Qigong-Grundlagen „Bewegung, Atmung, Konzentration und Meditation“
Qigong ist eine alte chinesische Kunst, bei der Bewegung, Atmung, Konzentration und Meditation miteinander verschmelzen. Es wird in vielen verschiedenen Bereichen praktiziert – so zum Beispiel zur Vorbeugung oder Linderung von Krankheiten. Qigong gilt gemeinhin als entspannend und vitalisierend, so dass jeder davon auch in seinem Alltag profitieren kann. Wer beginnt, Qigong zu üben, der steht zumeist vor einem riesigen Feld an Fragen und Übungen. Was die Grundlagen für das Qigong-Training sind und wie sie entwickelt werden können, das wird im Folgenden erörtert.
Jeder, der sich mit Tai Chi oder Qigong beschäftigt, kennt sicher die Bilder und Videos von Menschen, die sich in Parkanlagen, an Stränden oder auf großen Wiesen treffen, um gemeinsam zu üben. Beim Qigong ist der Kontakt zur Natur eine wunderbare Erfahrung, die es den Übenden schnell ermöglicht, ein Bewusstsein für den eigenen Kosmos zu entwickeln. Der eigene Kosmos, sowie der Kosmos überhaupt, spielen im Qigong eine wesentliche Rolle, denn der Bewegungskunst liegen taoistische Gedanken und Anschauungen zugrunde. Wer Qigong über einen längeren Zeitraum übt, der wird auf der einen Seite ein besseres Gespür für seinen eigenen Körper bekommen. Auf der anderen Seite wird aber auch das Gespür für die Umwelt und die Zusammenhänge der Welt besser, so dass es einem leichter fällt, von den ich-haften Gedanken loszulassen.
Qigong – Was ist das?
Zunächst ist zu sagen, dass der Begriff „Qigong“ im Verhältnis zum Alter der damit bezeichneten Übungen noch sehr jung ist. Er stammt aus dem 20. Jahrhundert und kann mit „Energiearbeit“ übersetzt werden. „Qi“ ist die Energie und „Gong“ meint die Arbeit – hier allerdings im Sinne von Kultivierung oder Pflege und nicht im Sinne beruflicher Tätigkeiten. „Qigong“ ist ein Sammelbegriff für alle Übungen, bei denen es darum geht, den Qi-Fluss im Körper zu regulieren. Aus dieser Sicht kann auch Tai Chi als „Qigong“ bezeichnet werden. Zentrale Merkmale der Übungen sind langsame und fließende Bewegungen, die Verwendung der Vorstellungskraft und Atemregulierungen. Qigong kann im Stehen, Sitzen oder Liegen ausgeführt werden. Es gibt auch Übungen, bei denen keine äußeren Bewegungen praktiziert werden, sondern nur innere Prozesse initiiert werden. Hier sind die Atmung und die Vorstellungskraft die wichtigsten Grundpfeiler.
Qigong trägt zu einer Harmonisierung der Energien auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene bei. Es ist ein ganzheitliches System, welches so komplex und vielfältig ist, dass es auf den Einzelfall zugeschnitten werden kann. Es ist für jeden etwas dabei!
Qigong – Grundlagen fürs Üben
Wer mit Qigong beginnt und vorher noch keine Erfahrung mit diesem oder ähnlichen Systemen gemacht hat, der wird eine neue Bewegungsqualität kennenlernen, in der der Körper als Ganzes erfasst wird und in der es nicht darum geht, so viel Kraft wie möglich zu mobilisieren. Die wichtigste Grundlage für das Üben ist die Entspannung. Ohne Entspannung ist es nicht möglich, die Energie im Körper zum Fließen zu bringen, weil jede unnötige Anspannung eine Blockade darstellt. Das heißt nicht, dass man jede Muskelspannung aufgeben soll. Wäre dem so, würde man hinfallen. Es geht vielmehr darum, nur so viel Kraft aufzuwenden, wie geradeso erforderlich ist, um eine Bewegung so effektiv wie möglich auszuführen. Dabei soll der Bewegungsimpuls aus dem Körperinneren nach außen generiert werden.
Die Entspannung macht die Bewegungen nicht nur geschmeidiger und kraftvoller. Die Übenden gewinnen durch das aktive Entspannen ein tieferes Körperbewusstsein, weil so Wege im Körper freigelegt werden, die zur Übertragung von Kräften genutzt werden können. Entspannung meint darüber hinaus auch die mentale Komponente. Jemand, der unbedingt etwas erreichen will, der wird wesentlich angespannter sein, als jemand, der Freude am Augenblick empfindet und kein Ziel krampfhaft erreichen will. Qigong ist eine Einladung, sein Ziel durch Nicht-Handeln zu erreichen. Es geschieht aufwandslos und nahezu von allein. Das spart Energie und bringt ungeahnte Freiheiten mit sich, schon allein weil die immense Last von einem genommen wird, irgendetwas unbedingt erreichen zu müssen.
