt also, zwei Dinge gleichzeitig zu kontrollieren. Und wenn einem ein Partner bzw. ein Gegner gegenübersteht, so muss auch dessen Schwerpunkt kontrolliert werden können. Die Waffen dienen der Distanzverringerung und können bei geschicktem Einsatz tödliche Wunden bei einem gleichzeitigen Sicherheitsabstand zufügen. Im Tai Chi kommen das gerade, zweischneidige und einhändig geführte Schwert, der Säbel, der Langstock, der Kurzstock, der Speer, die Hellebarde und der Fächer zum Einsatz.

Waffen im Tai Chi erst für Fortgeschrittene

Tai Chi, Schert, Jian

In der Regel werden erst die waffenlosen Formen und die waffenlosen Partnerübungen trainiert. Sobald die Tai Chi-Schüler über gewisse Grundlagen verfügen, kann auf diesen mit Waffen aufgebaut werden. Im Unterricht wird zunächst mit Trainingswaffen aus Holz, wie z. B. Tai Chi-Holzschwerter geübt, um Verletzungen zu vermeiden. Für ein intensiveres Training können aber auch „echte“ Waffen (zumeist nicht geschärft) verwendet werden. Dabei ist auf das eigene Verletzungsrisiko und das des Partners zu achten.
Waffen werden im Tai Chi nicht isoliert bewegt, sondern sie sind eine künstliche Erweiterung des eigenen Körpers. Das bedeutet, dass sämtliche Bewegungsprinzipien und Bewegungsweisen zum Einsatz kommen, die auch waffenlos ausgeführt werden müssen, um Tai Chi effektiv werden zu lassen. Absolute Voraussetzung ist die Kontrolle des eigenen Schwerpunktes, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Weiterhin müssen eine gute Körperstruktur, Entspannung und Beweglichkeit geübt werden. Weil mit einer Waffe andere Distanzen möglich sind als ohne Waffe, müssen die Tai Chi-Schüler auch die Distanzkontrolle lernen, um selbst stets sicher vor gegnerischen Angriffen zu stehen und eigene Attacken auszuführen.

Tai Chi Waffen und die 10 Grundregeln nach Yang Chengfu

Yang Chengfu (1883-1936) hat 10 Grundregeln für die Bewegungsweisen im Tai Chi Chuan erstellt. Diese 10 Grundsätze sollen bei jeder Bewegung eingehalten werden, damit Körper und Geist optimal organisiert werden können. Neben dem Hinweis auf die inneren und äußeren Harmonien geht es in Yang Chengfus Erläuterungen vor allem um eine entspannte und dennoch starke Körperhaltung sowie um den Einsatz von Yi im Sinne der Vorstellungskraft / Absicht. Mit einer Waffe in der Hand gilt es weiterhin, diesen Prinzipien treu zu bleiben: Der Kopf bleibt aufrecht, der Rücken wird gerade gedehnt, die Taille wird locker gelassen, Schulter und Ellbogen ebenso und die Absicht steuert die Bewegungen. Hierbei ist es hilfreich, sich bei den Waffenformen auf die Spitze der Waffe zu konzentrieren und die Bewegungen von diesem Fixpunkt aus zu steuern. Man geht also mit seiner Aufmerksamkeit von seinem Körper weg hin zu der Waffe, ohne aber die Kontrolle über den eigenen Körper aufzugeben. Fließende und ruhige Bewegungen sind auch mit den Waffen anzustreben. Es dürfen keine ruckelnden, stockenden oder steifen Bewegungen ausgeführt werden, sondern immer nur weiche und fließende. Damit können Körper und Waffe frei gesteuert werden, was große Bewegungsvorteile ermöglicht. Die Voraussetzung ist allerdings ein bereits vorhandenes bzw. erworbenes Körperbewusstsein, um die Aussteuerung der eigenen Bewegungen zu organisieren.
Ein besonderes Merkmal des Tai Chi ist die Übung des „Push Hands“. Diese Übung gibt es auch für Waffen – so zum Beispiel die Übung der „klebenden Schwerter“. Hierbei stehen sich zwei Partner gegenüber. Die Schwerter berühren sich an den Klingen. Durch die jeweiligen Körperbewegungen werden die Schwerter in Bewegung gebracht und die Aufgabe besteht für die Partner darin, am Schwert des Gegenübers kleben zu bleiben. Die Übung dient der Vertiefung der 10 Grundregeln sowie der Kontrolle des gegnerischen Schwerpunktes.

