Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Qigong

Heilung durch Qigong 2

Kulturelle und methodologische Herausforderungen

Wissenschaftliche Studien zu Qigong

Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Qigong stehen vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen transportiert der kulturelle Hintergrund von Qigong eine spezifische Betrachtung des Menschen, die dem westlichen Körperbild, welches die Grundlage „moderner“ medizinischer Forschung ist, in Teilen widerspricht. Dazu tritt das Problem, dass die wissenschaftlichen Standardmethoden medizinischer Forschung, die derzeit die Qigong-Forschung bestimmen, anknüpfend an das westliche Bild der Medizin und auch aus ihrer eigenen Forschungstradition heraus, teilweise ungeeignet sind, typische Aspekte des Qigong zu erfassen.

Erkenntnistheoretisch-kultureller Kontext

Qigong 2

Der sportliche Sinnspruch „mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) macht neben der Idee des Zusammenhangs von geistiger und körperlicher Gesundheit vor allem eine grundlegende Unterscheidung von Körper und Geist deutlich. Die westliche medizinische Wissenschaft, die in Folge der Aufklärung im Grundsatz von einer strikten Trennung von Körper und Geist ausgeht, tut sich folglich schwer mit dem übergreifenden, oft als „ganzheitlich“ bezeichneten Menschenbild der traditionellen chinesischen Medizin und dem damit zusammenhängenden Begriff des Qi als „Lebensenergie“.

Mögliche Verbindungen von Körper und Geist/Psyche werden in der westlichen Medizin einerseits unter dem Oberthema Psychosomatik, andererseits zunehmend in der Neurobiologie thematisiert. Hierbei wird versucht, eine Verbindung zu erklären, die da allem Anschein nach sein da muss, weil sie sich aufdrängt, wenn man lebende Wesen betrachtet – bspw. werden trauernde Menschen bisweilen physisch krank, ohne dass es eine erklärbare körperliche Ursache gäbe. Diese offensichtliche Verbindung muss im Westen nach der kulturgeschichtlichen Trennung von Körper und Geist in Christentum und Aufklärung erst wissenschaftlich re-etabliert werden, man kann sie nicht einfach hinnehmen. Die traditionelle chinesische Medizin hingegen kennt diesen Erklärungsbedarf so nicht, da ihr dies von Anfang an wesensfremd erschien. In der traditionellen chinesischen Medizin wurde die Trennung nie vollzogen und muss dort somit auch nicht überwunden werden.

Diese erkenntnistheoretische Problematik wird in der Praxis sichtbar auf dem Gebiet der Körpererziehung und der Bewegungstherapie. – Westliche Krankengymnastik und Physiotherapie sind aus dem Leitbild der Körpererziehung/Körperertüchtigung, dem Turnen als aktivem Bewegen, hervorgegangen. Dem zu Grunde liegt die Idee der Formung des Körpers durch den Geist, durch eine Willens- und Muskelanstrengung. Eine defizitorientierte Betrachtung des Körpers (Wo sind Schwächen?, Wie kann ich sie ausmerzen?) formt dabei die Antwort, die Therapie, vor. Leitbild ist eine Unterwerfung des Körpers durch den Geist, wie es heute noch im Body-Building und in Fitness-Studios, aber auch im Bereich der schönen Künste als klassisches Ballett, praktiziert wird. Der Körper ist hier Mittel zur bestmöglichen Entfaltung des Geistes.

Das äußere Erscheinungsbild dieser Praktiken sind teils sehr rigorose Dehnübungen unterstützt von Zerren an den Sehnen (die als „zu kurz“ betrachtet wurden) und kombiniert mit dynamischem Nachfedern sowie abgezählte repetitive Muskelübungen (wenn Teile des Körpers „zu schwach“ sind). Insgesamt gibt dies ein militärisches Bild ab, geistlos und doch von Geist beherrscht („Turnvater Jahn-Gymnastik“).

