Gehen im Taiji

Wer Taiji übt, läuft meistens eine mehr oder weniger lange Form. Diese Form zeichnet sich durch fließende Bewegungen aus, also durch das Verbunden-sein verschiedener Muster, die in sich eine Folge ununterbrochener Bewegungen darstellen. Zu wenig Augenmerk liegt hierbei auf den Füßen und Beinen, denn bei jeder Bewegung, die einen Schritt benötigt, vernachlässigen viele die Taiji-Prinzipien, indem sie ihr Bein isoliert anheben und woanders wieder absetzen. Im Taiji ist das Heben und Ausrichten des Beines aber keine isolierte oder rein zentrumsgesteuerte Bewegung, sondern eine Folge des ständigen inneren Fallens.

Das Bild vom Ball

Man stelle sich einen Ball im Körperzentrum vor. Setzt man nun einen Fuß nach vorn, fällt dieser Ball in diesen Fuß hinein. Beim Aufsetzen des Fußes prallt der Ball im Inneren von unten nach oben ab, gelangt zurück ins Körperzentrum und fällt in den anderen Fuß hinein, der entsprechend gesetzt werden kann. So besteht eine kontinuierliche Bewegung zwischen den Füßen. Ein Schritt ist niemals das Ergebnis von Bein- und/oder Hüftarbeit, sondern immer nur der Regulierung der im Körper wirkenden Schwerkraft. Das Sinken auf das Standbein bedingt ein Emporsteigen der Schwerkraft, die im Zentrum gelenkt werden kann – u. a. in das andere Bein, um dieses bruchlos zu bewegen.

Fallen und steigen

Somit kommt es zu einem dauerhaften Wechselspiel von fallender und fallend-steigender Energie, denn die aufsteigende Energie ist keine neu generierte, sondern lediglich die Fortsetzung der fallenden Energie, wie bei einem Ball, den man auf den Boden aufschlägt: Er prallt ab und fliegt in eine andere Richtung vom Boden weg. Dies tut der Ball nicht selbst.
Deshalb ist das Gehen im Taiji die wichtigste Grundlage für alle anderen Bewegungen. Auch die Gewichtsverlagerungen erfolgen nicht aktiv, sondern sind immer nur die Folge der Verlagerung der fallenden Kraft. Eine Bewegung innerhalb der Form sollte daher nie mit einer Gewichtsverlagerung beginnen, sondern stets mit dem Sinken und der daraus resultierenden aufsteigenden Kraft. Um sich bruchlos zu bewegen, ist ein ständiges Sinken das Maß aller Dinge. Es führt in die Irre, in einer Bewegung zu sinken, um sich in der nächsten neuauszurichten, nur um dann wieder zu sinken. Im Optimalfall ist das Sinken ein Dauerzustand. Man bewegt sich also immer „tief“ und „rollend“, was so das Wechselspiel von „voll“ und „leer“ begünstigt. Durch diesen Ansatz kann auch die Körperstruktur vernachlässigt werden, denn die fallende und aufsteigende Energie ist auch dann nutzbar, wenn man verdreht oder schief steht bzw. in Bewegung ist. Die Essenz all dessen ist die ständige Bewegung nach unten.
Ein einmal gesetzter Impuls kann so beliebig lange im Körper genutzt werden. Man muss nicht immer wieder neu ausholen, weil der Impuls im Körper zirkuliert und reibungslose Bewegungen ermöglicht. Es findet gewissermaßen ein Push Hands im Körperinneren statt.

Autor: Christoph Eydt

Foto: Taiji Forum