Tai Chi Chuan ist eine Kampfkunst

Traditionell ist Tai Chi Chuan eine hoch entwickelte Kampfkunst. Es gehört zu den inneren Systemen, wie z. B. Xing I, Baguazhang, Yi Quan oder auch Liu He Ba Fa (Wasserboxen).

In den meisten Systemen wird der Kampfkunstaspekt in folgende Übungen unterteilt:

Push Hands, Formanwendung, San Shou (Tai Chi Boxen).

Erfahren sie hier mehr über die Chinesische Kampfkunst.

Push Hands (Tui Shou) ist die Partnerübung des Tai Chi Chuan

Push Hands (Tui Shou, schlagende, fühlende oder klebende Hände) ist die Partnerübung des Tai Chi Chuan. Hier werden Grundlagen (8 Techniken, 5 Schritte/Richtungen, Erdung, Flexibilität, Aufnahme und Abgabe von Kraft) in einem friedlichen Umgang geübt. Es gibt festgelegte Übungsfolgen (Übungsroutinen oder auch Pattern genannt) und das freie Push Hands mit festem Stand (Dingbu Tuishou) und mit Schritten (Huobu Tuishou). Push Hands ist die Vorstufe zum San Shou (Freier Kampf).

Tai Chi Unterricht und die Wahl des Tai Chi Lehrers

Tai Chi zu Hause

Die Qualität und die Preise des Tai Chi Unterrichts sind sehr unterschiedlich. Die meisten Schulen bieten kostenlose Schnupperstunden an. Im asiatischen Raum werden Ehrentitel wie Meister (Sifu, Shifu), Großmeister u.a. verwendet. Die Bezeichnung „Meister“ ist in diesem Zusammenhang kein geschützter Begriff und sagt nicht zwingend etwas über die Qualität des Unterrichtenden aus. Gut in seinem Fach zu sein – in diesem Fall Tai Chi – bedeutet nicht zwingend auch in anderen Bereichen des Lebens kompetent zu sein oder gar beratend tätig werden zu können! Die Vermischung von Tai Chi und Lebensberatung ist zweifelhaft. In den alten Tagen wurden Tai Chi Lehrer nicht bezahlt. Der Schüler verrichtete kleinere Arbeiten für den Meister oder machte ihm Geschenke. Der Unterricht war aber in der Regel kostenlos. Der Anwärter konnte froh sein, wenn der Lehrer ihn als seinen Schüler akzeptierte. Heutzutage wird der Unterricht bezahlt und ist als Dienstleistung zu verstehen.

Vorsicht ist geboten, wenn der Lehrer Alleinvertreteransprüche hat und seinen Schülern abrät oder verbietet sich mit Tai Chi Praktizierenden anderer Stile auszutauschen. Dies widerspricht der offenen geistigen Haltung der Tai Chi Philosophie. In Deutschland haben sich in den letzten Jahren Ausbildungsstandards für Tai Chi Lehrer durchgesetzt. Man unterscheidet zwischen Kursleiter, Lehrer und Ausbilder.

Lesen sie hier den Artikel „Taijiquan lernen– was gibt es zu bedenken“

Tai Chi Turniere

Es gibt zahlreiche Kategorien bei Tai Chi Turnieren, wie z.B. Hand-, Partner- und Waffenformen, Tui Shou. Je nach Größe der Veranstaltung werden die Formen in verschiedene Stile und die Dauer der Praxis unterteilt (Anfänger, Mittelstufe, Fortgeschrittene). Bei den Tui Shou (Push Hands) Turnieren werden die Pools nach Gewichtsklassen und Geschlecht aufgeteilt. Bei einigen Veranstaltungen werden auch San Shou (Freikampf) Wettkämpfe ausgetragen.
In vielen Ländern Europas wie UK, Holland und Frankreich gibt es bereits seit mehreren Jahren Tai Chi Turniere. Die Tai Chi Wettkampfkultur ist in Deutschland nicht sehr ausgeprägt. In jüngster Zeit gibt es immer mehr kleine Turniere. Es besteht die Absicht, auch in Deutschland mehr Wettkämpfe zu organisieren und in Zukunft deutsche Meisterschaften auszutragen. Das erste bundesweite Tai Chi Turnier wurde Pfingsten 2012 in Hannover ausgetragen. Es wurde von Taiji-Europa in Kooperation mit dem Taijiquan und Qigong Netzwerk Deutschland e. V. und mit anderen Schulen, bzw. Organisationen veranstaltet.