Diese Herangehensweise an die Körperarbeit unterscheidet sich wesentlich sowohl von den traditionellen chinesischen Yangsheng-Praktiken als auch von ihren modernisierten Fassungen, die heute unter dem gemeinsamen Oberbegriff Qigong – Arbeit mit dem Qi – firmieren. Diese haben das (vergleichsweise) Passive, Fließende zum Leitbild. Fließende Wasser deutet den Weg der Übung an und dient dabei zugleich als Symbol des Einklanges von Körper, Geist und Atem.

Herkunft und Tradition der westlichen klinischen Studien (Clinical Trials)

Einfach gesagt ist das Ur-Setting der westlichen klinischen Studien dasselbe wie das des praktisch interessierten mittelalterlichen Alchimisten: Ich nehme vom Körper etwas weg oder gebe etwas dazu und beobachte die Auswirkungen. Dabei kann ich sowohl die Wirkungsweise auf das System Körper betrachten als auch Aussagen über die Dosierung treffen. Beim Aderlass mag ein halber Liter Blut für den menschlichen Körper verzichtbar sein und regenerative Prozesse initiieren, bei mehreren Litern hingegen wird es schwierig. Dasselbe gilt für die Einnahme von Medikamenten – wie Paracelsus so schön sagte: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“

Lässt man die Frage der Dosierung der Einfachheit halber beiseite, ergeben sich folgende Möglichkeiten des Versuchsaufbaus, wenn man Vergleichsgruppen bilden möchte:

Gruppe A (Pille) – Gruppe B (keine Pille)

Gruppe A (Pille A) – Gruppe B (Pille B), ggf. Gruppe C (nichts)

Gruppe A (Pille A) – Gruppe B (Bonbon, „Placebo“).

Um die Heilungserwartung der Teilnehmer auszutricksen, ergeben sich folgende Verfeinerungen:

Gruppe A (Pille A) – Gruppe B (Placebo) – den Teilnehmern wird nicht gesagt, was sie kriegen.

Und schließlich, um die Forschungserwartungen der Forscher auszutricksen:

Gruppe A (Pille A) – Gruppe B (Placebo) – Teilnehmer und Forscher wissen bei Einnahme und erster Auswertung nicht, wer was hatte.

Dies ist naturgemäß eine vereinfachte Darstellung, jedoch ergeben sich übertragen auf Studien mit Qigong einige Problematiken.

Zunächst eine Problematik praktischer Art – Qigong ist keine Pille und erfordert aktive Teilnahme, die im Rahmen einer Langzeitstudie über mehrere Jahre bedeuten würde, dass die Teilnehmer regelmäßig viele Stunden investieren müssen. Brechen zu viele Teilnehmer ab, gefährdet das Aussagefähigkeit bzw. die Belastbarkeit Studie in Bezug auf die Effekte (wobei es zugleich einen Hinweis darauf geben würde, was die eigentliche Problematik des Qigong als Heilmittel jenseits seiner vermeintlichen, wissenschaftlich vielleicht sogar nachweisbaren Effektivität sein könnte).

Eine andere Problematik ist die der Vergleichsgruppe. Die ersten Szenarien würden noch passen:

Gruppe A (Qigong) – Gruppe B (nichts)

Gruppe A (Qigong) – Gruppe B (Gymnastik), vgl. oben Pille A – Pille B

Die Problematik hier liegt schon darin, dass in der Phase, in der die Studienteilnehmer noch die Choreographie, d.h. den äußeren Bewegungsablauf des Qigong lernen, sie vom Standpunkt des Qigong her noch gar kein Qigong, i.S.v. innerer Arbeit mit dem Qi als Koordinierung von Körper, Geist und Atem, machen können, sondern allenfalls „qigongförmige Gymnastik“ machen. Jeder Unterschied in den Heilungserfolgen würde somit allenfalls mit der äußeren Bewegungsfolge zusammenhängen und nicht mit der Spezifik des Qigong gegenüber anderer Gymnastik. Kurzzeitstudien über einige Monate können schlicht keine Aussage über die Aspekte machen, die Qigong erst von anderen Gymnastik-Systemen unterscheiden. – Es sind jedoch genau diese meditativ-mentalen und energetischen Aspekte, die die eigentliche Basis für den Heilungsmythos des Qigong bilden. Eine Kurzzeitstudie, die nachweisen würde, dass Qigong besser wirkt als Gymnastik würde diesbezüglich lediglich nachweisen, dass es besser ist, sich einzubilden, dass man Energie im eigenen Körper hin- und herfließen lässt, während man Gymnastik macht, als wenn man einfach nur Gymnastik macht.

