Xiu Dao – Daoistische Praxis – Die Mutter des Taiji und Qi Gong
In der Tradition des Daoismus gab es von je her zwei Strömungen. Auf der einen Seite steht die geistige Beschäftigung mit dem Dao/Tao und der Versuch dadurch eine andere Einstellung zum Leben zu gewinnen (chin. Xue Dao – 学道). Diese Strömung ist auch bei uns im Westen weit verbreitet und wird vor allem durch die Übersetzung daoistischer Klassiker inspiriert und befeuert. Auf der anderen Seite steht der praktische Daoismus, in dem der Suchende Schritt für Schritt theoretisch wie praktisch unter der Leitung eines Meisters in die Geheimnisse des Dao eingeführt wird (chin. Xiu Dao – 修道). Dieser Weg ist in China bis zum heutigen Tag immer nur wenigen wohl ausgewählten Individuen vorbehalten gewesen. Von diesem Weg soll aber dieser Artikel handeln.
Der große und der kleine Weg
Der praktische Daoismus ist seiner Natur entsprechend sehr vielseitig und hält für verschiedene Individuen entsprechend ihren natürlichen Fähigkeiten und Neigungen verschiedenste Wege bereit.
So ist die wohl häufigste Motivation zur Beschäftigung mit dem Dao der Wunsch nach einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation, sei dies nun durch die Heilung von Krankheit und Leiden, durch die Stärkung der Kraft zur Bewältigung des alltäglichen Lebens, durch eine Steigerung der Wachheit und Klugheit, um die Herausforderungen des Lebens besser meistern zu können, durch eine Harmonisierung der Partnerschaft oder durch die Beendung finanzieller Sorgen und Nöte (auch dieser Aspekt gehört in China selbstverständlich zum Kanon daoistischer Künste).
Die sich daraus ergebende Ausrichtung und Praxis bezeichnet man in China als den „kleinen Weg“ (chin. Xiao Dao – 小道). Dies ist der Weg der meisten daoistischen Laienpraktizierenden und der meisten Menschen, die sich mit daoistischen Künsten wie Taiji und Qi Gong beschäftigen.
Dem gegenüber steht der „große Weg“ (chin. Da Dao – 大道). Das Ziel des großen Weges ist es auf allen Ebenen das höchste im Menschen angelegte Potential zu entfalten. Dies bezeichnet man in China auch als die „Kultivierung der Unsterblichkeit“ (chin. Xiu Xian – 修仙). Der „Unsterbliche“ ist das daoistische Äquivalent zum Buddha oder zum Heiligen des Christentums, wenn auch in seiner ganz eigenen Ausprägung. Diese Praxis umfasst die Aspekte des kleinen Weges, geht aber bei weitem darüber hinaus, da es nicht durch selbstzentrierte Motive und Methoden beschränkt ist. Während der kleine Weg auch ohne Probleme von Laienanhänger mit einem normalen weltlichen Leben gegangen werden kann, ist das Beschreiten des großen Weges in der Regel mit der Aufnahme in ein Kloster verbunden, da er eine weitreichende Veränderung der Lebenspraxis erfordert.
Der äußere und der innere Weg
In der Frühzeit versuchten die daoistischen Praktizierenden ihre Ziele durch die Gewinnung eines „Elixiers der Unsterblichkeit“ zu verwirklichen. Da man die dafür notwendigen Zutaten in Kräutern und Mineralen suchte, bezeichnete man diesen Weg später auch als Weg des äußeren Elixiers (chin. Wai Dan – 外丹).
Die Selbstversuche vieler Generationen von Praktikern trugen zwar auf der einen Seite viel zur Entstehung der chinesischen Kräuterheilkunde bei, kostete aber auch den einen oder anderen Praktiker das Leben.
Daher ist es nicht verwunderlich, daß diese Praxis auf Dauer durch einen anderen Ansatz abgelöst, oder besser gesagt ergänzt wurde.
Dieser andere Ansatz wird als Weg des inneren Elixiers (chin. Nei Dan – 内丹 – inneres Elixier, innere Medizin, im englischen Sprachraum auch häufig als Internal Alchemy, Innere Alchemie übersetzt) bezeichnet. Der Weg des inneren Elixiers sucht, wie der Namen schon vermuten lässt, die Zutaten des „Elixiers der Unsterblichkeit“ und damit die Voraussetzungen zur inneren Transformation des Praktizierenden im eigenen Inneren.
