Vielfältige Interessenlagen bestimmen die Forschungslandschaft und Forschungsmöglichkeiten für Qigong-ForscherInnen.
Vielfalt der berührten Forschungsgebiete
Die vielfältige und oft auch heterogene Forschungslandschaft erschwert den Überblick für interessierte Praktizierende. Allein die universitäre Forschung teilt sich auf viele Felder mit jeweils eigenen Forschungsmethoden auf: von Medizin über Bewegungslehre/Sportwissenschaften bis hin zu Kulturwissenschaften, Religionswissenschaften und Philosophie. Dazu gibt es verschiedene gemischte Ansätze (sog. inter- oder transdisziplinäre Forschung). Daneben tritt die außeruniversitäre Forschung wie bspw. an privaten Forschungsinstituten sowie Einrichtungen und Ausbildungsschulen der Krankenpflege.
Sucht man nach seriösen Quellen bzgl. der Heilungswirkung von Qigong, kommt insbesondere Forschung im medizinischen/klinischen Sektor und auf dem Gebiet der Physiotherapie in Betracht. Die meisten interessanten Studien stammen aus diesem Bereich der Gesundheitsforschung.
Qigong als Gesundheitsforschung: Forschungsinteressen und Finanzierung
1. Ausgangslage: Der Druck des Forschers
Die Ausgangslage für Qigong-ForscherInnen in der Gesundheitsforschung ist eine prekäre. In vielen Ländern gibt es keine (ausreichende) Finanzierung für Grundlagenforschung, wie bspw. Forschungsarbeiten zur Wirkungsweise des Qigong. Dies liegt teilweise daran, dass es keine Tradition der öffentlichen Forschungsförderung gibt, teilweise daran, dass diese – gerade in Europa – aufgrund des Sparkurses zurückgefahren wird. Der Qigong-Forscher (bzw. die Qigong-Forscherin) steht also unter ständigem Druck, entweder die institutionelle Förderung, die er/sie genießt, durch beeindruckende Ergebnisse zu rechtfertigen, damit die Mittel nicht anderweitig vergeben werden, oder bei Dritten – Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen oder vermögenden Privatpersonen – eigenständig Mittel einzuwerben. Dieser Druck zur Erschließung und Erhaltung von Geldquellen führt dazu, dass die Forschung der Erwartungshaltung der Geldgeber versucht gerecht zu werden.
Die allgemeine Erwartungshaltung ist, die geförderte Forschung soll:
- neue interessante Ergebnisse erzeugen, die oft zitiert werden.
- gesellschaftlich relevant und von allgemeiner Bedeutung für das Leben der Menschen sein. – Der schlimmste Vorwurf, der den Forscher in diesem Zusammenhang treffen kann, ist der „im Elfenbeinturm der Wissenschaft“ zu sitzen, d.h. an Themen zu forschen, die nicht jedem gleich einleuchten.
- durch ihre Ergebnisse beständig selbst ihre Relevanz nachweisen.
Bei Einwerbung von Drittmitteln durch Private hofft man insbesondere auf:
- Erfindungen von Gegenständen oder Etablierung von Methoden, die Kosten senken, also innovativ sind (Unternehmen, Krankenkassen).
- Entdeckung von neuen überraschenden Zusammenhängen, die leicht darstellbar und verständlich sind (Mäzene).
2. Spannungsfeld: Pharmaindustrie
Die Gesundheitsforschung als Ganzes befindet sich zudem im Spannungsfeld der Pharmaindustrie. Das „Marktumfeld“ der Qigong-Forschung ist somit eines zwischen Volks- oder Zivilisationskrankheiten der modernen Gesellschaften einerseits und der Pharmaindustrie, die Lösungen in Form von Pillen aller Art anbietet, andererseits.
In den westlichen Gesellschaften, in denen ein Großteil der Gesundheitsausgaben, aber auch der Ausgaben für Gesundheits- und Pharmaforschung anfällt, werden jedes Jahr Milliarden öffentlicher und privater Gelder für die Gesundheit ausgegeben: Antidepressiva, Muskelrelaxantien, Schmerzmittel, Mittel gegen Bluthochdruck, Herztabletten usw. usf. Diese erzeugen teils heftige Nebenwirkungen, die ebenfalls durch die Einnahme von Medikamenten in den Griff bekommen werden sollen. Dies führt dazu, dass viele Menschen, insbesondere im Alter, eine ganze Reihe von Pillen nehmen, die sich teilweise gegenseitig aufheben und vor allem viel Geld kosten. Zudem werden oft nur die Symptome gelindert, aber die Menschen sind fortwährend arbeitsunfähig, was aus volkswirtschaftlicher Sicht ein unnötiger Verlust an Arbeitskraft ist.
