Autorin: Katharina Meyer, Coach der Wirtschaft IHK
Coaching und Tai Chi vertragen sich nicht. Jedenfalls nicht zu den Bedingungen, unter denen das Coaching im Zusammenhang mit einem Tai Chi-Training oftmals zustande kommt. Nicht, dass ich es als professionell ausgebildeter Coach den vielen Tai Chi-Lehrern oder Lehrerinnen nicht gönnen würde, dass sich ihre Schüler vertrauensvoll an sie wenden, um „neben“ der Kunst des Tai Chis auch noch eine Lösung für ihre Probleme zu erarbeiten. Der Grund ist ein anderer: Die Grenzen, die zwischen einem Coach und seinem Klienten zwingend bestehen müssen, um professionelles Coaching überhaupt möglich zu machen, werden durch das „Lehrer – Schüler“-Abhängigkeitsverhältnis konterkariert oder sogar mutwillig missachtet. Es ist einer professionellen Begleitung durch einen Coach also abträglich.
Begründung:
Die Beziehung, die ein Trainer zu seinem Schüler aufbaut, ist nicht dieselbe, die er als Coach zu seinem Klienten aufbaut – oder einfacher gesagt: Ein Trainer ist kein Coach, ein Coach ist kein Trainer. Zu den persönlichen Grenzen im Coaching gehört zum Beispiel die Unabhängigkeit beider Seiten voneinander; die Strukturen, in denen Coach und Klient leben, dürfen nicht eng miteinander verwoben sein. Und außerdem sollte der Coach keiner bestimmten Ideologie (die Tai Chi als Lebenseinstellung im übertragenen Sinne darstellt) anhängen. Denn er muss sich in die Welt seines Gegenübers einfühlen und dessen Bedürfnisse erfassen, um dann eine Lösung, basierend auf dem Wertesystem des Klienten (nicht des Coaches), mit ihm gemeinsam zu entwickeln. Es entsteht also beim professionellen Coaching ein Verhältnis auf Augenhöhe, das zwischen Trainer und Schüler so nicht gegeben ist. Der Trainer ist eben Lehrer – der Coach ist keiner, sondern ist eher Partner; er verfügt über Methoden, die dem Klienten helfen können, eine ihm entsprechende Lösung für sein Problem zu finden – aber nicht, indem er ihn anweist oder ihm gar Lösungen suggeriert, die er als Coach für den Klienten für richtig hält – im Gegenteil: Die Eigenverantwortlichkeit des Klienten für sein Leben ist in hohem Maße gefragt.
Der Coach sollte außerdem in keinem persönlichen Verhältnis zum Klienten stehen. Denn die Gefühle, die das Verhältnis dann bestimmen, verstellen den Blick auf die Probleme des Klienten. Dadurch wird eine Lösung, die dem Klienten entspricht und nicht den eigenen Vorlieben, weitestgehend unmöglich gemacht. „Coache nie einen Freund, coache nie einen Menschen, der von Dir abhängig ist“, ist eine der wichtigsten Regeln des professionellen Coachings.