Videos zu Tai Chi Wettkämpfen finden sie in unserem Mediabereich.

Tai Chi Videos und DVD’s

Der Markt bietet zahlreiche Tai Chi Videos von diversen Lehrern aller Stile. An erster Stelle stehen Videos für Anfänger, die für den Massenmarkt produziert wurden, gefolgt von Videos zu den diversen Tai Chi- Handformen, Schwertformen und Partnerübungen wie Push Hands (Tui Shou).

Tai Chi sollte nicht im Selbststudium von einer Tai Chi DVD oder aus einem Buch gelernt werden. Sie können den Lehrer nicht ersetzen. Videos und Bücher können aber eine gute Ergänzung zum Unterricht sein. Gerade die ersten Schritte auf dem Weg (Dao) sollten von einem Lehrer begleitet werden. Die Gefahr von ungünstigen oder gar schädlichen Gelenkstellungen beim Üben der Form ist sehr groß. Viele Aspekte des Tai Chi Chuan können nur durch einen erfahrenen und qualifizierten Lehrer vermittelt werden.

Tai Chi Verbände

Es gibt zahlreiche Tai Chi Chuan (Taijiquan) und Qigong Organisationen in Deutschland.

Deutscher Dachverband für Qigong und Taijiquan

Unter dem Dach des DDQT sind mehr als 50 Ausbildungsinstitute, Vereine und bundesweit tätige Verbände die großen alten Taiji-Stile inzwischen ebenso vertreten wie unabhängige bundesweite Verbände, wie zum Beispiel das Taijiquan & Qigong Netzwerk Deutschland e. V. und die Deutsche Qigong Gesellschaft e.V.

Der DDQT ist von den Krankenkassen im „Leitfaden für Prävention“ für die Erstattung von Einführungskursen in Qigong und Taijiquan als Partner für Ihre Mitglieder anerkannt.

Taijiquan und Qigong Netzwerk e. V.

Das Netzwerk (TQN) ist die älteste Taiji- Organisation hierzulande. Pioniere der Szene haben es vor ca. 25 Jahren gegründet, um eine bessere Vernetzung von Schülern und Lehrern chinesischer Bewegungskünste zu schaffen.

Das Netzwerk will ein bundesweiter Ansprechpartner für alle Fragen zu Tai Chi, Qigong, Ausbildung, Kurse und bietet seinen Mitgliedern neben der Zertifizierung von Lehrkräften auch andere Dienstleistungen bis hin zu Beratungen zur Selbstständigkeit an.

Weitere Tai Chi Verbände in Deutschland

Weitere Informationen zu Vereinen und Verbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz finden Sie in unsere Rubrik „Tai Chi Chuan und Qi Gong Organisationen

Taijiquan – Die Schriftzeichen im Detail

Von Wang Ning

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Taijiquan ist neben dem chinesischen Essen, der chinesischen Medizin etc. ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Kultur geworden, welcher im Westen große Beliebtheit erreicht hat. Vor nicht all zu langer Zeit war Taijiquan noch ein Fremdwort und wenn, dann unter dem Begriff Schattenboxen bekannt. Es wurde als „langsame Gymnastik“ bezeichnet und folgendermaßen dargestellt: „Die alten Leute in China machen diese Übungen morgens im Park“. Heutzutage kann man fast mit jedem über Taijiquan sprechen, ohne zuerst den Begriff erklären zu müssen. Taijiquan ist in. Diese Bewegung hat auch Auswirkungen auf sein Heimatland. China selbst strengt sich viel mehr an, um diesen Schatz, und das damit verbundene Wissen, aus der verborgenen Tiefe herauszuholen. Es ist nicht mehr eine einfache „Alte-Leute-Sache“. Es ist ein zutiefst interessanter Teil der Kampfkunst und Lebensphilosophie. Die Legende lebt.

