Der Ball – Die Ausdehnung im Taijiquan

Taijiquan setzt sich aus Wechselwirkungen zusammen. Eine davon ist das Zusammenziehen und das Weit-werden: Wie ein Ball der auf eine Oberfläche trifft und von dieser abgeprallt wird.

Die Voraussetzung für gute Taijiquan-Fertigkeiten ist ein sicherer Stand mit einer guten Struktur und einer bestimmten Entspannungsqualität, so dass alle Gliedmaßen miteinander in Verbindung gebracht werden können. Beim push-hands zeigt sich, dass ein guter Stand und eine hohe Beweglichkeit noch nicht ausreichend sind, um gegen einen Druck bestehen zu können. Man muss selbst auch in der Lage sein, einen Druck abzugeben, damit man dem Gegenüber zusetzen kann.

Für das Ausüben von Druck muss sich der Körper ausbreiten, er muss weit werden und bestimmte Räume ausfüllen können. Der Körper des Taijiquan-Übenden muss sich zwischen dem Boden und dem Kontaktpunkt zum Partner soweit ausdehnen können, dass eine Wirkung wie bei einem Expander erreicht werden kann, der gestreckt wird und dadurch eine Spannung erzeugt.

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Der Körper als Ball

Durch die richtige Körperstruktur werden bestimmte Verbindungen im Körper möglich, die eine hohe Beweglichkeit und Kraftentfaltung ermöglichen. Der Ball kann zum besseren Verständnis vor dem eigenen Körper visualisiert werden. Doch auch ohne eine konkrete Vorstellung kann das Ball-Prinzip umgesetzt werden.

taiji ball_2Der gesamte Körper muss rotieren. Es geht darum geradlinige Bewegungen mit Kreisbewegungen zu Spiralen zu verbinden. Der Ball wird zwischen den Händen, den Armen, der Brust und dem Rücken gebildet. Es heißt, dass der Rücken rund sein müsse. Dadurch wird ein Aufblähen der Brust verhindert und ein gewisser Hohlraum vorm Körper geschaffen, der zur Kraftentfaltung wichtig ist. Der Rücken ist senkrecht, der Kopf aufrecht und die Arme und Hände bilden einen Ball.

Die Beine und Füße dürfen hierbei nicht vernachlässigt werden. Auch sie sind Bestandteil des Balls. Dafür müssen die Knie geöffnet sein. Wichtig ist ein aktives Stehen auf der Fußsohle, damit ein eingehender Druck schnell gespürt und umgelenkt werden kann. Durch die korrekte Ausrichtung von Beinen und Füßen nehmen die Oberschenkel die Grundposition ein, von der aus die Hüftgelenke verschraubt werden können.

Das Becken

tai chi ball_1Das Becken als Bindeglied zwischen Oberkörper und Unterkörper nimmt eine wichtige Funktion ein. Es stellt den Mittelpunkt des Balls dar und muss darum sehr flexibel sein. Das Zentrum darf nicht aufgegeben werden. Dies würde zum Kollabieren führen. Der Ball kann nur ein Ball bleiben, solange er einen Mittelpunkt besitzt. Damit dies gewährleistet werden kann, darf das Becken nicht gekippt werden, dennoch muss es locker sein.

Ballbewegungen

Ein Ball ist rund, folglich müssen auch die Körperbewegungen im Taijiquan rund sein und nicht geradlinig. Die Bewegungen gehen vom Körperzentrum aus und manifestieren sich beispielsweise im Arm als Abrollbewegungen. Dabei wird niemals das eigene Zentrum aufgegeben. Die Voraussetzungen für runde Bewegungen sind eine optimale Entspannung und eine Körperstruktur, durch die die Gliedmaßen miteinander  verbunden sind.

Stößt der Ball auf einen Widerstand, beispielsweise eine Wand, so kann man dies in drei Phasen gliedern, die auch im Taijiquan nachvollziehbar sind:

  1. Die Flugphase des Balls (Er fliegt auf eine Wand zu)
  2. Der Kontakt mit der Wand (Der Ball prallt auf und zieht sich an der Auftrefffläche zusammen)
  3. Die Expansionsphase (Der Ball dehnt sich aus und federt sich von der Wand ab)

Im Taijiquan ist man selbst der Ball. Man pumpt sich sozusagen auf, um einen Widerstand von außen abprallen zu lassen. Man macht sich zum Trampolin, von dem der Gegenüber abgefedert werden kann. Man muss lernen, sich korrekt auszudehnen, um diese Wirkung zu entfalten.

Anwendung

Man steht parallel, entspannt und in guter Struktur. Der rechte Arm wird seitlich ausgestreckt. Ein Partner übt Druck auf den ausgetreckten Unterarm aus. Zuerst kann man versuchen, mit Kraft den Partner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das kann gelingen, ist jedoch mit Risiko verbunden, wenn der Partner über mehr Kraft verfügt als man selbst.

Als nächstes kann man versuchen, Taijiquan zu praktizieren. Man verändert seine eigene Position so, dass man den eigenen Schwerpunkt unter den des Partners bringt. Dadurch erhält man den Vorteil, der gegebenen Kraftlinie auszuweichen. Die drückende Person kann ihre Kraft nicht mehr entfalten, weil man selbst nicht mehr in der Kraftlinie steht. Sie drückt sozusagen gegen die Leere und verspannt sich dadurch. Sie gefährdet ihren sicheren Stand und wird angreifbar. Dies ist der Moment, den Ball aufzupumpen, sich zu entfalten und die absorbierte Kraft sowie die eigene in den Partner hineinzugeben. Man bleibt in der eigenen Struktur und beginnt die Ausdehnung, an der der gesamte Körper beteiligt ist. Füße, Beine, Hüfte, Oberkörper, Arme und Hände dehnen sich aus – sie werden lang. Diese Ausdehnung ähnelt einer Sprungbewegung. Man zieht sich zusammen, um sich im entscheidenden Moment vom Boden abzufedern und in eine Richtung zu springen.

Die Ausdehnung in der Übung richtet sich gegen den Partner. Das bedeutet, dass jeder Teil des eigenen Körpers auf das Zentrum des Partners gerichtet sein muss, auch der Arm, welcher gedrückt wird. Durch diese Ganzkörperbewegung nutzt man die eigene Masse, um den entwurzelten Partner aufwandslos von sich abprallen zu lassen. Die Schwerkraft spielt hierbei die entscheidende Rolle: Wie schnell kann ich mich fallen lassen (zusammenziehen) und zwischen den Punkten Boden und Partner wieder ausbreiten?

Gegenläufige Rotationen

Die obige Übung zeigt, wie der Ball rotieren kann. Während der Partner fest ist, also im Moment seiner Verspannung unbeweglich ist, ist man selbst locker genug, um in einer gegenläufigen „Walzbewegung“ den Schwerpunkt des Partners zu unterlaufen, seine Kraft in eine Kreisbewegung zu führen und gegen ihn zu richten.

Auto: Christoph Eydt

Fotos: Nils Klug