Zusammengenommen entsteht ein großes „öffentliches Interesse“ von Krankenversicherern, Krankenhauskonzernen (sog. Health Care Providers) und Gesundheitsministerien, bzgl. bestimmter Krankheitsbilder nach alternativen (Heil)methoden zu suchen. Das Forschungsinteresse des Qigong-Forschers erhält damit einen weiteren Impuls in bestimmte Richtungen.
Dies betrifft u.a.:
- sog. „Volkskrankheiten“, gegen die es keine effektiven herkömmlichen pharmazeutischen Mittel gibt oder nur Mittel mit erheblichen Nebenwirkungen.
z. Bsp. Übergewicht, Depressionen - schwere oder chronische Krankheiten, für die keine Heilungsmöglichkeiten bekannt ist
z. Bsp. Multiple Sclerose, Fibromyalgiesyndrom (FMS), Alzheimer - schwere oder chronische Krankheiten, die hohe Therapiekosten mit sich bringen
z.Bsp. Krebs - Krankheitsbilder, die mit modernen Lebensumständen zu tun haben (die auch – fälschlicherweise – bisweilen als „Modekrankheiten“ tituliert werden)
z.Bsp. Burn-Out und andere Arbeitsstörungen (Bore-Out, Antriebslosigkeit), aber auch post-traumatic stress disorder insbesondere in Krieg führenden Staaten. - sämtliche Arten an Rehabilitationsphasen (seien sie post-stress oder postoperativ).
Diese verschiedenen Interessen werden auch begleitet vom Wunsch nach relevanter Forschung mit Bezug zur Verbesserung der Gesamtlebensumstände betroffener Personen. (dazu s.u.)
3. Das Zusammenwirken beider Faktoren: Mystifizierung durch Wissenschaft
Aus den Forschungsinteressen der an Qigong-Forscher und den oben angedeuteten gesamtgesellschaftlichen Problemstellungen ergibt sich ein seltenes Phänomen (bzw. vielleicht eher ein Phänomen, welches selten so offen zu Tage tritt).
Aus dem Druck des Forschers, Gelder zu sammeln und der Bereitschaft einzelner Akteure, in eine bestimmte Art der Qigong-Forschung zu investieren, ergibt sich ein Strom von Forschungsgeldern in Richtung der Erforschung von Qigong in Bezug auf verschiedene Arten schwerer, zivilisatorisch bedeutsamer Krankheiten. Die Forschungsberichte haben also alle *Qigong* und *schwer heilbare Krankheit* im Titel.
Sieht man die Testergebnisse und Forschungsberichte im Überblick, entsteht leicht der Eindruck, Qigong habe etwas mit der Heilung schwerer Krankheiten zu tun. LehrerInnen, Praktizierende und Patienten, die (bspw. im Internet) nach solchen Zusammenhängen suchen, werden immer fündig. Berufsorganisationen und Lehrerverbände greifen diese Funde auf, ohne die – nicht vorhandenen – Ergebnisse zu würdigen, und verbreiten den Mythos weiter. Es besteht hier die große Gefahr der Mystifizierung durch Wissenschaft.
Wenn sich das Umfeld der Qigong-Forschung nicht grundlegend ändert, wird sich dieser Weg fortsetzen. – Optimisten würden sagen, bis sich die von einigen Praktizierenden jetzt schon stur behauptete „heilende Kraft des Qi“ und seiner Übung, des Qigong, endlich erwiesen hat. Forschen, bis sich etwas erwiesen hat, ist jedoch kein Forschen, sondern der Missbrauch der Wissenschaft für das Belegen von Mythen und Vorurteilen.
Es ist zu hoffen, dass die Qigong-Forschung eigenständig neue Theorien der Verbindung von westlicher und östlicher Gesundheitslehre (zur Problematik der Kombination beider Denksysteme) und daran anknüpfend eigenständige Forschungsmethoden entwickelt, die vielleicht diesen Teufelskreis durchbrechen können.
Qigong-Forschung und Gesundheitsmanagement
Ein anderer Weg der Qigong-Forschung bewegt sich weg von der Problematik der Heilung von Krankheiten hin zu einem sog. positiven Gesundheitsbegriff. Gesundheit ist dann nicht mehr die Abwesenheit von Krankheit, sondern umfasst darüber hinaus die Förderung des Wohlbefindens und der Lebensqualität. Qigong erscheint hier im Feld der Gesundheitsförderung, des lebenslangen Lernens, aber auch der Qualitätssicherung. Natürliche Ziele des Qigong sind hier Wohlbefinden, Leistungssteigerung, Rekonvaleszenz und das Herstellen der Arbeitsfähigkeit. Der Kontext ist der von Sport, Freizeit und Lebensqualität. Mögliche Förderer und Geldgeber einer solchen Forschung sind Sozialversicherungsträger, Rentenversicherungsträger, der Staat als Träger der Gesundheits- und Sozialsysteme und Unternehmen, die dokumentieren wollen als „gute Arbeitgeber“ auch die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Blick zu haben.
