Tai Chi- und Qigong-Unterricht in Ost und West
Traditioneller Tai Chi– und Qigong-Unterricht in China findet oft zweimal täglich im Park oder alleine bzw. in kleiner Gruppe beim Meister zu Hause statt. Der Meister belehrt in der Regel über einen jahrelangen Zeitraum und die Mitgliederzusammensetzung der Lerngruppe bleibt dabei sehr stabil. Das Ideal eines solchen traditionellen Tai Chi- und Qigong-Unterrichts ist die enge Meister-Schüler-Beziehung.
Diese Art des Unterrichts ist in Deutschland nur sehr selten zu finden. Viel eher wird Tai Chi Chuan und Qigong in einem einmal wöchentlich stattfindenden Abendkurs oder in Form eines Wochenendseminars angeboten. Die Kurse finden nur für eine relativ kurze Zeit und in einem größeren, geschlossenen Raum statt. Die Mitgliederzusammensetzung der Gruppe ändert sich hin und wieder. Die pädagogische Form eines solchen westlichen Tai Chi- und Qigong-Kurses ist die Lehrer-Schüler-Beziehung.
Pädagogik
Diese deutliche Veränderung in der Struktur und in den Rahmenbedingungen des Tai Chi- und Qigong-Unterrichts bietet den Anlass, noch einmal vertiefend über die Art und Weise des heutigen Tai Chi- und Qigong-Unterrichts nachzudenken.
Als Grundlage dafür kann die moderne westliche Pädagogik dienen. Pädagogik ist die Disziplin, die sich mit der Theorie und Praxis von Bildung, Erziehung und Unterricht beschäftigt. Wichtige Fachbegriffe der Pädagogik sind z.B. das Lehren, die Motivation zum Lernen, Didaktik und Methodik. Wesentliche Anregungen zur Gestaltung des Tai Chi- und Qigong-Unterrichts lassen sich in der Sportpädagogik finden. Wie sehr Unterricht davon profitieren kann, soll anhand einer Methode der Sportpädagogik erläutert werden.
Das Fragen im Tai Chi- und Qigong-Unterricht
Im klassischen chinesischen Unterricht führt der Meister vor, erklärt und korrigiert. Der Schüler kopiert und übt. Fragen an den Meister sind eher unüblich. Dies ist auch nicht so notwendig. Da der Schüler täglich beim Meister übt, hat er viel Zeit, sich im bei sein des Meisters selbstständig mit der Materie auseinanderzusetzen und diese langsam zu verinnerlichen. So nähert er sich still Schritt für Schritt seinem Vorbild an.
In einem westlichen Tai Chi- und Qigong Unterricht ist dagegen die Zeit mit dem Lehrer eher begrenzt. Der Schüler übt zu Hause ohne Kontrolle des Lehrers. Das Risiko Falsches zu üben und sich anzugewöhnen ist groß. Daher ist der Zugang zu Wissen und Kontrolle durch Fragen im Unterricht sinnvoll und entspricht auch den Gewohnheiten des Schülers.
Doch welche Fragen sind sinnvoll?
Die folgenden Hinweise sollen helfen, zwischen guten und schlechten Fragen zu unterscheiden:
Gute Fragen
– machen neugierig auf die Antwort
– berühren gemeinsame Interessen der Gruppe
– verdeutlichen Wünsche
- führen zu weiteren Fragestellungen
Schlechte Fragen
– fordern Ja-Nein-Antworten
– fordern einen Beweis
- sind sachlich zu spezialisiert
– dienen nur der Selbstdarstellung oder der Rechtfertigung
– berufen sich auf nicht anwesende Kapazitäten
– stellen die Inkompetenz des anderen heraus
Wie sollte ein Lehrer mit schlechten Fragen umgehen?
Geht er auf die Frage ein, stört dies den Unterricht. Weist er die Frage ab, können andere Fragesteller mit guten Fragen Hemmungen bekommen, sie zu stellen. Das ist unbedingt zu vermeiden.
Eine einfache Lösung ist es, den Fragesteller und Interessierte auf die Zeit nach dem Unterricht zu verweisen. So wird der Fragesteller nicht abgewiesen, die schlechte Frage aber auch nicht Thema im Kurs.
Was gibt es zum Thema „Fragen im Unterricht“ für den Lehrer zu bedenken?
– Entwickle ich eine Unterrichtsatmosphäre, bei der die Schüler das Gefühl haben, dass Fragen willkommen sind?
– Stelle ich selber den Schülern Fragen?
- Kann ich sicher zwischen guten und schlechten Fragen unterscheiden?
– Wie gehe ich mit Schülern um, die in erhöhtem Maße schlechte Fragen stellen?
Viele weitere Anregungen zum Thema „Tai Chi Chuan bzw. Qigong und Pädagogik“ finden sich in dem Buch „Optimaler Tai Chi- und Qigong-Unterricht“.
Autor: Martin Bödicker
Fotos: Archiv Bödicker und Taiji-Euopa