Taijiquan beinhaltet allein durch seinen Namen wesentlich mehr Elemente als eine Sportart. Nicht umsonst lernt man z.B. in Kursen seine Geschichte kennen, die das Denken der Chinesen und deren Art zu handeln umfasst. Keine andere Kampfkunst besitzt eine ähnliche Popularität und Verbreitung.

Taijiquan hatte zuvor bereits viele Namen, so z.B. „lange Faust“ (Changquan), „Baumwolle Faust“ (Mianquan) oder „weiche Hand“ (Ruanshou). All diese Begriffe betonen direkt die „weiche Kraft“. Schließlich wurde der Name mit „Taiji–Faust“ besiegelt. Dabei verkörpert Taiji die wichtigste Philosophie Chinas, die den Inhalt dieser „weichen“ Kampfkunst in höchstem Maße erweitert.

Eins bedeutet Anfang und damit ist Taiji gemeint. Dao – der Weg- baut auf dieser Eins auf, erschafft den Himmel und die Erde und verwandelt sie in alle „zehntausend Dinge“ (Wan Wu)

Das chinesische Schriftzeichen für „Eins“ wird im alten Lexikon „Shuo Wen Jie Zi – Wort- und Zeichenerklärung“ so definiert: Eins bedeutet Anfang und damit ist Taiji gemeint. Dao – der Weg- baut auf dieser Eins auf, erschafft den Himmel und die Erde und verwandelt sie in alle „zehntausend Dinge“ (Wan Wu). In der Tat steht die Eins immer an der ersten Stelle der Wörterbücher. Danach folgen alle anderen Wörter. Wenn wir diese Eins vertikal hochstellen und dreidimensional betrachten ist es eine Säule. Mit Worten beschreibt man dies als Taiji – die „höchste Säule“. Dabei steht das Zeichen „Tai“ für „höchst“, wie ein „großer Mensch auf der Erde“ dargestellt wird, während „Ji“ für Säule aus „einem Baum und einem Menschen, der zwischen Himmel und Erde steht“ zusammengesetzt wird. Die gegenüberstehenden zwei Pole nennen wir Yin und Yang. Bewegung (Dong) und Stille (Jing), hart (Gang) und weich (Rou) stehen beispielhaft für die komplementären Gegensätze im Yin/Yang-Konzept. Schon im Yijing und daraus abgeleiteten klassischen Schriften des Taijiquan heißt es, dass „Bewegung Yang, Stille Yin erzeugt“. Vielleicht ist das der Grund, warum das Taijiquan nach dem herausragenden philosophischen Begriff „Taiji“ benannt wurde.

Qi, das alte Schriftzeichen „Qi“ wird wie die „Luft“ dargestellt. Sie strömt, fließt und umfasst alles.

Eine wichtige Rolle hierbei spielt auch das Wort „Qi“. Das alte Schriftzeichen „Qi“ wird wie die „Luft“ dargestellt. Sie strömt, fließt und umfasst alles. (Das Schriftzeichen hat später diese Form angenommen: in der Mitte das Zeichen „Reis“, in dem Sinne, dass das Essen Energie gibt, oder die „acht Himmelsrichtungen“, weil das Zeichen die acht Himmelsrichtungen kennzeichnet). Daher gibt es kein passenderes Bild für die Darstellung der „Energie“ als die „Luft“. Sie wird auch als „Atem“ übersetzt. Im Taijiquan legen wir eine besondere Aufmerksamkeit auf das Ein- und Ausatmen, weil es den ewigen „Kreislauf“ symbolisiert. Die Luft oder auch die Energie geht nur dahin, wo es „leer“ ist. Daher betont man immer das Wort „Song“ für „locker“ oder „Entspannung“. Nur der entspannte Körper bietet diesen leeren Platz.

„Song“ für „locker“ bedeutet eigentlich die „Kiefer“, die tiefe Wurzeln hat, dessen Wipfel hoch in den Himmel ragt und die ein langes Leben symbolisiert.

„Song“ für „locker“ bedeutet eigentlich die „Kiefer“, die tiefe Wurzeln hat, dessen Wipfel hoch in den Himmel ragt und die ein langes Leben symbolisiert. Es ist nahezu das Traumsymbol für Qi-Übende, wenn man „im Mondschein unter der Kiefer meditiert und beim Sonnenaufgang mit den Wolken wandelt“. Man soll stabil und gleichzeitig locker wie eine Kiefer sein.