Die Praxisbezogenheit einer solchen Wellness-Qigong Forschung lässt die theoretischen Probleme in den Hintergrund treten; der oben dargestellte Widerspruch scheint aufgelöst. Leider ist das Gegenteil der Fall: Die Ergebnisse einer solchen „praxisgeleiteten“ Forschung überdecken zwar das wissenschaftliche Dilemma, lösen es aber nicht. Tatsächlich ist es bei dieser Forschungsmethode egal, ob zu Qigong oder anderen Methoden (Yoga, Pilates, Zumba,…) geforscht wird, denn diese Entscheidung liegt bei einem solchen Forschungsansatz nicht mehr im Erkenntnisinteresse bzgl. der Eigenheit einer spezifischen Methode oder in der Forschungsmethodik ansich begründet, sondern ist allein eine Frage des Geschmacks oder der Mode.
Die neuen, weichen Kriterien (Lebensqualität, Well-Being, Glücksfaktor) einer solchen Forschung machen den materiellen Gegenstand der Forschung völlig austauschbar. Die Wirkweise von Qigong oder die interne Methodik des Yoga spielen schlicht keine Rolle für die Feststellung des wohltuenden Effekts. Zur Hauptsache wird, dass man den Gesundheitssport regelmäßig macht und unter einem zertifiziert ausgebildeten Lehrer. So wird durch die Hintertür die Disziplinierung des Körpers durch den Geist wieder eingeführt, die ursprünglich der Hauptunterschied zwischen der „westlichen“ Methode (Heilgymnastik) und der „östlichen“ Methode (Qigong, Taijiquan, Yoga) war. Was du in diesem Raum machst, ist egal, Hauptsache du bewegst deinen Körper mindestens einmal die Woche dahin: „Treibe regelmäßig Sport!“
Eine Qigong-Forschung, die sich von der empirischen Erforschung weicher Faktoren leiten lässt und dies zweckmäßig mit Aspekten des Gesundheitsmanagements kombiniert, hat jeden Anspruch verloren irgendetwas über Qigong selbst herauszufinden. Eine solche Qigong-Forschung bleibt zwangsläufig bei einer oberflächlichen Betrachtung stehen.
Im nächsten Teil zu Qigong und Heilung: Überblick über frei zugängliche Quellen und das Feld der nicht-akademischen Qigong-Forschung
Autor: Redaktion Taiji Forum
Bilder: Taiji Forum
Serie „Heilung durch Qigong“
Heilung durch Qigong Teil 1 – Subjektive Effekte und wissenschaftliche Studien
QigongHeilung durch Qigong, die Arbeit mit dem Qi (Lebensenergie), gilt als allgemein gesunderhaltend. Dieser Grundgedanke des Yangsheng – der Pflege der Lebenskraft – unterscheidet es jedoch nicht unbedingt von anderen Systemen der Gesundheitspflege, der Bewegungslehre oder von anderen therapeutischen Atemschulen. Es gibt keine fundierten wissenschaftlichen Langzeitstudien, die eine besondere Wirksamkeit von Qigong für bestimmte Krankheiten belegen…
Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Qigong stehen vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen transportiert der kulturelle Hintergrund von Qigong eine spezifische Betrachtung des Menschen, die dem westlichen Körperbild, welches die Grundlage „moderner“ medizinischer Forschung ist, in Teilen widerspricht. Dazu tritt das Problem, dass die wissenschaftlichen Standardmethoden medizinischer Forschung, die derzeit die Qigong-Forschung bestimmen, anknüpfend an das westliche Bild der Medizin und auch aus ihrer eigenen Forschungstradition heraus, teilweise ungeeignet sind, typische Aspekte des Qigong zu erfassen…
Wissenschaftliche Qigong Studien – Bestimmung des Forschungsgegenstandes Anschließend an den Abschnitt zur Methodik der Qigong-Forschung beschäftigt sich dieser Teil mit der Bestimmung des Forschungsgegenstandes (was ist Qigong?). Die häufigste Form der wissenschaftlichen Studie, die Einzelversuchsreihe, wird kurz vorgestellt und ihre Bedeutung erörtert…
Qigong Meta-Studien (Metaanalysen) Heilung durch Qigong Teil 4 Neben den Einzelversuchsreihen gibt es in der Qigong-Forschung vor allem Meta-Studien (Metaanalysen) und Reviews (Forschungsübersichten), deren Funktion und typische Ergebnisse hier kurz vorgestellt werden…