QiGong kann man nicht erklären – aber spürbar machen!
QiGong zu beschreiben ist – eigentlich müßig.
Das Beste ist, man macht es einfach.
Und eigentlich tut man es ganz oft, ganz instinktiv. Nur muss man lernen, es wahrzunehmen.
Und dann kann man es (mit ein bisschen Anleitung) gezielter üben und für sich einsetzen.
Gezielte Atemübung – das ist die Definition oder besser das Prinzip von QiGong.
Das Qi
Gemeint ist hier zunächst mal die Lebensenergie oder Lebenskraft, die durch den Körper fließt und sein „Funktionieren“ erst möglich macht. Fließt diese Kraft frei und harmonisch, ist man gesund, der Ursprung von Krankheit laut der TCM, wenn diese Kraft sich staut, stockt oder verbraucht (und nicht erneuert) wird. Gemeint ist aber auch die Atmung, die Luft (Gas, Duft), mit der wir beim QiGong unser Qi vermehren. Denn grundsätzlich gibt es drei Quellen hierfür: Das „vorgeburtliche“ Qi, das ist das, was unsere Eltern und bei Geburt mitgeben. Das „nachgeburtliche“ Qi erhalten wir zum einen durch unsere Ernährung und zum anderen durch die Atmung.
Gong bedeutet Arbeit – das „Arbeiten mit dem Qi“, das ist QiGong.
Mit QiGong wird diese Energie erst einmal deutlicher wahrnehmbar, schließlich durch Übung gezielt einsetzbar. Man lernt, das Qi zu sammeln, zu vermehren, im Körper zu lenken – oder nach aussen zu richten (beim Tai Chi / Taiji bzw. Taijiquan).
En passant: „Taiji“ meint zunächst einmal „das Höchste, das Absolute, die primäre Quelle aller geschaffenen Dinge“. Es wird auch dargestellt durch die zwei „großen Pole“ Yin und Yang, das Taiji-Symbol, in dem sie sich zu einemKreis ergänzen, ist den meisten bekannt. Dabei steht der helle Teil für das Yang (oben) und der schwarze für das Yin (unten), beide gehen ineinander über, bedingen sich gegenseitig und gleichen sich aus. Und in jedem steckt ein Teil des anderen drin…
Lass Dir Zeit
QiGong zu üben erfordert erfreulicherweise körperlich relativ wenig – dafür aber (und das ist heute zutage viel schwieriger) etwas Geduld und Zeit (im Sinne von Muße, nicht von Aufwand!) und die Bereitschaft, sich ein Stückweit von Rationalität und Ehrgeiz zu verabschieden und sich auf Intuition und geistige Ruhe einzulassen. Die größte Schwierigkeit bei uns „Wessis“ besteht genau darin: Wir sind zu rational, zu ehrgeizig, zu verbissen und „erfolgsorientiert“ in allem, was wir lernen wollen. Das ist in der Regel die erste und die größte Hürde. Wer sich im Laufe der Zeit darauf einlässt, einfach nur da zu sein, den Geist (Shen) zu beruhigen, „herunterzufahren“ und sich dabei fließend und mühelos (!) zu bewegen, der merkt schon ganz deutlich eine neue Leichtigkeit in der Übung und Bewegung und eine sensiblere Körperwahrnehmung.
Auf diesem Weg ist es nur ein Schritt weiter dahin, sein Qi im Körper zu lenken und die Wirkung wahrzunehmen. Und auch dies passiert ganz häufig völlig intuitiv! Nahezu jeder Teilnehmer, der ohne oder mit geringer Vorkenntnis eine Schnupperstunde im QiGong macht, erzählt am Ende der Stunde, dass er nicht nur eine tiefe körperliche und geistige Entspannung bemerkt, sondern auch eine deutlich größere Körperwahrnehmung. Diese Sensibilisierung für etwas, was eigentlich ohnehin schon da ist und eigentlich nur wieder „trainiert“ werden muss, wird im Laufe von relativ kurzer Zeit und der Übung wieder selbstverständlicher und vor allem gezielter. Dann werden auch einzelne Punkte (auch Akupunkturpunkte) ganz differenziert und gezielt mit Atmung und Qi „ansteuerbar“ und fühlbar. Übrigens sowohl bei sich selbst als auch bei anderen.