Dies bedeutet, daß der Praktizierende sowohl auf körperlicher, als auch auf energetischer und geistig-seelischer Ebene mit spezifischen praktischen Methoden ansetzt, um sein Ziel zu erreichen.
Die vier Stufen zur Erlangung des Dao
Die Kultivierung auf dem Weg des inneren Elixiers umfasst alle Aspekte und Schichten des Menschseins. Diese Einbeziehung sowohl des körperlichen, als auch des energetisch-emotionalen und geistig-seelischen Aspekts ist eine Besonderheit des Daoismus im Gegensatz zu vielen anderen Übungs- und Kultivierungswegen, die sich auf einen bestimmten Aspekt des Menschen konzentrieren, dafür aber andere Aspekte nicht oder wenig beachten. Diesem Ansatz liegt die Beobachtung zu Grunde, daß der Mensch mit seinen verschiedenen Schichten eine untrennbare Einheit bildet und das die verschiedenen Schichten sich daher gegenseitig beeinflussen.
Daher können Probleme auf einer der Ebenen sich auch Nachteilig auf alle anderen Ebenen Auswirken und Verbesserungen auf einer Ebene haben auch positive
Auswirkungen auf die anderen Ebenen. So können z.B. körperliche Beschwerden das emotionale und geistige Gleichgewicht beeinträchtigen und eine negative geistig-seelische Ausrichtung kann emotionale und später auch körperliche Probleme auslösen. Auf der anderen Seite hat eine Verbesserung des körperlichen Zustandes weitreichende positive Wirkungen auf Emotionen und Geist und eine geistige Veränderung zieht häufig auch körperliche Veränderungen nach sich.
Die klassische Kultivierungsstrategie folgt daher einem einfachen Stufenweg:
Auf der ersten, grundlegenden Stufe wird der Übende mit seinem Körper und den ihm innewohnenden Prinzipien und Kräften vertraut gemacht. Durch praktische Übungen wird der Körper so harmonisiert, dass er wieder so vollständig gesund und vital werden kann, wie er es vielleicht in unserer Kindheit war. Dies nennt man in China „Den Körper üben, um die Essenz zu nähren“ (chin. Lian Ti Hua Jing -练体化精). In diesen Bereich sind auch viele der bei uns bekannten inneren Kampfkünste wie z.B. Taijiquan schwerpunktmäßig einzuordnen.
Ist der Körper so wieder vollständig gesund und vital und damit auch bewusst geworden, kann der Übende auf der zweiten Stufe der Schulung mit den Prinzipien und Kräften der energetischen Ebene des Seins in ihm und der Natur vertraut gemacht werden und lernen sie zu meistern. Dann können auch die inneren Energien (und damit auch die Emotionen) leicht und gefahrlos geöffnet, gereinigt, gestärkt und ausgeglichen werden. Dies ist die Domäne all jener Praktiken, die man wirklich als Qi Gong bezeichnen kann. Innere Kampfkünste berühren diese Ebene insoweit sie wirklich das Gewahrsein und die Regulation des Qi vermitteln. In China nennt man diese Stufe: „Die Essenz üben, um das Qi zu nähren“ (chin. Lian Jing Hua Qi -练精化气).
Sind unsere Energien und Emotionen so gereinigt, gestärkt und reguliert worden, kann der Übende im nächsten Schritt mit der Welt der Seele(n) vertraut gemacht werden und lernen sein ursprüngliches wahres (inneres) Selbst zunehmend wieder zu entfalten. Dadurch entfalten sich auch die in ihm angelegten, aber bis jetzt meist verborgenen seelischen Potentiale, die weit über die Fähigkeiten des normalen und gewohnten Alltagsselbst hinausgehen. Dies ist die Domäne der Meditation und wird in China als „Das Qi üben, um den Geist zu nähren bezeichnet“ (chin. Lian Qi Hua Shen -练气化神).
