Cheng Man Ching, der Pionier des Taiji in den westlichen Ländern, hat das Bewegungskonzept dieser Kampfkunst auf eine einfache Formel reduziert: Sink and relax. Damit lag er keineswegs falsch, auch wenn es immer wieder Menschen gibt, die die Behauptung aufstellen, er hätte Taiji nur teilweise verstanden. Chen Man Ching hat nur kurz bei Yang Cheng Fu gelernt, doch diese kurze Zeit reichte scheinbar aus, um das Prinzip des Taiji zu verstehen.
„Sink & relax“ führt zu guter Strukturarbeit – nicht umgekehrt
„Sink and relax“ ist keine Formel für isolierte Bewegungen, sondern für alle Bewegungen in und außerhalb der Form. Durch das permanente Sinken ist der Körper immer an der Schwerkraft ausgerichtet. Alle anderen Bewegungen oder sogenannte Energien sind nur die Folge des „Sink & relax“, sie sind niemals Selbstzweck. Das „große Ziehen“ ist kein Ziehen an sich, das Ziehen ist vielmehr eine Wirkung des „sink & relax“. Jede Bewegung, ob Schlag, Stoß, Trtitt, Wurf oder Griff, ergibst sich aus „sink & relax“ und nicht aus der Optimierung der Körperstruktur oder der Ausrichtung des Körpers im Raum. „Sink & relax“ kann auch eine kraftvolle, wenn auch kurze Welle sein, die den Partner hinwegspült, weil es keinen Druckpunkt zwischen den Partnern gibt.
Hart und weich
„Hartes und Weiches verbinden“ bedeutet nicht, selber aus der Weiche heraus hart zu werden, sondern stets weich zu bleiben und die Wirkung im Partner hart sein zu lassen. Das ist ein Unterschied, der sich darin zeigt, ob man Muskeln anspannt oder Gelenke ausrichtet, um sich selber hart zu machen, oder ob man stets weich bleibt und lediglich die Wirkung dieser Weichheit hart ist. „Sink & relax“ bedingt eine angemessene Körperstruktur und das Rückwirken der fallenden Kraft in eine aufsteigend-beschleunigende, so dass z. B. ein Schlag ansatzlos geführt werden kann. Es gibt keine Kollision, weil es keine Anfangspunkte der Bewegung gibt und nicht die eigene Energie gebraucht wird, um einen Schlag zu setzen. Es ist lediglich die im Körper wirkende Schwerkraft, die erst fällt, dann steigt und sich dann in Bewegung manifestiert. Somit kämpft der Partner nicht gegen einen anderen Körper, sondern gegen den gesamten Raum.
Ein Beispiel
Ich drücke gegen die Stirn eines Partners. Bei aktiver Kraft, also Druck, schiebe ich den Kopf des Partners nach hinten bzw. unten. Er kann entweder nur mit seiner Nackenmuskulatur oder – sofern er eine gute Struktur hat – mit seinem Körper dagegen arbeiten. Somit wirken Druck und Gegendruck – der größere Druck entscheidet die Situation. Anders ist es mit „sink & relax“. Durch das beständige Sinken wird der Körper des Partners nach unten gezogen, wenn auch nur minimal. Diese Zugbewegung geschieht nicht aktiv, sondern ist nur die Folge des eigenen Sinkens. Ist er nach unten gezogen, folgen ellipsenförmige Bewegungen, die ihn außer Kontrolle manövrieren. Diese Bewegungen sind aber nicht aktiv bzw. bewusst gesteuert, sondern eine Folge der Schwerkraft:
Die im gesunkenen Körper vorhandene Energie steigt von unten nach oben auf, drückt sich im Schieben oder Ziehen aus und sucht sich ihren Weg zwischen den Hindernissen (Verspannungen) des Partners hindurch. Der Partner, der mit Körperstruktur oder Anspannen der Nackenmuskulatur gegenhält, wird so zum Kieselstein in einer Welle, die diesen Stein hinfort spült. Die Welle selbst ist in ihrer Bewegung weich, die Wirkung aber ist hart. Das ist das Verbinden von Weichem und Hartem.
Autor: Christoph Eydt
Foto: Ken van Sickle