European Taijiquan und Qigong – Congress/ Forum

5. TCFE Forum

European Taijiquan und Qigong Forum_TCFEFür das diesjährige Forum (6. bis 13. Juli 2003 in Borovetz, Bulgarien) der »Taijiquan and Qigong Federation of Europe« war als Veranstaltungsland Bulgarien auserkoren, ein Land, von dem die meisten Westeuropäer kaum eine klare Vorstellung haben. Roberta Polizzi nutzte die Gelegenheit zu einer Reise in die Fremde, an deren Ende sie dann wieder auf bekannte Gesichter traf.

Mit Begeisterung habe ich die Anregung von Cornelia Gruber aufgenommen, am europäischen Forum teilzunehmen und Bulgarien zu bereisen. Zur Verfügung hatte ich: viel Zeit, wenig Geld und eine große Sehnsucht nach einer echten Reise – in eine fremde Kultur, eine unbekannte Sprache, mit einer auf das Wesentliche reduzierten Kommunikation. Viel Raum und Zeit zu finden – auch wenn ich noch nicht genau wusste, was. Ich wurde erhört, die Räume eröffneten sich mir langsam, aber sicher, so wie die Buchstaben des kyrillischen Alphabets, die heimeligen Kirchen – Orte eines alltäglichen und familiären Kultes, ein Votivsöckchen hier, ein Leiter mit Eimer dort – die wunderschönen Moscheen oder die fast touristenfreien, sehr gepflegten Museen, untergebracht in den wunderbaren Häusern des bulgarischen Barock.

In diesem Land, so reich an Geschichte, arm an Geld und Mutter manch großer Mythen (in einer seiner zahlreichen Bergketten erblickte Orpheus das Licht der Welt, der mit seinem Gesang die Götter zu bezirzen wusste), überlagern sich verschiedene Vergangenheiten und zahlreiche Kulturen und an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken.

Nach drei Wochen in dieser Vielfalt unterwegs kam ich schließlich in Borovetz an, dem Ort des Forums. Was ist Borovetz eigentlich? Schwer zu verstehen für mich, neu im Osten Europas. Für die Bulgaren allerdings, und zwar unisono, ein Name, der heftige Seufzer der Bewunderung hervorruft. Bergkurort für den Adel zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, 1949 verstaatlicht und dann vor allem von der Parteielite genutzt, ist er heute ein Ort für winterlichen Pauschaltourismus. Seine Hotels, mit Banken und Geschäften versehen, sind auf die Grundformen der Geometrie reduzierte Betonklötze: rechter Winkel, gleichschenkliges Dreieck. Auf der Hauptstraße wird an den serienweise aufgestellten Buden massenhaft der übliche Touristenplunder verkauft – neben Pullovern aus echter Wolle, so dick, wie ich sie nur aus meiner Kindheit in Erinnerung habe. Dann die Schlepplifte, wie große in einen verkehrten Winterschlaf verfallene Tiere, und ringsum der Wald, Blumen in tausend Farben. Das Hotel, wo unser Treffen stattfindet, nennt sich Olympus und gehört dem Militär (die anderen, so wurde mir gesagt, der Mafia). Es gibt ein Schwimmbad, fernab der Sonne im Untergeschoss, welches ganz der körperlichen Ertüchtigung gewidmet ist. Die Aufzüge sind mit Vorsicht zu benutzen, denn sie wechseln sich mit dem Funktionieren ab und du weißt nie, ob du gerade in den richtigen eingestiegen bist und ohne Schwierigkeiten zu deinem Stockwerk gelangen wirst.

Wir essen alle zusammen im Restaurant im Soutterain. Beim Frühstücken enthüllen die noch knittrigen Gesichter die zu wenigen Stunden Schlaf, die den Tänzen in der nächtlichen Diskothek gestohlen wurden, wenn nicht gar den gemeinsamen Verkostungen in der Suite mit Minibar ‑ so erzählt man sich – bei manch großzügigen Gastgebern, die nicht nur die chinesischen Kampkünste, sondern auch die raffinierte Schnapsbrennerei verehren.

Man lebt also gemeinsam in einer Atmosphäre wie auf einem Dorf, mit allen zugehörigen Vor und Nachteilen. Es ist ein wenig so, als würde man sich in Unterhose, die Zahnbürste noch im Mund, im Flur begegnen, bevor man überhaupt den Morgenrock übergestreift hat. Und man lernt sich besser kennen in diesem magischen Klima der europäischen Taiji und Qigong-Treffen, wo die Meister der Kunst sich gerne unter die Neuankömmlinge mengen und alle sich auseinander setzen mit den tausend verschiedenen Arten, sich diesen Künsten zu nähern: von der philologischen Treue zu den geachteten Traditionen bis hin zu gemischteren und experimentelleren Wegen.