Eine weitere wichtige Grundlage ist die Konzentrationsfähigkeit. Diese ist erforderlich, um den Körper immer wieder neu auszurichten und um auf die inneren Prozesse zu achten. Wer unkonzentriert übt, der wird nur äußere Bewegungen ohne einen inneren Gehalt machen. Wer aber konzentriert bleibt, der lernt die Zusammenhänge in seinem Körper, zwischen Körper und Geist und zwischen sich selbst und seiner Umwelt kennen. Das Wort „Konzentration“ ist nicht mit einem willentlichen „Fest-Fokussieren“ zu deuten, sondern mit einer bewussten Achtsamkeit. Konzentration im Qigong bedeutet, aus der eigenen Mitte heraus die Prozesse im Körper und in der Umgebung wahrzunehmen. Für diese Wahrnehmung kann die Vorstellungskraft genutzt werden. Diese wird in vielen Bewegungssystemen genutzt, weil mithilfe der Vorstellung von Bewegungen diese besser eingeübt werden können. Die Vorstellungskraft hilft uns oft im Alltag, ohne dass wir ihr gewahr sind. Zum Beispiel stehen vor einem Hausbau die Idee, ein Haus zu bauen und Vorstellungen, wie das Haus und die einzelnen Räume zu gestalten sind. Die Vorstellungskraft führt auch den Körper, was beispielhaft beim autosuggestiven Training deutlich wird. Hier werden Zustände und Prozesse des Bewusstseins und des Körpers durch die Vorstellungskraft verändert.
Im Qigong gibt es viele verschiedene Vorstellungen, die parallel zur Ausführung von Bewegungen visualisiert werden. Zum Beispiel kann man sich vorstellen, wie Energie durch den Körper fließt. Oder man kann sich vorstellen, die Qigong-Übungen unter Wasser zu praktizieren. Durch diese Vorstellung verändert sich die Bewegungsqualität, weil ein imaginäres Hindernis überwunden bzw. ausgenutzt wird. Der Körper passt sich der Vorstellung des Unter-Wasser-seins an. Und wer schon einmal unter Wasser versucht hat, sich zu bewegen, der wird wissen, wie anstrengend die Bewegungen sind und wie schwer es ist, das Gleichgewicht zu halten. Die Vorstellungskraft trägt dazu bei, die Bewegungsqualität zu verändern. Außerdem können innere Prozesse gesteuert werden. So kann einem die Vorstellung schmelzender Eisberge helfen, den Schulterbereich zu entspannen. Die Vorstellung von abfließendem Sand durch Bein und Fuß in den Boden kann bei Gewichtsverlagerungen helfen. Und die Visualisierung von Wurzeln unter den Füßen hilft für Stabilität und entspannte Kraft.
Eine weitere Grundlage für die Qigong-Übungen ist das Durchhaltevermögen. Es gibt zwar bestimmte Kurzzeiteffekte, aber die intensiveren Wirkungen sind fast ausschließlich Langzeiteffekte, die sich nur bei einer entsprechenden Trainingsintensität einstellen. Das heißt nicht, dass man jeden Tag mehrere Stunden üben muss. Aber täglich einige Minuten für Qigong-Übungen aufzubringen, ist schon erforderlich, wenn man die ganzheitlichen Wirkungen erreichen möchte.
Qigong – Der Weg ist das Ziel
Zunächst die schlechte Nachricht: Die oben geschilderten Grundlagen für Qigong-Übungen sind wirklich relevante Aspekte, ohne die sich kein Erfolg einstellen wird. Das heißt, an ihnen muss intensiv gearbeitet werden. Die gute Nachricht ist aber, dass diese Grundlagen sozusagen als „Nebenwirkungen“ des regelmäßigen Trainings entwickelt werden. Es gibt zwar je nach Qigong-System grundlegende Übungen und darauf aufbauende. Aber für alle Übungen gilt, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Ausführung der Qigong-Übungen bereits durch das Ausführen des Qigong gefördert werden. Qigong benötigt somit zwar die Grundlagen, aber diese müssen nicht speziell trainiert werden, sondern werden mit jedem Üben ein Stück verfeinert.
Qigong ist ein Übungsweg, der unter bestimmten Zielstellungen gegangen werden kann, der aber kein Ende hat. Qigong kann bis ins hohe Alter geübt werden und es kann auch mit körperlichen Einschränkungen praktiziert werden. Wer anfängt, Qigong zu üben, um nach der Arbeit besser entspannen zu können, der wird dieses Ziel vielleicht schon bei seiner ersten Qigong-Übung erreicht haben und motiviert sein, diesen Zustand immer mehr in den Alltag hineinzubringen. Die für das Qigong notwendigen Grundlagen Entspannung, Konzentration, Vorstellungskraft und Geduld sind Mittel und Zweck zugleich, um die Qigong-Übungen zu absolvieren. Einerseits werden diese Fähigkeiten und Fertigkeiten angestrebt, andererseits sind sie Notwendigkeiten, um überhaupt Ergebnisse erzielen zu können. Das heißt, dass auch ein Mensch, der vielleicht nicht so leicht entspannen kann, über ein gewisses Entspannungspotential verfügt, auf welchem er aufbauen kann. Qigong lädt dazu ein, die körpereigenen Potentiale zu erkunden und bestmöglich zu nutzen. Die Grundlagen für die Qigong-Übungen sind zwar auch deren Ziele, sie sind aber auch Kräfte, die bereits im Menschen schlummern. Es ist also niemals verkehrt, mit Qigong zu beginnen.
Autor: Christoph Eydt
Kalligraphie: Wang Ning
Fotos: L. Liebermann und taiji-forum.de