Der Tritt im Taiji

In den meisten Systemen des Kampfsports oder der Kampfkunst zeichnet sich ein Tritt primär durch Hüftarbeit aus. Sei es im Karate das Anziehen der Knie nach oben und ein Vorschieben der Hüfte mit synchronem Strecken des Beins oder im Taiji das Öffnen und Schließen der Hüftgelenke.

Einen Tritt entstehen lassen, statt ihn selber zu erzeugen

Tritt im Taiji

Egal, in welcher Variante solch ein Tritt ausgeführt wird, beruht er ausschließlich auf eigener Kraft und ist somit anfällig, vom Partner frühzeitig erkannt zu werden. Hinzu kommt das Austarieren des eigenen Gleichgewichts über das Standbein, welches die senkrechte Achse des Körpers zum Boden darstellt. Durch das Vorschnellen oder Öffnen und Schließen der Hüfte, findet eine permanente Ausrichtung der Achse im Körper statt, was nur bei einem festen Stand möglich ist. Ein fester Stand wiederum bedeutet Starrheit und Druckerzeugung. Ein Tritt in dieser Form ist nur dann effektiv, wenn das Standbein verwurzelt ist, um Kollisionsenergie ableiten zu können und der Partner dahingehend instabil ist, dass er auf den Tritt nicht, zu spät oder irrtümlich re-agiert.
Das Problem dieser Art der Kraftgenerierung durch ein Bein in den Körper des Partners sind die brüchigen Bewegungen, die sich darin zeigen, dass im eigenen Körper ein beständiges Wechselspiel (Widersprüche) herrscht zwischen Stehen, Ausrichten, Entspannen, Anspannen, Ausdehnen oder Zusammenziehen. Außerdem ist das Risiko brüchiger Bewegungen hoch, da ein Tritt zumeist nach einer konkreten Schrittfolge eingeübt wird: Standbein ausdrehen, Knie an die Hüfte nehmen, Hüfte nach vorne schieben, Ausstrecken des Beins und Ausrichtung des Fußes, um z. B. nur mit dem Ballen, der Fußaußenkante oder der Fußsohle oder den Zehenspitzen zu treffen. Jeder dieser Schritte weißt Anfangs- und Endpunkte auf, so dass man im eigenen Körper genötigt ist, immer wieder Schwung zu holen, dieser Schwung im Sinne einer temporären Gegenläufigkeit zum eigentlichen Ziel der Technik verlangsamt die Bewegung, lässt Kraft verschleißen und Zeit verlieren.

Treten als Folge des Sinkens

Will man effektiv treten, ist das tretende Bein, welches der Kanal zwischen eigenkörperinterner Energie und dem Energiesystem des Partners ist, zu vernachlässigen. Der Fokus sollte auf dem Standbein liegen. In gewisser Weise wird sogar mit dem Standbein getreten, weil dort die eigentliche Technik stattzufinden hat.
Die Ausrichtung des eigenen Körpers gemäß der Schwerkraft bedingt ein Sinken in das Standbein beim synchronen Heben des „leeren“ Beines, welches die Kraft übertragen kann. Die Kraft kommt hierbei nicht aus einer speziellen Hüftbewegung, sondern ist die natürliche Fortsetzung der von oben nach unten in das Standbein wirkenden Kraft.
Auch hier besteht ein Wechselspiel, welches aber keinen Widerspruch beinhaltet: Der Körper „geht nach unten“ im Standbein und auf der anderen Körperseite steigt die Kraft nach oben.
Der Tritt funktioniert wie ein Flaschenzug: Auf der einen Seite wird Kraft nach unten gebracht, um auf der anderen Seite Kraft nach oben zu bringen. Da die nach oben steigende Kraft eine Folge der nach unten gerichteten ist, ist diese Form des Tritts unscheinbar, denn die Technik findet im Standbein bzw. in der nicht tretenden Körperhälfte statt. Das macht diesen Tritt effektiv, weil eine komplette Kraftentladung bei zeitgleicher Wahrnehmungsverzögerung des Partners stattfindet. Der Tritt des tretenden Beins ist in diesem Sinne gar kein Tritt, weil „Tritt“ als Technik stets einen Anfangs- oder Endpunkt benötigt. Diese gibt es aber nicht, arbeitet man ausschließlich mit dem Auf und Ab von Kräften im eigenen Körper, da diese immer präsent sind und nicht erzeugt (Anfangspunkt) und entladen (Endpunkt) werden müssen.

Autor: Christoph Eydt

Foto: Ken van Sickle