Ist unser geistig-seelisches Potential entfaltet, so wird es leichter die Grenzen unseres kleinen Selbst (Ego) zu öffnen und zur ursprünglichen Einheit mit dem großen Ganzen zurück zu kehren, um darin den uns bestimmten Platz einzunehmen und fortan im Sinne des großen Ganzen zu Wirken. Dies nennt man in China „Den Geist üben, um in die Leere zurück zu kehren“ (chin. Lian Shen Huan Xu -练神还虚). Meistern wir diese Stufe so spricht man von der Verwirklichung des Dao oder der Erlangung von „Unsterblichkeit“. Auch wenn die daoistische Terminologie für ein westliches Ohr teilweise ungewohnt bis befremdlich ist, so verbirgt sich dahinter jedoch kein weltfremder Mystizismus, sondern eine äußerst differenzierte Wissenschaft der menschlichen Kultivierung und Potentialentfaltung. Diese muss dem Interessierten jedoch unter fachkundiger Anleitung Schritt für Schritt eröffnet werden, so dass sich scheinbar schwer verständliche Begriffe mit praktischer Erfahrung verbinden können und der Adept so zu einem eigenen und lebendigen Verstehen des daoistischen Weges gelangen kann. Geschieht dies nicht und nähert man sich dem daoistischen Weg rein auf geistiger Ebene, besteht ein erhebliches Risiko viele Dinge falsch zu interpretieren und damit letzten Endes keinen wirklichen Nutzen von ihnen zu haben.
Neidan Gong – Der klassische Stufenweg zur Verwirklichung des Dao
Der daoistische Kultivierungsweg hat im Laufe der Jahrtausende viele verschiedene Stationen und Veränderungen erlebt und unterliegt bis heute naturgemäß einer stetigen Weiterentwicklung. Gerade durch die Betonung der Individualität des Menschen ergab sich daraus zu Anfang eine unüberschaubare Vielzahl von
Schulungswegen, Schwerpunkten und Doktrinen. Erst durch Wang Chong Yang (1112-1170), den Begründer der Schule der vollkommenen Wahrhaftigkeit (chin. Quan Zhen Jiao -全真教) und seinen Schüler Qiu Chuji (1148-1227), den Begründer der Drachentorschule (chin. Long Men Pai -龙门派) des Weges der vollkommenen Wahrhaftigkeit, wurde dieses Wissen systematisiert und zu einem umfassenden, stufenweisen Schulungsweg geformt. Dieser Weg ist in China als Neidan Gong (Neidan = Inneres Elixier, Gong = Übungssystem/Kultivierungsweg/Fähigkeit, sinngemäß: „Kultivierungsweg zur Erlangung des inneren Elixiers“)
Dieser Weg ist bis heute, in verschiedenen Ausprägungen, das praktische Kultivierungssystem der meisten Mönche in der nördlichen Schule des Daoismus in China.
Die Schulung im Neidan Gong folgt einem klassischen Lehrspruch, der auf Wang Chongyang selbst zurückgehen soll: „Innerlich pflegt man die wahre Wesensnatur, äußerlich den rechten (Lebens-)Wandel.“
Dies weist auf die beiden großen Übungsbereiche hin:
- Die innere Selbstvervollkommnung auf körperlicher, energetischer und geistig seelischer Ebene durch praktische Übungen (chin. GongFa -功法). Hierzu gehören entsprechend der komplexen Struktur des Menschen eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Übungsformen, wie körperlichen Übungen, Qi Gong und Meditation.
- Die Kultivierung des Herzens durch die Pflege eines tugendhaften Lebenswandels im Außen (chin. GongDe -功德). Hierzu gehören die Läuterung des eigenen Wesens und das tugendhafte Wirken in der Welt zum Wohle anderer Menschen durch eine entsprechende Lebenspraxis.
Die Daoisten sind der Überzeugung, dass diese beiden Aspekte, als Manifestationen von Yin und Yang, untrennbar zusammen gehören, wenn man in seiner Kultivierung erfolgreich sein möchte. Dementsprechend werden auch auf der aller ersten Stufe, die sich dem Namen nach ja vermeintlich mit der Kultivierung über den Körper beschäftigt, schon Praktiken vermittelt, die uns geistig-seelisch reinigen und neu ausrichten können, so daß sich auch die Persönlichkeit und der Charakter des Übenden zu seinem eigenen Wohle und dem aller mit ihm verbundenen Wesen entfalten können. Diese Praxis steht im Gegensatz zu vielen modernen Ausrichtungen des Qi Gong und auch Taiji, in dem Ethik und Moral in der Regel keine Rolle spielen und auch geistig-seelische Kultivierung meistens (wenn überhaupt) nur ein Randthema ist.