Qi aus Atmung
Auch die Atmung bzw. die Atemluft ist „Qi“ – und in der Tat neben der vorgeburtlichen/vererbten und der Energie aus der Nahrung eine der drei Quellen, aus denen wir Qi schöpfen. Kein Wunder also, dass QiGong, als „Qi-Übung“ prädestiniert dazu ist, den Körper stetig zu regenerieren. Es ist in erster Linie Prävention – aber auch, wenn gezielt eingesetzt, durchaus Therapieform der TCM. Dabei ist es u.a. eine Funktion der Lunge, das Qi (über die Meridiane) im ganzen Körper zu verteilen.
Das Qi ist der Antrieb. Beim QiGong wird es durch die Atmung, gezielte und fließende Bewegungen, und die intuitive (weil tief entspannte und von jeglichen Gedanken „entleerte“) Aufmerksamkeit vermehrt/gestärkt, zum Fließen gebracht und gelenkt.
Eigentlich machen wir ganz viel QiGong intuitiv. Wer hat nicht schon einmal, weil er erschöpft war, instinktiv ganz tief geatmet und sich dabei ganz lang gemacht und gestreckt? Nicht viel anders ist das „Sammeln“, was in aller Regel am Anfang jeder QiGong-Übung die Atmung vertieft und reguliert, das Qi vermehrt und den Geist besänftigt…
Zweites Beispiel: Wenn man aus Ärger, Aufregung oder Angst, in dem Bemühen, das galoppierende Herz zu beruhigen, bewusst tief atmet und sich nach unten ausrichtet, um sich gewissermaßen zu „erden“ – auch da ist schon „Richtung“ drin. Das, was in uns fühlbar nach oben steigt (Wut, die „durch die Decke geht“, Aufregung, die das Herz belastet, Angst, die uns die Kehle zuschnürt“…), das versuchen wir tatsächlich völlig intuitiv und mit tiefer (Aus-)Atmung nach unten zu schicken, um uns zu beruhigen. Unter umständen noch unterstützt durch eine „schiebende“ Bewegung der Hände in Richtung Unterbauch. Nahezu jeder hat das so oder so ähnlich schon einmal erlebt (und vermutlich gar nicht weiter wahrgenommen). Atmung, Richtung, Bewegung – das ist das Prinzip von QiGong.
Probieren geht über studieren
Dass dieses Prinzip wirkt, wie es wirkt und ob es richtig ist, lässt sich eigentlich immer ganz schnell überprüfen (und dazu ermutige ich jeden, der QiGong übt und sich uU auch mal unsicher ist): Nahezu jede Übung kann man auf zwei Arten machen, man kann die Richtung ändern und die Atmung „umdrehen“. Wenn dies gegen Dein inneres Körpergefühl geht und Unwohlsein auslöst – dann ist es falsch. Verändert man den Ablauf wieder und es fühlt sich „normal“ an, dann bist Du auf dem richtigen Weg. So einfach? Ja.
Probiere es selbst:
Das „Sammeln“: Ganz breitbeinig stehen, gestreckte Arme steigen, mit nach oben geöffneten Handflächen, seitlich hoch, den ganzen Körper zum Himmel strecken und tief einatmen. Mit den Händen vor dem Rumpf nach unten zum Unterbauch (Dantian) schieben und dabei ausatmen. 6-8x wiederholen.
Gegenprobe: Sammeln mit eng stehenden Beinen, Arme steigen seitlich, bleiben aber unterhalb der Kopfhöhe (etwa auf Brusthöhe) und sinken dann mit der Ausatmung zum Unterbauch. Wie fühlt sich das an? Vermutlich schon spürbar anders. Und was ist subjektiv besser?
