Leben zwischen Ein- und Ausatmen
Übungen zur Stärkung der Lungen-Funktion
In der aktuellen Situation macht es Sinn, sich etwas intensiver damit zu beschäftigen, wie wir durch unsere chinesischen Lebenskünste die Funktionsfähigkeit unserer Lunge stärken können. Huang Tsui-Chuan hat eine Reihe von Übungen zusammengestellt, die die Lunge stärken, die Atmung vertiefen und unser Abwehrsystem unterstützen.
Buddha stellte eine Frage an seinen Schülerkreis: „Wie lang ist das Leben?“
Einer sagte: „Zwischen 40 und 50 Jahren.“
Ein anderer äußerte sich: „Wenn man Übungen macht, kann man sicher über 60 Jahre leben.“
Ein Dritter sprach: „Wenn man den ganzen Tag, von morgens bis abends, fleißig übt, dann kann man auch über 70 werden.“
Buddha blickte schweigend in die Menge und sagte: „Das Leben besteht nur zwischen Ein- und Ausatmen!“
Laut der chinesischen Yang-Sheng-Philosophie – dem Wissen über die Lebenspflege, die seit mehreren Jahrtausenden als Tradition in China überliefert wurde – können wir in unserem Alltag viel unternehmen, um unsere Gesundheit zu erhalten, uns nicht anzustecken oder nach einer Ansteckung schnell zu genesen. Die Selbstheilungskraft ist eine Grundfähigkeit der Körpernatur. In der chinesischen Medizin wird die Wurzel der Beschwerden gesucht. Liegen sie am Ungleichgewicht zwischen Yin und Yang, wird eine Korrektur der energetischen Grundlage eingeleitet. Sind die Beschwerden durch äußere Faktoren entstanden, wird energetisch ein Gegenpol eingesetzt, zum Beispiel Wärme gegen Kälte oder abkühlendes Mittel gegen Hitze.
Für die Abwehrkraft ist die Lunge zuständig. Als oberstes Organ hat die Lunge durch die Nasenlöcher eine direkte Verbindung mit der Außenwelt und ist deswegen empfindlich für klimatische Veränderungen. Die verschiedenen Wetterlagen wie Kälte, Hitze, Wind, Nässe und Trockenheit können bei der Lunge zu funktionalen Störungen führen. Die Haut als Schutzorgan, die eine energetische Verbindung mit der Lunge hat, ist von Eindringlingen von außen direkt betroffen. Zwischen Nase (Sinnesorgan), Lunge (Organ) und Haut (Gewebe) gibt es einen funktionalen Zusammenhang.
Nach westlicher Ansicht ist die Lunge für Atmung und Sauerstoffversorgung zuständig. Anatomisch gesehen enthält die Lunge rund 300 Millionen Lungenbläschen (Alveolen), deren riesige Oberfläche, etwa 93 Quadratmeter, ist von kleinen Blutgefäßen umschlossen. Der Sauerstoff der eingeatmeten Luft wird dort gegen Kohlendioxid, ein Abfallprodukt der Zellatmung, ausgetauscht und an den Blutstrom abgegeben. Dadurch werden die Zellen mit frischer Energie versorgt und können sich regenerieren.
Nach chinesischer Auffassung werden der Lunge noch die folgenden Funktionen zugeschrieben:
„Sie herrscht über das Qi und die Atmung.
Sie kontrolliert Leitbahnen und Blutgefäße.
Sie kontrolliert Verteilen und Absteigen.
Sie reguliert die Wasserwege.
Sie kontrolliert Haut und Haar.
Sie öffnet sich in die Nase.
Sie beherbergt die Körperseele-Po.“
(Giovanni Maciocia: Die Grundlagen der chinesischen Medizin, S. 89)
Seit der Geburt ist die Lunge von Natur aus zum Atmen befähigt, das Atmen dient als Motor des Organismus, der den energetischen Austausch zwischen Innen und Außen gewährleistet und so den Stoffwechsel ungestört in Gang hält. Durch die Atmung wird das eingeatmete Qi, das nicht nur Sauerstoff, sondern auch kosmische Bestandteile enthält, zuerst mit dem aufsteigenden Nahrungs-Qi von der Milz in der Lunge gemischt. Dann wird die gesammelte Energie nach unten zum Herz gebracht und durch den Kreislauf im gesamten Körper verteilt. Bei vollständiger Atmung kann die Lunge sogar das Qi bis in die Nieren leiten, so dass die Nieren durch das Aufnehmen des Qi ihre Funktion beim Regeln des Flüssigkeitshaushalts gewährleisten können. Da das Lymph- und Immunsystem keine eigene Antriebskraft besitzt, ist seine Funktion ebenfalls von Atmung und Bewegung abhängig.
Diese physiologischen Vorgänge sind abhängig von der Kraft der Lunge und der Tiefe der Atmung. Bei einer flachen Atmung wird der Brustkorb kaum geöffnet, dadurch werden nur wenige Lungenbläschen, oft nur knapp ein Drittel, von der frischen Luft erreicht. Für die Gesundheit ist es wichtig, die eigene Atmung zu beobachten und von einer flachen Lungenatmung zur ursprünglichen Atmungsart – der natürlichen Bauchatmung – zurückzukehren, wie im Tiefschlaf. Bei tiefer Entspannung übernimmt der Körper selbst seine natürlichen Funktionen. Aber als Praktizierende von Taijiquan und Qigong wissen wir, wie schwer es ist, den Körper ganz seinen natürlichen Abläufen zu überlassen.
Autorin: Huang Tsui-Chuan
Redaktionell bearbeitet von Almut Schmitz. Dieser Artikel erscheint auch im Taijiquan & Qigong Journal
Fotos: Huang Tsui-Chuan und Loni Liebermann
Graphik: Gabi Kannenberg
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