Stressmanagement mit Tai Chi
Stress ist eine körperliche und geistige Belastungserscheinung, die chronisch werden kann und zu einer Vielzahl an Störungsmustern führen kann. Wenn sich ein Mensch durch Herausforderungen überfordert fühlt, entwickeln sich Druckgefühle und Anspannung. Hier eignet sich Tai Chi als eine sanfte Gegenmaßnahme, um Druck, Blockaden und Anspannungen aufzulösen.
Stress ist zunächst keine rein negative Wirkung – im Gegenteil: Stress ist sogar überlebensnotwendig, weil er den Menschen in eine erhöhte Handlungsbereitschaft versetzt und so die Bereitschaft von Entscheidungen und Aufmerksamkeitslenkungen fördert. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich ein Lebewesen mit einer Situation überfordert fühlt und glaubt, einem zeitlich andauernden aversiven Reiz nicht mehr entkommen zu können, entwickelt sich der Stress zu einer negativen Wirkung. Die Gefühle der Überforderung, Belastung und Einengung sind heutzutage leider zu große Teilen Normalität geworden. Die Stresstoleranz sinkt und die Menschen neigen immer früher zu unangemessenen Verhaltensweisen, die eine Situation eher verschlimmern, als entschärfen, weil der aufgebaute Druck nicht in günstige Bahnen abgelenkt werden kann. Tai Chi basiert auf den Grundprinzipien des Entspannens und Sinkens. Diese Prinzipien sind zur Stressbewältigung hervorragend geeignet, weil sie zeigen, wie mit äußeren Reizen in achtsamer und verschleißarmer Weise umgegangen werden kann.
Tai Chi und der Stress beim Menschen
Tai Chi – den Stress annehmen statt gegen ihn zu wirken
Tai Chi und der Stress beim Menschen
Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle zum Stress. Ein gängiges ist das sogenannte Stimuluskonzept, bei denen der Schwerpunkt auf den Umweltfaktoren liegt. Bestimmte Reize werden als Stressoren bezeichnet, die zu den stresstypischen Gefühlen im Menschen führen. Dazu gehören zum Beispiel der Zeitdruck, zwischenmenschliche Konflikte oder Verkehrsunfälle. Je nachdem, wie die individuellen Merkmale eines Menschen ausgeprägt sind, werden so mehr oder weniger äußere Reize als Stressoren erlebt. Auch wenn dieses Modell immer wieder Kritik erfährt, ist es gut geeignet, um die positiven Wirkungen des Tai Chi bei Stress hervorzuheben. Wer nämlich regelmäßig Tai Chi übt und über die bloße Form der Bewegungen hinaus Partnerübungen integriert, der lernt systematisch mit äußeren Reizen umzugehen, auch wenn diese in erster Linie auf zwischenmenschliche Ereignisse beschränkt bleiben. Gerade wenn es darum geht, äußeren Druck wahrzunehmen und diesen im eigenen Handlungsfeld zu steuern, ist Push Hands eine hervorragende Übung. Die Partner stehen sich gegenüber und berühren sich an den Handgelenken. Dann geht es darum, die Gewichtsverlagerungen und Kraftlinien des Gegenübers zu erspüren und die gegnerische Energie, die auf einen gerichtet wurde, so umzulenken, dass sie am eigenen Körper vorbei geleitet wird oder sogar auf den Gegner zurückgelenkt wird. Damit die Übung funktionieren kann, müssen beide Partner entspannt sein und in ihrer Mitte ruhen. Die Entspannung ermöglicht das Erfühlen der gegnerischen Kräfte und das Ruhen in der Mitte erlaubt eine hohe Stabilität und Kraftentwicklung bei minimalen Bewegungsveränderungen.
Tai Chi – den Stress annehmen statt gegen ihn zu wirken
Tai Chi lehrt, dass es besser ist, die gegnerische Energie aufzunehmen und umzulenken, statt sie aufhalten zu wollen. Das bedeutet, dass man sich nicht gegen eine bereits vorhandene Kraft stellt, sondern dass diese Kraft genutzt wird, um eigene Kräfte freizusetzen. Dieser Ansatz steht im Einklang mit taoistischen Grundsätzen, wonach die Welt in Zyklen abläuft und der Mensch nichts weiter tun muss, als sich diesen natürlichen Zyklen anzupassen. Auch hier ist der Bezug zum Stress erkennbar: Es geht nicht zwangsläufig darum, Stressoren zu beseitigen oder Situationen, die man womöglich gar nicht verändern kann, verändern zu wollen, sondern man sollte lernen, die Dinge, so wie sie sind, zunächst anzunehmen, weil sie Teil des großen Ganzen sind. Den Stressoren wird damit nicht entgegengewirkt, was wiederum mehr Stress bedeuten würde, sondern sie werden angenommen und bereits durch diese Annahme verändert. Tai Chi lehrt, den äußeren Druck für sich selbst zu nutzen. Die Stressoren können so zu produktiven Energien werden, vorausgesetzt, man hat Geduld und Gelassenheit kultiviert. Denn damit äußere Kräfte genutzt werden können, bedarf es des richtigen Timings, um im richtigen Moment das Richtige zu tun. Geduld und Gelassenheit sind Ziele des Tai Chi-Trainings. Sie sind aber auch Mittel, um sowohl im Training als auch im Alltag mit den eigenen und fremden Energien gut wirtschaften zu können. Stress gehört zum Leben dazu. Es werden immer wieder Situationen entstehen, in denen Stressoren den Menschen herausfordern werden. Wie dieser Herausforderung aber begegnet wird, hängt vom Menschen ab: Will man eine negative Herausforderung sehen, die einen unter Druck setzt und Belastungssymptome erzeugt, oder will man eine positive Herausforderung sehen, die anspornt und womöglich zusätzliche Energie freisetzt?
Autor: Christoph Eydt
Fotos: Taiji-Europa