Und noch drastischer: Das Sammeln in umgedrehter Atmung, beim Strecken und Heben der Arme nach oben wird diesmal AUSgeatmet, beim Hände senken EINgeatmet. Mit großer Wahrscheinlichkeit stellt sich spätestens mit der 3. oder 4. Wiederholung ein deutliches Unwohlsein ein, ein bleiernes Schweregefühl bis hin zu Übelkeit und Kreislaufbeschwerden – dann bitte sofort aufhören! Der Körper wehrt sich instinktiv, und es ist ziemlich klar: Hier stimmt was nicht! Wiederhole die Übung dann lieber noch 3-4x in die richtige Richtung, um das Unwohlsein wieder auszugleichen. Es dürfte ziemlich deutlich sein: Das Körpergefühl sagt spontan „Geht gar nicht!“ – Genau.
Immer wenn der Körper einem sagt „da stimmt etwas nicht“ – dann stimmt da etwas nicht. Und wenn es sich spontan gut anfühlt, dann bin ich auf dem richtigen Weg.
Um dieser spontanen Körperwahrnehmung folgen zu können, ist es hilfreich, „das Hirn auszuschalten“. Nicht nachdenken! Einfach drauf los machen! (Vielleicht auch ab und zu die Augen schließen). Je länger man das macht, desto vertrauter wird es und desto intensiver die Wirkung. Aus dem angestrengten „Üben“ wird „Genießen“…
Wer nicht sucht, der findet
Und damit sind wir bei der „Anstrengung“. Der Feind von QiGong ist der Ehrgeiz, das „Zerreden“, das „Studieren“. Der einzige sinnvolle Weg ist die Praxis. Kein Chinese quatscht lange, wenn er übt oder lehrt. Er übt einfach. Oder lässt üben. Lass Dich niemals durch Worte unter Druck setzen, versuche nicht der „Perfektion“ hinterher zu jagen. – „You can’t chase Qi. It, eventually, will follow you.“ (Du kannst es nicht jagen – irgendwann wird es Dir folgen.) Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Wer es jagt, wird es nie finden.
Es wird ganz viel darüber geschrieben, gelesen, geredet und verglichen. Das ist eher anstrengend als hilfreich. Wenn Du Pech hast, sitzt es auf dem nächsten Baum und lacht Dich aus. Ja, das ist ein Spaß. Und ja, es soll Spaß machen. Lächele mal dabei! Fühlt sich plötzlich anders an, richtig? Wundert Dich das? Dein Lächeln meldet Deinem Körper: Mir gehts gut. Und schon „funktioniert“ es, ganz wie von selbst!
Die 4. Dimension
Übrigens: Beim QiGong verliert der zeitliche Rahmen an Bedeutung. Drei Monate oder ein Jahr lang jeden Tag 10 Stunden … ist ein intensiver Anfang. 10 Jahre jeden Tag 15 Min. – das ist Erfahrung und gelungene Prävention. Einmal die „8 Brokate“, ein Durchlauf, das sind knapp 15 Min. – das ist für jeden machbar. Und es ist schon wirksam. QiGong ist kein „Workout“, sondern eine „Atempause“!
Wer häufig übt oder sich auch mal Zeit lässt dabei, der stellt irgendwann plötzlich fest: Dieselbe Übung fühlt sich nun ganz anders an. Das passiert bei vielen Übungen nach der 8., 12. oder 30. Wiederholung. Aber auch wiederum nach 3 Monaten, einem Jahr, nach zwei Jahren… Wer dann ein Video von sich sehen würde, wie er vor Jahren geübt hat, der denkt: Du lieber Himmel, was für ein Unterschied! Und das ist immer so, und es ist bei allen so. Und im besten Falle findet es einen Dauerplatz in Deinem Leben und man macht es ganz selbstverständlich immer weiter – spätestens dann, wenn man es nach einer Pause plötzlich vermisst…
Es gibt noch etwas, was beim QiGong fasziniert: Obwohl man sich gefühlt in Zeitlupe bewegt, gibt es einige Übungen, die intensiv wärmen, ja regelrecht zum Schwitzen bringen können. Das ist zum Beispiel beim Fließen der Meridiane so, oder beim „Kreislaufen“, welches ganz klassische und sehr grundlegende und präventive Übungen sind, die man besonders gern als „warm up“ nutzen kann.