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Zu dieser Übungskategorie gehört auch Zhanzhuang – die stehende Säule. Sie ahmt die Kiefer auf diese Weise nach. Das chinesische Zeichen „Zhan“, „stehen und aufrechtstehen“, setzt man einfach aus „einem stehenden Menschen und einer Flagge auf einer Burg“ zusammen, während  für das Zeichen „Zhuang“ zwei unterschiedliche Schreibweisen bekannt sind. Das alte „Zhuang“ setzt man aus „einem Baum und einem Mörser mit einem Stößel“ zusammen, symbolisch soll es der tief in den Boden gestampfte Pfahl sein. Das eue Zeichen setzt man aus „einem Baum und einem Dorf“ zusammen. Vielleicht ist es ein Zufall, dass diese Darstellung das verkleinerte Ebenbild von „Ji“, also das kleine Universum symbolisiert. Auf jeden Fall zeigt die Haltung einen Menschen zwischen Himmel und Erde stehend.

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Um das zu erreichen braucht man „Yi“, weil es um Wahrnehmung geht. Das Zeichen „Yi“ besteht aus dem „Herzen und der Stimme“. Lexikalisch bedeutet das Wort den „Sinn“ oder die „Idee“ oder die „Bedeutung“. Abgeleitet vom Hauptsinn wird das Zeichen auch im folgenden Sinne interpretiert: „Absicht, Wunsch, Wille, Vorstellung Bewusstsein“ etc. Als Verb bedeutet „Yi“ „denken“ oder „ausdenken“ oder „erraten“ oder „fühlen“. Große Kraft ergibt sich, wenn „Xin“(das Herz) und „Yi“ vereinigt werden (Xin Yu Yi He). Es ist möglich, Yi und Xin zu trainieren.

Der Platz dafür heißt im Buddhismus „Kong“ – die Leere-, im Sinne von „frei von allen Hindernissen“. Im Daoismus ist es Dao – der Weg-, im Sinne von „natürlichem Dasein“. Das Yi im Training einzusetzen, verhindert  jegliche unnötige „Kraftverschwendung“. Das ist die Kunst der Weichheit. Weichheit, weil alle anderen Worte, die wir im Taijiquan häufig erwähnen, „mit der Kraft“ Li zu tun haben, die in diesem Zusammenhang lediglich die „Härte“ zeigt.

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Das chinesische Schriftzeichen für Kraft ist „Li“. Das wird im alten Zeichen wie ein „Pflug“ dargestellt. Der Pflug stellt übermenschliche „Kraft“ dar. Eine Menge Schriftzeichen tragen diese „Kraft“ in sich:

„Gong“ wie Qigong oder „Gongfu“ für die harte Leistung

„Jin“ für die Kraft

„Shi“ für die Stärke und Macht

„Dong“ für die Bewegung

„Yong“ für die Tapferkeit

„Lao“ für die Arbeit

„Le“ für Zügelanziehen

„Qin“ für den Fleiß

„Sheng“ für den Sieg

„Lie“ für die Schwäche

(Das Zeichen setzt man aus „Wenig und Kraft“ zusammen).

Taijiquan zu üben schont die Kraft, stärkt die Energie. Das ist die Übung der Bewegung (Dong) und Stille (Jing), hart (Gang) und weich (Rou).

Kalligraphien: Wang Ning

Video „Kalligraphie Taiji Quan“

Aussprache Taiji Quan:

Kurze Geschichte des Taijiquan

Von Freya und Martin Bödicker

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Die historischen Quellen zur Geschichte des Taijiquan erstrecken sich über Legenden, Erzählungen, Anekdoten und klassische Texte hin bis zur ersten echten Taiji-Literatur im 20. Jahrhundert. Es ist bis heute kaum möglich, hieraus eine zusammenhängende, schlüssige Geschichte des Taijiquan zu konstruieren. In den Quellen sind nicht einmal zwei Stammbäume der Taiji-Meister identisch. Die existierenden Dokumente sind in sich widersprüchlich und es gibt kaum ein Detail oder eine Aufzeichnung, welche nicht Thema erbitterter Expertendebatten wäre. Aber auch wenn wir uns über die Geschichte des Taijiquan nicht sicher sein können, soll hier doch ein kurzer Überblick über wichtige Perioden gegeben werden.