Die etwa hundert Teilnehmenden bewegen sich in offenen Räumen eines Taijiquan, das teilweise noch schwebt zwischen einer tausendjährigen Tradition der mehr oder weniger »internen« und geheimen Lehre und den jüngeren Entwicklungen eines Taijiquan für alle – umso vielfältiger in einem Europa, das sich den Werten der Kritik, des Individuums, der Demokratie und des Marktes verschrieben hat. Aber es ist klar: Striktere Reglementierungen werden nicht auf sich warten lassen und die »Taijiquan and Qigong Federation for Europe« (TCFE) will bereit sein, ihren Part in den Verhandlungen auf einer politischen Ebene wahrzunehmen.

Als es um die anstehenden Neuwahlen des Vorstands und deren Modalitäten geht, wird das sehr glitschige Terrain der Alltagspolitik, der Verhandlungen, der Macht betreten: Es gibt manchen, der die Gefahr sieht und davor warnt auszurutschen und sich weh zu tun – oder vielleicht auch meint, dass man schon gerutscht sei, – und Auswege vorschlägt. Von der hitzigen Diskussion um die Rotation an der Spitze des Verbandes findet man allerdings keine Spur in den Protokollen des Kongresses, die man aus dem Internet herunterladen kann.

Hierüber und über anderes – wie zum Beispiel das Projekt eines mehrsprachigen europäischen Journals für Innere Künste, vorgestellt von Ronnie Robinson und Helmut Oberlack – wird in unterschiedlichen Zusammenhängen und unter verschiedenen Vorzeichen diskutiert: von der Seriosität der offiziellen Round-Table-Gespräche nach dem Frühstück bis hin zu den Witzen, eventuell zwischen den Zeilen zu verstehen, bei den informelleren und genüsslicheren Tafeln des frühen Abends.

Roberta Polizzi, Taijiquan und Qigong HamburgÜber den Workshop vor dem Frühstück kann ich leider nichts sagen, dort war ich nur am allerersten Tag (ein bisschen schäme ich mich dafür). Die Vormittage waren ausgefüllt mit Vorträgen und Diskussionen zu täglich wechselnden Themen. Nach dem Mittagessen ließ man wieder den Körper arbeiten. Sehr viele stellten sich dem apollinischen Bagua von Aarvo Tucker, andere zogen das Qigong von Hackan Onum aus der Türkei vor, wieder andere wagten sich an die kampfkünstlerischen Anwendungen und polizeilichen Griffe des Schotten Dan Docherty oder ließen sich von dem martialisch-kreativen Zugang des Belgiers Jean Luc Perot überraschen, der fast unauffällig in seinen Stunden von galanten Einladungen einzutreten – »open the door and come in«, auch Lü genannt, – völlig unerwartet dazu übergeht, den Gast durch die ganze Wohnung zu schleudern. Man amüsierte sich. Man lernte viel, es öffneten sich neue Horizonte oder man betrat einfach neue und weitere Landschaften, wie Jean Luc zu sagen pflegt.

Es hat hier keinen Sinn, alle anwesenden Lehrer und ihre Spezialitäten aufzuzählen, das wäre nur eine Liste. Erinnern kann man hingegen daran, dass die Lehrer ohne Entgelt denjenigen, die es wünschen, einen Blick in die eigene »Taiji- oder Qigong-Landschaft« anbieten: ein wenig Public Relations, ein wenig Ferien, ein wenig Hingabe an die Verbreitung der Kunst, und in diesem Falle insbesondere in Osteuropa. Dieses ist auch eines der wichtigen Ziele, die sich das Forum gesetzt hat, von den Veranstaltern im Osten, in Bulgarien vor allem von dem unermüdlichen Organisator Georgi Denichin, heftig gewollt. Die bulgarischen Teilnehmer sind etwa fünfzig an der Zahl (Ich glaube, aus den ­­anderen osteuropäischen Ländern war niemand dabei.) Sehr viele, angesichts der fast unerschwinglichen Kosten, den differenzierten und Solidaritätspreisen zum Trotz. Man muss in Bulgarien an monatliche Durchschnittseinkommen von 80 Euro denken, für diejenigen, die das Glück haben, einen Arbeitsplatz zu besitzen.

Stück für Stück schmilzt das Eis zwischen den Teilnehmern aus dem Osten und dem Westen, privilegierte Orte dafür sind die Bar und die Disko, bis zur fröhlichen Explosion des letzten Abends mit Folklore, wo schließlich die Hausherren die einzigen wahren Meister sind, die sich vollkommen wohlfühlen in dem für uns unmöglichen Tempo der traditionellen bulgarischen Rhythmen und vor allem in den synkopischen Schrittfolgen ihrer Tänze. Sie fordern uns zum Tanz auf, es bilden sich kreisende Reigen von neuen Schülern und noch neueren Meistern, die Rollen schließlich wirklich vertauscht, in diesem improvisierten Karneval im Juli im Hotel Olympus. Und plötzlich erscheint der Nachhall des heiligen Berges viel weniger fern, wo in der legendären Vergangenheit des alten Europa die Götter sich gern unter die Sterblichen mischten, zu nicht selten fruchtbaren Begegnungen.

Video „IMPRESSIONEN TCFE FORUM 2009 BULGARIA „

Autorin: Roberta Polizzi

Foto: taiji-forum.de