Mühelos – „aerob“
Im Gegensatz dazu besticht QiGong durch eine großartige Leichtigkeit und Mühelosigkeit. Nicht die Muskeln sollen Dich bewegen, sondern die Atmung, die Richtung, das Qi. Folglich werden Muskeln weder angespannt noch gedehnt, denn QiGong ist weder Workout noch Streching-Übung! Niemals geht man beim QiGong an seine Grenzen (z. B. der Beweglichkeit) oder sogar darüber hinaus, ganz im Gegenteil, man bleibt durchweg in seiner „Komfortzone“, bleibt dabei vollkommen entspannt und insbesondere in seinem eigenen Atemrhythmus. Und stellt plötzlich u.a. fest, dass man dabei eine volle Stunde und mehr stehen kann, ohne dass es anstrengend wird…
Übrigens ist dieses Bewegungsprinzip genau der Ursprung, den QiGong und Taiji gemeinsam haben!
Auch hier kommt die Bewegung nicht aus der Muskelkraft, sondern aus der gezielten Atmung, der Steuerung von Qi… – Aber hier liegt auch schon der maßgebliche Unterschied: Das Ziel. Taiji vereint Bewegungen aus dem Kampfsport mit dem gezielten Einsatz von Qi nach außen, nämlich auf einen Gegner! Während beim QiGong ein Gegner gar nicht vorkommt, hier ist es Qi-Übung innerhalb meines Körpers mit dem ausschließlichen Ziel der eigenen Gesundheit.
Genauso wie Taijji ist QiGong kein „Senioren-Sport“! Gegen dieses weit verbreitete Vorurteil möchte ich hier entschieden antreten. Prävention? Ja. Reha? Ja. – Aber wer kann heute schon noch behaupten, dass Prävention und Regeneration nur etwas für „golden ager“ ist? Und wieviele „junge Leute“ lassen im Alltag körperliche und geistige Beweglichkeit und Balance und insbesondere Resilienz vermissen? Wer Taiji und QiGong schon früh für sich entdeckt, findet u.U. einen „Schatz“ fürs Leben…
All das sind Dinge, an denen man schon frühzeitig die Wirkung von QiGong erkennen kann – und damit Qi spüren kann. Es ist tatsächlich weniger geheimnisvoll als es manchmal gemacht wird.
Es geht ja nicht darum, dem Qi in jedem einzelnen Zentimeter meines Körpers nachzujagen und es an jeder einzelnen Stelle zu „spüren“, sondern die Wirkung von QiGong überhaupt wahrzunehmen. Nicht jagen – nur „mitkriegen was passiert“. Und das ist, ganz nebenbei und „all inclusive“ neben der Erholung und Entspannung noch so einiges: Körperliche und psychische Regeneration und Kräftigung, Beweglichkeit (und nicht nur körperliche), Links-rechts-Koordination, Gleichgewicht (körperliches wie emotionales), geistige Fitness, Konzentrationsfähigkeit, Stress-Resilienz, Herz-Kreislauf-Stabilität und insbesondere eine deutlichere Körperwahrnehmung und tiefe Regeneration.
Man muss wirklich nicht viel dafür tun, man kann QiGong in kleinen „to go“-Portionen, als „Atempausen“ in sein Leben integrieren und bereits spürbar davon profitieren. Auch das macht es so mühelos. Mir macht es schon Freude wenn ich sehe, dass nach einem Kurs die allermeisten Teilnehmer entspannt, mit aufrechter Haltung, ruhigem Herz und klaren Augen nach Hause gehen. Das nennt man dann wohl „aufrichtendes Qi“.
Natürlich gibt es viel zu lernen, viel Hintergrundwissen (aus der TCM), so manch ein Detail in der Physiologie oder Körperhaltung, an dem man feilen kann und sollte, um sich weiter zu entwickeln – aber der Anfang ist nicht mehr als das: Atmen und bewegen – nicht umgekehrt!
Autorin: Nicola Maureder (HP), Köln, QiHai – Meer des Qi, TCM & QiGong
Fotos: Nicola Maureder und Taiji Forum
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