Lehre ich Tai Chi, dann baue ich zu meinen Schülern notwendigerweise ein mehr oder weniger enges Verhältnis auf. Tai Chi spricht eben nicht nur den Körper an, sondern auch die Seele. Nicht umsonst erhoffen sich viele Menschen von dieser Sportart Erleichterung oder Heilung, idealerweise die Lösung ihrer Probleme. Ist der Trainer sensibel – und das sind sicherlich die meisten –, wissen sie darum und gehen entsprechend mit dieser Situation um: Respekt, ein gewisses Verständnis, aber auch die Distanz sind unabdingbar. Doch schaut man sich im Internet um, stellt man fest, dass diese Grenzen immer stärker verwischen (nicht zuletzt auch deshalb, weil Coaching kein geschützter Beruf ist und sich ziemlich viele Menschen ohne entsprechende Ausbildung einbilden, sie könnten „das“): Die Trainer bieten den Schülern auf ihrer Tai-Chi-Seite auch ein Coaching an! Bei vielen Schülern kommt das sicherlich gut an, sieht es doch so aus, als versammle sich hier geballte Kompetenz. Doch ein Coaching über das Erlernen des Tai Chis zu vermitteln, weckt bei professionellen Coaches sofort Misstrauen: Wird hier das Vertrauensverhältnis des Schülers ausgenutzt? Kann der Trainer überhaupt aus seiner Rolle als Trainer heraus (s.o.)? Ich will keinem Trainer, der auch als „Coach“ unterwegs ist, unterstellen, dass er sich nicht intensiv mit seiner Rolle auseinander gesetzt hat. Aber trotzdem seien die interessierten Schüler gewarnt: Fühlt man sich in einer Tai-Chi-Schule gut aufgehoben, ist das sicher für alle gewinnbringend. Aber aus dem entstandenen freundschaftlichen, kollegialen oder gar Abhängigkeits-Verhältnis ein Coaching werden zu lassen, sollte man sich vor dem geschilderten Hintergrund auf jeden Fall gut überlegen. Die (emotionale) Distanz zum Coach ist äußerst wichtig, um lösungsorientiert und unabhängig von den Vorlieben des Coaches Lösungen erarbeiten zu können, die dem Klient – und nur ihm – gerecht werden. Und ein Coaching, professionell betrieben, darf sich nicht auf die Abhängigkeit, Freundschaft oder Vertrauen des Schülers/Klienten stützen.
Und: Hat der Coach nichts mit dem Umfeld des Klienten zu tun, lässt es sich ohnehin besser reden – denn zu viele Kontakte aus ein- und demselben Umfeld verstärken meist die Angst des Klienten, dass doch etwas von den Problemen nach außen dringt. Entsprechend sollten auch die Trainer davon absehen, dem Klienten in einer problematischen Situation während des Trainings ein Coaching anzubieten.
Im übrigen sollte eine Beratung immer darauf basieren, dass der Klient sich zuerst bewusst wird, dass er eine solche braucht – um dann von sich aus einen Coach zu kontaktieren und nicht umgekehrt.
Falls Sie sich als Schüler nun unbedingt vom Trainer coachen lassen möchten, hier wenigstens noch ein paar kleine Tipps: Lassen Sie sich, wenn irgend möglich, bei der Auswahl nicht von Ihren Emotionen leiten, sondern fragen Sie sich möglichst sachlich und ehrlich, warum Sie das Coaching bei ihm in Anspruch nehmen wollen. Außerdem ist es sinnvoll, Ihren Trainer nach seinen Methoden und seiner Vorgehensweise zu fragen. Kann er Ihnen keine klare Auskunft darüber geben, wie er mit Ihnen arbeiten wird, antwortet er schwammig oder für Sie nicht nachvollziehbar, versucht er sich sogar auf das wunderbare Verhältnis zu Ihnen zu beziehen, das schon dafür sorgen werde, dass das Coaching ein Erfolg wird – dann nehmen Sie Abstand und lassen sich erstmal von einer externen Stelle beraten (zum Beispiel vom Deutschen Coaching Verband, Deutschen Bundesverband Coaching, Coachingverband oder anderen). Es könnte außerdem sein, dass der Trainer Ihnen Methoden nennt, die Ihnen nichts sagen oder die Sie trotz Erklärung nicht verstehen. Setzen Sie sich trotzdem kritisch damit auseinander, hinterfragen Sie, ob seine Vorgehensweise tatsächlich zu Ihnen passt – auch während des Coachings. Und ganz wichtig: Beim professionellen Coaching haben Sie jederzeit die Möglichkeit, auszusteigen, aus was für Gründen auch immer. Jeder Coach, der versucht, Sie zu überreden oder drängelt, trotz Ihrer Vorbehalte weiter zu machen, sollte Sie misstrauisch machen.