Die Legende schreibt die Erschaffung des Taijiquan einem Zhang Sanfeng zu. Er sei 1274 geboren, soll während der Yuan- und der Ming-Dynastie gelebt haben und im Alter von 110 Jahren gestorben sein. In jungen Jahren war Zhang Sanfeng ein konfuzianischer Gelehrter, aber nach dem Tode seiner Eltern wurde er daoistischer Mönch. Nach vielen Jahren der Wanderschaft, während der er Hunger und Kälte trotzte, zog er sich als Eremit in die Wudang-Berge zurück. Dort vertiefte er sich in Studien des Daoismus, der Astrologie und der Alchimie. Vor seiner Hütte soll Zhang Sanfeng einen Kampf zwischen einer Schlange und einer Elster beobachtet haben. Die Schlange wich den Angriffen des Vogels mit kreisförmigen Bewegungen aus und die Attacken gingen ins Leere. Nach einiger Zeit zog sich der erschöpfte Vogel zurück. Beeindruckt vom Sieg der Schlange durch ihre Weichheit und Geschmeidigkeit soll Zhang Sanfeng dann das Taijiquan nach dem Prinzip des Wechsels von Yin und Yang erschaffen haben. Dieser Teil der Legende kann durch historische Quellen nicht bestätigt werden. So findet man etwa in der »Dynastie-Geschichte der Ming« die Biographie eines Zhang Sanfeng, aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass dieser der Begründer einer neuen Kampfkunst gewesen wäre. Trotz- dem wurde Zhang Sanfeng zum Patron des Taijiquan.

Die Wurzeln

Die Wurzeln des Taijiquan finden sich in der Geschichte der chinesischen Kultur. Schon seit langer Zeit übten sich Chinesen in Kampfkunst, seit dem 17. Jahrhundert finden sich auch erste schriftliche Hinweise auf eine Einteilung in »innere« und »äußere« Kampfkünste. So heißt es zum Beispiel bei dem Gelehrten Wang Lizhou (1610 – 1695), der am Ende der Ming- und Anfang der Qing-Dynastie lebte: »Es gibt nun die so genannte innere Kampfkunst, welche dem Angriff mit Ruhe begegnet. Der Gegner wurde meist bei der ersten Berührung der Hände zu Boden geworfen. Das ist anders als bei der harten, äußeren Schule der Shaolin.«

Die inneren Kampfkünste sind sicherlich aus den äußeren Kampfkünsten hervorgegangen. In dem »Klassiker der Kampfkunst« des Generals Qi Jiguang (1528 – 1587) wird eine große Anzahl an verschiedenen Kampfkunstschulen der Song- und der Ming-Zeit genannt (Taijiquan war nicht darunter). Qi Jiguang erlernte diese verschiedenen Kampfkünste und verschmolz sie zu einem neuen System. In seinen Aufzeichnungen verwendet Qi Jiguang zwar keine Bezeichnungen wie »innere« oder »äußere Schule«, aber 25 Namen seiner Po- sitionen wie zum Beispiel »Einfache Peitsche« finden sich auch in den Taijiquan- Formen der Familie Chen. Damit ist der Stil Qi Jiguangs sicherlich einer der Vorläufer des Taijiquan.

Einer der herausragenden Unterschiede zwischen den inneren und den äußeren Schulen ist die Favorisierung der weichen Strategie. So findet man etwa bei Chang Naizhou, der während der Qing-Long-Periode (1736 – 1795) eine heute fast verlorene innere Kampfkunst übte, folgende Stelle: »Es ist auch wichtig, keine Kraft zu verwenden und vielmehr alle Stellungen natürlich und langsam in runden, tanzgleichen Bewegungen auszuführen. Koordiniere den ganzen Körper in ein vereinigtes Ganzes und lasse ihn leicht, lebendig und vollkommen werden. Wo immer Steifheit und Ungelenkigkeit sind, löse sie Schritt für Schritt durch die Stellungen auf. Wenn du die Haltungen übst, entspanne dich und öffne alle Gelenke deines Körpers.« Man erkennt hier deutlich eine Sprache, wie sie auch in der Taijiquan-Theorie verwendet wird. Die Taijiquan-Theorie ist also nicht aus sich heraus entstanden, sondern hat ihre Vorläufer in den inneren Kampfkünsten. So zeigt sich letztendlich, dass über den Weg der äußeren Kampfkünste hin zu den inneren Kampfkünsten die Grundlage für die Entstehung des Taiji- quan gebildet wurde.