Die Besonderheit des Neidan Gong liegt in der wohl aufeinander abgestimmten Verbindung zum Teil komplementärer Künste, um so alle Schichten und verborgenen Winkel des Menschen zu erreichen und zu transformieren. Das Neidan Gong umfasst eine große Vielzahl unterschiedlicher Kultivierungswege. Bereits auf der ersten Stufe der Kultivierung („Den Körper üben, um die Essenz zu nähren“) werden folgende Inhalte vermittelt:
- Geistig-seelische Reinigung und Neuausrichtung (Daoistische Herzensschulung – Qing Xin Jue)
- Meditationen zur Beruhigung und Erweiterung des Geistes (Jing Yi Fa)
- Atemschulung (Tuna Gong)
- Meditative Körperarbeit an allen Schichten und Strukturen inkl. der inneren Organe (Daoistisches Yoga – Ruan Ti Fa)
- Daoistische Wasserübungen zur Kultivierung der Lebensenergie (Shui Zi Jue)
- Daoistische Drachenübungen zur Kultivierung der Lebenskraft (Long Zi Jue)
- Daoistisches Taiji in der Drachentortradition (Long Men Taijiquan)
- Meditative Kalligraphie (Shufa)
- Methoden zur Vervollkommnung des eigenen Charakters (Xiu Shen Fa)
- Kultivierung durch Wohltätigkeit (Xing Shan Fa)
- Körperhygienische Verfahren (Qing Fa)
- Massage und Akupressur (Tuina Anmo)
- Therapeutische Techniken wie z.B. Schröpfen (Ba Guan Fa), Schaben (Gua Sha Fa) und Wärmebehandlung (Wen Jiu Fa).
- Lebensgestaltung im Einklang mit der Natur und ihren Rhythmen und Kräften
- Grundlagen der Ernährung und Kräuterheilkunde zur Übungsunterstützung (Dao Yi)
- Rituale zur Anbindung an die spirituelle Kraftlinie des Neidan Gong um von dort Führung und Unterstützung auf dem Kultivierungsweg zu erhalten (Li Yi)
Alle praktischen Übungssysteme beinhalten dabei sowohl körperliche, als auch geistige Übungen, Stille wie auch bewegte Übungen, sowie Übungen mit Fortbewegung, im Stehen, im Sitzen und im Liegen.
Daoistische Praxis als Mutter des Taiji, Qi Gong und TCM
Unabhängig davon welcher Überlieferung wir glauben schenken wollen, wie das Taijiquan entstanden ist, so finden wir an der Wurzel immer den Hinweis auf die daoistische Praxis. So verweisen die Analen der Chen Familie eindeutig darauf, daß ihr Taijiquan aus einer Kombination von verschiedenen Kampfkunstbewegungen mit daoistischen Schulungsmethoden wie Daoyin und Tuna entstanden ist.
Nimmt man an, daß Zhang Sanfeng der Begründer des Taijiquan war, so muß man wissen, daß er ein Schüler von Huo Long Zhen Ren war, einem Meister der Drachentorschule des Weges der vollkommen Wahrhaftigkeit in der 5. Generation. Nimmt man an, daß er die Grundlage für die Entstehung des Taijiquan im Traum empfangen haben soll, so ist sicherlich interessant zu wissen, daß das Empfangen von Informationen im Traum eine Übungspraxis der dritten Stufe des Neidan Gong ist.
Leider ist diese Verbindung den meisten Übenden heute gar nicht mehr bewusst, geschweige denn das sie in die entsprechende Übungspraxis eingeführt worden wären. Gerade für alle Übenden für die Taijiquan ein Weg der Lebenspflege und spirituellen Entfaltung ist und die auf der Suche nach dem inneren Aspekt des Taijiquan sind, warten in der daoistischen Schulung des Neidan Gong eine Vielzahl unerwarteter Schätze. Aber auch für die Freunde der Kampfkunst warten hier viele Überraschungen. Innen und außen, Yin und Yang lassen sich halt nicht trennen.
Das was wir heute als Qi Gong kennen sind, insofern die Systeme daoistischen Ursprungs sind (was meist der Fall ist), Auszüge der komplexen daoistischen Neidan Praxis, deren Umfang und Komplexität aber für bestimmte Bedürfnisse und Zielgruppen reduziert und vereinfacht wurde. Der Vorteil dieser Entwicklung ist, daß auch Menschen die nur Lösungen für kleinere oder größere Probleme suchen, aber nicht unbedingt an einer grundsätzlichen und lebenslangen Kultivierungspraxis interessiert sind, mit den Übungen unterstützt werden können. Leider bilden die sich daraus ergebenden kleinen Übungssysteme die komplexe Struktur des Menschen nur unvollständig ab, woraus sich meist ein recht spezielles Wirkungsspektrum ergibt, daß vielleicht bei einem Problem hilft, bei vielen anderen aber nicht.
