Viele Kampfkunsttechniken beruhen auf ein- oder zwei, selten auf dreidimensionalen Bewegungen, was immer wieder Brüche im Bewegungsablauf bedingt. Will man beispielsweise einen angreifenden Arm mit einem Stab abwehren, folgt auf den Reiz des Angriffs die Reaktion des Ausweichens und Aufnehmens / Blockens des angreifenden Arms mittels des Stocks. Die sich daran schließende Folgetechnik zur endgültigen Kontrolle des Partners, sofern sie ein- oder zweidimensional geführt wird, ist eine neue Bewegung und damit mit einem Bruch zur vorherigen verbunden. Man kann z. B. einen Fuß nach vorne setzen und den hinteren Teil des Stocks nach vorne auf den Gegner schlagen. Das Schema sähe wie folgt aus:
- Ausweichen um 45 Grad nach hinten rechts bei einem angreifenden rechten Arm.
- Vorschub des rechten Beines in den Raum des Partners, synchron das Umwuchten des Stocks nach vorne in den Partner hinein.
Immer wieder neu Schwung holen und abstützen
Zeit und Raum gehen verloren, wenn zwischen 1. und 2. ein Bruch stattfindet, der sich darin äußert, dass eine Gewichtsverlagerung auf das ausweichende Bein stattfindet, die anschließend wieder kompensiert werden muss, um eine Bewegung nach vorne zu ermöglichen. Das ausweichende rechte Bein wird, wenn auch nur kurz, zur Stütze des gesamten Körpers. Um einen Angriff nach der Verteidigung zu starten, folgt die Verlagerung des Gewichtes in das linke Bein, damit das rechte Bein inklusive des Stockendes nach vorne manövriert werden kann. Meistens findet unabhängig von den äußeren Bewegungen eine zweidimensionale Bewegung statt, nämlich horizontal und vertikal. Auch die fast zeitnahe Verbindung von Ausweichen und Angriff ist dahingehend zeitverzögert, dass der Körper auf einer horizontalen Ebene aus der Angriffslinie bewegt wird und ggf. ein tiefer Stand im Ausweichen manifest wird, was die vertikale Ebene ausmacht. Es kann wie eine diagonale Bewegung wirken, wenn horizontale und vertikale Bewegungen vereint werden. Dennoch bleibt immer ein Umwuchten und damit Bruch vorhanden, was Zeit kostet, denn für jede vor diesem Hintergrund stattfindende Bewegung braucht es eigens eingeleitete Gewichtsverlagerungen von einem Bein auf das andere.
Taiji und die Kugel
Anders gestaltet sich dies, wenn der Körper von vornherein als Kugel in einem dreidimensionalen System bewegt wird. Das oben beschriebene Ausweichen mit Folgeangriff entspricht eine Kugelbewegung nach hinten, gefolgt von bedingtem Schwung nach vorne. Man holt also aus, um sich bewegen zu können. Wird der Körper allerdings sofort als eine Kugel bewegt, die nicht nur nach hinten bewegt wird, sondern auch nach unten, wird ein Bruch in der Bewegung vermieden, weil eine Kugel, die nach unten rollt nach Erreichen der Talsohle nahezu automatisch wieder nach oben rollt, ohne dass ein zusätzlicher Schwung gebraucht wird. Es finden also horizontale, vertikale und diagonale Bewegungen dahingehend statt, dass das Gewicht nicht mit einem eigens erzeugten Schwung umgelagert wird, sondern die Umlagerung des Gewichts eine Folge der runden Bewegung von oben nach hinten unten und von unten nach vorne oben ist. Damit werden Schwung- also Pendel- oder Ausholbewegungen vermieden, was Zeit und Raum fördert, zugleich die Bewegung unscheinbar werden lässt, da es keine Start- und Endpunkte gibt.
Nicht als Kugel, sondern wie eine Kugel
Der Mensch ist keine Kugel. Das heißt, er kann sich auch nie als Kugel bewegen, sehr wohl kann er sich aber so organisieren, dass er sich wie eine Kugel bewegt. Eine Kugel braucht, sofern der Raum es nicht hergibt, einen Impuls, um in Bewegung versetzt zu werden. Für den Menschen ergibt sich dieser Impuls aus der Schwerkraft. Die Schwerkraft wirkt konstant nach unten. Der Körper ist also dauernd am Fallen. Wenn dieses Fallen gesteuert wird, ergibt sich daraus die Anpassung des Körpers an die Schwerkraft. Er rollt – ausgehend vom Körperzentrum – in die ihn liebsamen Richtungen und kann jederzeit über sein Körperzentrum die Richtung verändern. Bedingung für die ansatzlose und verschließarme Bewegung ist aber, dass die Kugel nicht auf einer Ebene zurück- und vorgerollt wird, was jeweils mit Schwüngen verbunden wäre, sondern dass die Kugel mittels der dritten Ebene natürlich beschleunigt wird und über Ellipsenbahnen ihre Kraft behalten kann.
Folglich ergibt sich die „kugelige“ Schrittfolge der Bewegung:
- Ausweichen nach hinten rechts verbunden mit dem Prinzip des Sinkens (Bewegung nach hinten: horizontal. Bewegung nach unten: vertikal. Bewegung auf Ellipse: diagonal.)
- Der aus 1. erzeugte Bewegungsimpuls wird über das Körperzentrum nach vorne beschleunigt, weil gemäß der Kugelbewegung, der Körper automatisch nach vorne und oben befördert wird. Es findet damit zuerst die Vorwärtsbewegung statt und erst danach die Gewichtsverlagerung als natürliche Folge. Es gibt damit keinen Aufprall und kein Abdrücken des Körpers gegen den Boden, welche die Technik vorhersehbar machen würden. Der Partner erkennt die Bewegung zu spät, weil sie im Inneren vonstattengeht und die Umstrukturierung in eine Vorwärtsbewegung nur eine Manifestation der eigentlichen Kugelbewegung ist und nicht die Bewegung an sich.
Autor: Christoph Eydt
Foto: Ken van Sickle