Die Entwicklung des Taijiquan durch die Familien Chen, Yang, Wu, Wu (Hao) und Sun

Die Bezeichnung Taijiquan taucht erst recht spät in der Literatur auf. Die früheste Stelle findet sich wohl im Buch »Taijiquan Tushuo« von Chen Pinsan (1849 – 1929). In diesem Buch wird als Begründer des Taijiquan Chen Wangting (1600 – 1680) angegeben. Chen Wangting gehörte zur der neunten Generation der Familie Chen und lebte zum Ende der Ming-, Anfang der Qing-Zeit im Dorf Chenjiagou im Distrikt Wen in Henan.

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Die Familie Chen war schon seit alters her für ihre Kampfkunst bekannt. So wuchs Chen Wangting in dieser Tradition auf und war schon früh als Kampfkunstexperte geachtet. Während der Zeit des Zusammenbruchs der Ming-Dynastie diente Chen Wangting als Offizier und soll viele Unruhen und Rebellionen niedergeschlagen haben. Nach dem Ende der Ming-Dynastie zog sich Chen Wangting dann zurück. Beeinflusst durch den Daoismus und auf der Grundlage verschiedener Kampfkünste entwickelte er einen neuen Kampfkunststil. Dabei stützte er sich unter anderem auf den »Klassiker der Kampfkunst« des Generals Qi Jiguang und die Techniken des Daoyin (meditative, gymnastische Übungen) und des Tuna (spezielle Atemübungen). Das heißt, er verband Übungsprinzipien aus den Kampfkünsten mit solchen, die auf die Stärkung der Gesundheit ausgerichtet waren, innerhalb eines Bewegungssystems. Dieser neue Stil sollte von nun an über mehrere Generationen innerhalb der Familie Chen weitergegeben und gepflegt werden. Erst im 19. Jahrhundert verließ das Taijiquan diesen familiären Rahmen. Chen Changxing (1771 – 1853), ein geübter Kämpfer aus der Familie Chen, akzeptierte Yang Luchan (1799 – 1872) als Schüler, der es sowohl in seiner Heimat Yongnian in der Provinz Hebei als auch in Beijing bekannt machte.

Yang Luchan, auf den der Yang-Stil zurückgeführt wird, unterrichtete Taijiquan in Beijing am Hofe des Kaisers. Da er für seine Kampfkunst sehr berühmt war, befanden sich unter seinen Schülern auch Soldaten und die Leibwächter des Kaisers. Eine Anekdote aus dieser Zeit berichtet uns Folgendes: Als Yang Luchan in der Hauptstadt lebte, gab es dort einen Kampfkünstler, der sich auf das Pressen von Akupunkturpunkten spezialisiert hatte. Als er von Yang Luchan hörte, forderte er ihn heraus. Yang Luchan stimmte zu und beim Wettkampf griff er schnell das Handgelenk des Gegners und benutzte eine Sehnenpresstechnik. So war es dem Angreifer nicht möglich, die Finger zu benutzen. Yang Luchan beruhigte den Verlierer mit den Worten, dass sein Training, obwohl er verloren hatte, nicht umsonst war, denn ohne das Training wäre er sicherlich ernsthaft verletzt worden.

Yang Luchans Wirken am Kaiserhof sollte so erfolgreich werden, dass man ihm den Spitznamen Yang, der Unbesiegbare gab. Unter seinen Schülern war auch der Mandschure Wu Quanyou (1834 – 1902). Dieser lernte als kaiserlicher Offizier von Yang Luchan und dessen zweitem Sohn Yang Banhou (1837 – 1892) und zeichnete sich dadurch aus, dass er unter Yang Luchans Schülern das Neutralisieren einer auf ihn zukommenden Kraft, eine wichtige Fähigkeit im Taijiquan, am besten meisterte. Zur Zeit Yang Luchans und Wu Quanyous war das Taijiquan nur in einem sehr kleinen Zirkel von Kampfkünstlern verbreitet und Bezeichnungen wie Yang-Stil oder Wu- Stil gab es noch nicht. Erst mit dem Ende des chinesischen Kaiserreiches und dem Beginn der Republik China wurde das bis dahin weitgehend geheime Taijiquan erstmals öffentlich unterrichtet. Schon 1911 unterstützte der Leiter der »Forschungsgesellschaft für Leibeserziehung« in Beijing, Xu Yusheng, traditionelle Techniken der Selbststärkung. Er sprach 1912 Einladungen an bekannte Taijiquan-Meister wie Yang Chengfu (1883 – 1936), den Enkel Yang Luchans, und Wu Jianquan (1870 – 1942), den Sohn Wu Quanyous, aus, an seinem Institut in Beijing zu unterrichten. Damit war das Taijiquan »aus der Tür gegangen«, das heißt, von diesem Zeitpunkt an trat es erstmals aus einem begrenzten privaten Bereich heraus an eine breite Öffentlichkeit. Die Forschung und der Austausch in dieser Periode sind ein wichtiger Grund, warum Taijiquan in China so populär wurde.