In weiteres Problem ist, daß alle offiziellen, d.h. von der chinesischen Regierung unterstützten Übungssysteme einer ideologischen Säuberung entsprechend der kommunistischen Doktrin unterzogen worden sind.
Die Folge ist, daß im heutigen Qi Gong viele wichtige Aspekte wie z.B. seelische und spirituelle Kultivierung kaum noch oder gar nicht mehr anzutreffen sind.
Dabei sind sie aber selbst dann schon unverzichtbar, wenn man nur eine gute Gesundheit erlangen möchte.
Darüber hinaus mangelt es im modernen Qi Gong heute häufig an Klarheit über die notwendigen Übungsschritte und Stufen um mit der Praxis Erfolg haben zu können.
Die traditionelle daoistische Praxis ist hingegen eine vollständige, tiefgreifende und sehr systematische Wissenschaft der Gesunderhaltung und inneren Kultivierung.
Auch zum Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) hat die daoistische Praxis des Neidan Gong eine enge Beziehung. Das was wir heute als TCM kennen hat sich in weiten Teilen aus der daoistischen Medizin (chin. Dao Yi – 道医) entwickelt, die ein Teilaspekt der daoistischen Praxis des Neidan Gong ist.
Leider gab es auch hier durch die chinesische Regierung eine Reinigung der Inhalte entsprechend der kommunistischen Doktrin, wodurch viele der noch in der daoistischen Medizin enthaltenen Inhalte offiziell nicht mehr in der TCM unterrichtet werden. Hierzu gehört z.B. das Wissen über viele psychische und spirituelle Einflussfaktoren auf die Gesundheit.
Die Zusammenhänge zur Kräuterheilkunde wurden oben schon erwähnt.
Darüber hinaus haben sich die Praktiker der TCM vielleicht schon einmal gefragt wie diese äußerst subtile Wissenschaft entdeckt wurde? Wie konnten die alten Ärzte zur Erkenntnis des Meridiansystems kommen? Die Antwort ist sehr einfach: Durch direkte Wahrnehmung! Wieso hatten sie aber Wahrnehmungsfähigkeiten die die meisten Durchschnittsmenschen nicht hatten? Auch hier ist die Antwort einfach: Weil sie ihre Sinne und Empfindungsfähigkeiten auf ein äußerst hohes Niveau entwickelt hatten. Dieses Niveau wird auch von allen ernsthaften Praktikern des Neidan Gong im Laufe der Zeit erreicht, so daß es möglich wird all die von der TCM beschriebenen Kräfte im eigenen Inneren und im Patienten wahrzunehmen.
Dies unterstützt nicht nur das Vertrauen des Therapeuten in die TCM, sondern ermöglicht ihm auch einen völlig anderen Zugang zu Diagnose und Behandlung.
Darüber hinaus hilft das überaus differenzierte und umfangreiche Methodenrepertoire des Neidan Gong den Patienten Möglichkeiten zur therapiebegleitenden Selbstbehandlung an die Hand zu geben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die ursprüngliche daoistische Praxis, wie sie im Neidan Gong gepflegt wird, eine umfassende, systematische und praktische Wissenschaft der menschlichen Gesunderhaltung und Selbstkultivierung ist. In ihr hat der Übende die Möglichkeit sich Schritt für Schritt systematisch und lebenslang weiter zu entwickeln, um so das höchste in ihm angelegte Potential zu verwirklichen und alle Herausforderungen seines Lebens zu meistern.
Autor: Tobias Puntke,
Studium Sportwissenschaft, Medizin und Rechtswissenschaft. Seit 1987 intensive Ausbildung in inneren und äußeren Kampfkünsten, Qi Gong und anderen daoistischen Künsten in Europa, China und Taiwan. 6. Duan des TaijiDao-Systems, Ausbildungsleiter für Neidan Gong und Meisterschüler seines Shifu Shen Xijing (22. Generation der daoistischen Drachentorschule). Technischer Direktor der Europäischen TaijiDao Gesellschaft (ETG) und Direktor der Europäischen TaijiDao Akademie e.V. (ETA) in Münster.
Bilder: Archiv Tobias Puntke, ETG