Dies führt zugleich zur Problematik der Placebo-/Blindstudien. Es gibt Menschen, die machen das erste Mal Qigong und spüren sofort überall Energie, die sie leiten und manipulieren können, weil sie wissen, dass sie Qigong machen oder weil sie von der Idee ihrer energetischen Begabung euphorisiert werden. Wie kann ich diese Effekte ausschließen?

Gruppe A (Qigong) – Gruppe B (macht dieselben Bewegungsübungen, die nicht als Qigong bezeichnet (und angeleitet) werden)

Placebo-Studien würde man ggf. auf diese künstliche Art hinbekommen, aber Blindstudien für die Teilnehmer nicht. Streng genommen ist das schon bei Studien über die positive Wirkung von Gesundheitsgymnastik ein Problem – man merkt immer, dass man etwas macht, man weiß, dass man etwas gemacht hat. Schon allein darin könnten die zunehmend mit mehr Bedeutung belegten emotionalen „Heilungseffekte“ beider Bewegungstherapien liegen: man fühlt sich besser, weil man etwas getan hat.

Darüber hinaus ist Qigong ein Prozess und keine Methode. Nicht nur, dass man die Pille nicht einfach einwerfen kann, sie ändert sich auch im Laufe der Zeit. Es gibt keine „Theorie des Qigong“, die die heilenden Bewegungen einmalig und für alle kanonisiert. Der Anspruch des Qigong an die Praktizierenden, sich die Übungen anzueignen, die Abläufe zu internalisieren und eben nicht bloß zu kopieren oder zu imitieren ist ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Aspekt des Qigong und darin geradezu das Gegenteil von Gymnastik.

Qigong als Prozess – Gymnastik als Methode

Der Anspruch an den Gymnastiklehrer ist es letztlich, immer dieselben Übungen unverändert zu präsentieren und bei Bedarf oder zur Abwechslung neue Übungen einzuführen. Die Schüler turnen dies nach. – Der Anspruch an die Qigong-Lehrerin ist es, sich beständig weiter zu entwickeln, die Ausführung zu verfeinern, die Bewegung und die einzelnen Prinzipien mit Leben zu füllen. Jede Stagnation in dieser Entwicklung, jede in Stein gemeißelte Festschreibung einer Methodik verfehlt diesen internen Anspruch des Qigong. Der Traum des Sportpädagogen ist der Alptraum des Qigong-Meisters. Diese Prozesshaftigkeit des Qigong und die notwendige Entwicklung der Übenden macht es für traditionelle Methoden wissenschaftlicher Forschung, die einen definierten Gegenstand oder eine chemische Formel betrachtet, unzugänglich. Die Trennung von Theorie und Praxis, welche in der chinesischen Philosophie so nie vollzogen wurde, scheint in gewisser Weise eine Voraussetzung für eine theoriebasierte wissenschaftliche Messung der praktischen Wirksamkeit einer Methode unter Testbedingungen zu sein.

Einfach gesagt ist das Ur-Setting der westlichen klinischen Studien dasselbe wie das des praktisch interessierten mittelalterlichen Alchimisten: Ich nehme vom Körper etwas weg oder gebe etwas dazu und beobachte die Auswirkungen. Dabei kann ich sowohl die Wirkungsweise auf das System Körper betrachten als auch Aussagen über die Dosierung treffen. Beim Aderlass mag ein halber Liter Blut für den menschlichen Körper verzichtbar sein und regenerative Prozesse initiieren, bei mehreren Litern hingegen wird es schwierig. Dasselbe gilt für die Einnahme von Medikamenten – wie Paracelsus so schön sagte: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“

Autor: Redaktion Taiji Forum

Bilder: Taiji Forum