Wahrnehmungsbezogene Bewegung in der Kampfkunst

Fajin

Im Regelfall lernen Adepten der Kampfkunst zu internalisierende Muster von Angriff, Verteidigung und allgemeiner Bewegung. Sie schulen Reflexe, Schnelligkeit, Kraft, Distanz, Timing usw. Die Voraussetzung für das Funktionieren ist aber immer das rechtzeitige Erkennen der Bewegung des Partners. Im Optimalfall kann man die Bewegungen des Partners erkennen, bevor dieser sie selber als Impuls erkennt und ausführt. Doch auch dies ist nichts weiter als Reaktion.

Re-Aktion statt Aktion

Fajin - Bewegung in der Kampfkunst

Man hinkt der Wirklichkeit stets hinterher und ist darauf angewiesen, dass der Partner einen Schritt mehr der Wirklichkeit hinterherhinkt. Der Grund liegt darin, dass der Bezugspunkt „Partner“ als Maßstab für eigene Bewegungen genommen wird. Man ist also gezwungen, die Energien des Partners wahrzunehmen, zu deuten und entsprechend darauf zu re-agieren.
Dies kann funktionieren und tut es in den meisten Fällen – ist aber nicht effektiv im Sinne eins allgegenwärtigen Schutzes. „Allgegenwart“ heißt die Präsenz im Hier und Jetzt zu haben und nicht über konditionierte Reiz-Reaktions-Brücken zu arbeiten. Jede Handlung, die in Korrelation zu einem Partner besteht, ist immer eine Reiz-Reaktions-Brücke. Auch das Erkennen der Absicht eines Partners ist nur Reiz-Reaktion, denn das Erkennen der Absicht beruht auf Erfahrungen. Erfahrungen sind immer nur Erinnerung. Erinnerung wiederum ist Zeit. Zeit wiederum ist Raum. Wer also eine Absicht erkennt, verbraucht Zeit und damit Raum, außerdem gibt man sich den Strukturen des Partners hin, indem man sich auf dessen Reize einlässt. Man handelt also immer nur in abhängig zum Partner, nie unabhängig. Das wiederum heißt: Man passt sich der Welt (Zeit-Raum) des Partners an, was wiederum die eigenen Handlungsmöglichkeiten einschränkt.

In sich selbst bleiben

Der Optimalfall wäre, sämtliche Strukturen und Muster des Partners überfällig zu machen. Dies gelingt aber nicht, indem man sich auf diesen erst einstellt.

Durch die Organisation des eigenen Körpers anhand der Schwerkraft und der damit verbundenen Auflösung des klassischen Zeit-Raum-Denkens handelt man stets allgegenwärtig und der Partner ist genötigt, sich dem Raum anzupassen, was ihm aber misslingt, da über Bewegungsaussteuerung im Körper die Zeit, und damit auch der Raum reguliert wird.
Der Partner, welcher in der Regel auch mit Reiz-Reaktions-Brücken arbeitet, wird stets der Wirklichkeit hinterherhinken, weil man selbst die Welt ist, in der der Partner lediglich ein Statist ist.
Durch das Vermeiden von brüchigen Bewegungen, also Kollisionen, Spannungen oder abprallenden Bewegungen vom Boden, gibt es keine Reize, die der Partner effektiv wahrnehmen könnte. Gerade die Organisation der eigenen Achsen inklusive innerer Bewegungen von Organen, Muskeln, Faszien usw. in Harmonie mit der Schwerkraft, lässt die Wahrnehmung des Partners täuschen, obwohl keine Täuschungsabsicht besteht. Der Grund ist, dass man sich nicht in Harmonie mit der Schwerkraft bewegt, auch wenn „Harmonie“ eine gute Beschreibung darstellt. Allerdings setzt „Harmonie“ immer einen Gegensatz voraus, welcher seinerseits wiederum Reiz-Reaktions-Brücken begünstigt. Man bewegt sich letztlich als Schwerkraft und nicht mit oder in Harmonie mit der Schwerkraft. Dadurch „sieht“ der Partner nur das Alltägliche, nämlich die immer wirkende Schwerkraft. Er sieht nicht das Potential einer Energieübertragung, weil die Energieübertragung selbst Schwerkraft ist. Es gibt somit keine Anfangs- oder Endpunkte von Bewegungen und man bewegt sich im Raum als Raum in Form eines Schattens, der dem eigenen Körper entspricht.
Die Wahrnehmung eines Partners wird dahingehend manipuliert, dass eben nichts manipuliert wird, sondern dass man selbst als „Raum“ wirkt, in welchem die Schwerkraft omnipräsent ist. So kann der Partner, wenn überhaupt, nur verzögert handeln, denn sämtliche Bewegungen sind „unsichtbar“, wenn gleich sie auch erkennbar sind.

Autor: Christoph Eydt

Foto: Taiji Forum