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Das Taijiquan, welches in dieser Zeit entwickelt wurde, sollte sich gegenüber dem Taijiquan der Kaiserzeit stark verändern. Die Formen bekamen ein gleichmäßiges langsames Tempo; schnelle Schläge und Sprünge wurden entfernt. Es entstand das »moderne« Taijiquan, dessen Formen heute weltweit gelehrt werden. Die langsame Form, die Yang Chengfu in dieser Zeit schuf, wird als großer Rahmen des Yang- Stils bezeichnet. Ebenfalls als Teil dieser Entwicklung schuf Wu Jianquan aus dem Taijiquan seines Vaters eine langsame Form, die von nun an als (neuer) Wu-Stil ähnlich beliebt wurde wie der Yang-Stil. Im Jahre 1928 zog mit Chen Fake (1887 – 1957), dem Urenkel von Chen Changxing, erstmals ein Mitglied der Familie Chen nach Beijing. Von nun an verbreitete sich der Chen-Stil wie der Yang- und der Wu-Stil über ganz China.

Wu Yuxiang (1812 – 1880), ein Han-Chinese, entwickelte ein weiteres Taijiquan auf der Basis des Chen- und des Yang-Stils, das als Wu (Hao)-Stil oder alter Wu-Stil bezeichnet wird. Er gab diese Kunst über Li Yiyu (1832 – 1892) an Sun Lutang (1861 – 1932) weiter. Sun Lutang war nicht nur für seine Fähigkeiten in den inneren Kampfkünsten Xingyiquan, Baguazhang und Taijiquan bekannt, er war auch ein Pionier des Kampfkunstunterrichts. So schrieb er mehrere Bücher, in denen er versuchte, die Kampfkunstpraxis mit der chinesischen Philosophie zu verbinden, und er war einer der ersten, der auch eine Kampfkunstschule nur für Frauen gründete. Sun Lutang begründete den Sun-Stil, der auch Techniken aus Baguazhang und Xingyiquan einbezieht.

Die spätere Entwicklung

In der darauf folgenden Entwicklung spalteten die Stile sich in viele verschiedene Unterstile auf. Um das Taijiquan besser der modernen Zeit anzupassen, wurden spätestens seit der Mao-Zeit auch stark verkürzte Formen wie die »Pekingform« entwickelt. Viele Chinesen, die ihr Heimatland verließen, nahmen das Taijiquan in ihre neue Heimat mit und verbreiteten es so in der ganzen Welt. Langsam, aber sicher hat das Taijiquan sich damit weltweit zu einer der wichtigen Techniken der Selbstkultivierung entwickelt. Durch die einmalige Verschmelzung von Kampfkunst, Gesundheitspflege und Philosophie hat es seinen Platz in der modernen Welt gefunden. Dabei reicht die Entwicklung des Taijiquan von der mythischen Zeit der chinesischen Vergangenheit über die inneren Kampfkünste hin zu den fünf verschiedenen Familienstilen Chen, Yang, Wu, Wu (Hao) und Sun und ihren Nachkommen, den modernen Kurzformen. Der Charakter des heutigen Taijiquan variiert dabei von der reinen Meditations- und Gesundheitsform bis hin zur mittelalterlichen Kampfkunst, aus der es entstanden ist.

Tipps für Tai Chi Anfänger

Tai Chi Fächer, Foto: Taiji-Europa
Tai Chi, Schert, Jian