Unter dem Begriff „Innere Kampfkünste“ werden verschiedene, meist chinesische, Kampfkunstarten zusammengefasst, deren Zentrum nicht die Herausbildung von roher Kraft ist, sondern eine bestimmte Form der Entspannung, die weiche Bewegungen erlaubt.
Taijiquan, Baguazhang und Xing Yi Quan sind die drei typischen inneren Kampfkünste. Darüber hinaus existieren weitere Stile, die entweder die Prinzipien der drei genannten Stile aufgreifen oder eigene Prinzipien verfolgen, mit denen ebenso das Ziel der Weichheit erreicht werden kann. Das Merkmal aller inneren Kampfkünste ist die Idee, dass man Hartes mit Weichem besiegen könne. Dieser Ansatz geht auf die Theorie des Taoismus zurück.
Der Taoismus als Verständnisgrundlage für innere Kampfkünste
Innere Kampfkünste werden mit dem Taoismus in Verbindung gebracht. Der Taoismus ist eine chinesische Philosophie bzw. Religion, die im Westen vor allem durch das Yin-Yang-Konzept populär wurde. Der kontinuierliche Wandel der Gegensätze wird im Tao Te King, einem Grundlagenwerk des Taoismus, erklärt. In diesem Buch findet man auch die theoretische Grundlage für das Bewegungsmuster der inneren Kampfkünste. So heißt es im Tao Te King, dass nichts weicher als das Wasser sei und dennoch könne das Wasser dem Harten so sehr zusetzen, dass dieses auf Dauer dem Wasser nicht standhalten könne. Die Idee ist, dass das scheinbar Schwache das scheinbar Starke besiegen kann (Tao Te King, Kapitel 78). Die Metapher vom Wasser wird in den inneren Kampfkünsten unterschiedlich umgesetzt.
Verschiedene Zugänge zum Begriff „Innere Kampfkunst“
Eine sehr verallgemeinernde Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Stilen ist die Trennung zwischen Taoismus und Buddhismus. Während die inneren Kampfkünste von taoistischen Ideen ausgehen, sind die äußeren Stile vor allem durch buddhistische Ansätze geprägt. Diese Unterscheidung ist nur schwer aufrecht zu erhalten, da sowohl der Taoismus den Buddhismus beeinflusste als auch der Buddhismus Einflüsse auf den Taoismus hatte.
Eine weitere Unterscheidung wird in dem geo-historischen Kontext der Kampfkünste gemacht. Demnach sind alle in China entstandenen Kampfkünste als „innere Stile“ zu bezeichnen und alle außerhalb von China, besonders in Indien, entstandenen Stile als „äußere Stile“.
Die Differenzierung zwischen inneren und äußeren Stilen wird gegenwärtig vor allem vor dem Hintergrund der Bewegungsprinzipien vorgenommen. Vertreter der inneren Stile zielen auf Ganzkörperbewegungen ab. Äußeren Kampfstilen wird nachgesagt, sie würden den Schwerpunkt auf isolierte Muskelkraft setzen. Weiterhin ist ein Kriterium für innere Stile die Idee, natürliche Bewegungsmuster einzustudieren und diesen den Vorrang vor auswendig gelernten Techniken zu geben. Die Kultivierung der Atmung und des Geistes sind weitere Spezifika der inneren Kampfkünste. Ebenso kann man zwischen den Kampfverständnissen unterscheiden. Innere Stile sind eher defensiv ausgerichtet und nutzen die Kraft des Angreifers gegen diesen. Äußere Stile sind dagegen offensiver ausgerichtet.
Innere Kampfkünste und Äußere Kampfkünste – Zwei Wege, ein Ziel
Die oben aufgezeigten Unterscheidungen zwischen inneren und äußeren Stilen sind lediglich als Richtlinien bzw. Hinweise zu verstehen und dürfen nicht absolut gesetzt werden. Eine eindeutige Trennung zwischen inneren und äußeren Stilen ist nicht möglich, da jede Bewegung sowohl innere als auch äußere Merkmale aufweist. Da jede Kampfkunst weiche und harte Elemente beinhaltet, ist die Trennung fast unmöglich. Innere Stile erfordern Geduld und die Erfolge können lange auf sich warten lassen, da der Körper in seiner Haltung und in seinen Bewegungen zunächst umprogrammiert werden muss. Dafür sind die inneren Stile im Alter sehr von Vorteil, wenn die körperliche Kraft nachgelassen hat. Äußere Stile bringen rasch Erfolge und einen schnellen Zuwachs an Körperkraft. Im Alter wird es jedoch zunehmend schwieriger, äußere Stile zu praktizieren, da der Körper gebrechlicher wird.
Von Christoph Eydt
Foto: Taiji-Europa