Die Haltung des Körpers im Tai Chi
Regelmäßiges Tai Chi-Training stärkt auf eine sanfte und natürliche Weise die Knochen, Sehnen, Bänder und Muskeln. Dadurch verändern sich nicht nur Bewegungsgewohnheiten, sondern die gesamte Haltung des Körpers wird zu ihrem Positiven verändert. Dafür bedarf es aber einer geschulten Achtsamkeit. Auch diese entwickelt sich durch ein regelmäßiges Tai Chi-Training.
Rückenprobleme, Knieschmerzen, Verspannungen im Schulter-Nackenbereich, Kopfschmerzen, Rundrücken, Hohlkreuz, Augenschmerzen – viele Leiden des modernen Menschen gehen auf ungünstige Bewegungen und Haltungen im Alltag zurück. Vieles davon ist schon so sehr zur Gewohnheit geworden, dass die schädigenden Bewegungs- und Haltungsmuster gar nicht mehr bemerkt werden. Und plötzlich spürt man die aus den falschen Bewegungen resultierenden Schmerzen. Spätestens dann sollte ein „Umprogrammieren“ erfolgen, um chronische Beschwerden gar nicht erst entstehen zu lassen. Ganz im Sinne des Tai Chi-Meisters Cheng Man Ching: „Wenn du erkannt hast, was im Leben wirklich wichtig ist, bleibt dir noch genügend Gesundheit, um es zu genießen.“
Die einfache Körperhaltung im Tai Chi
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Tai Chi und Körperhaltung
Die Körperhaltung eines Menschen verrät sehr viel über dessen Lebensentwurf und über seine psychische Verfassung. Wer gekrümmt steht, drückt etwas anderes aus als jemand, der seine Brust straff nach vorne drückt. Doch beides sind Extrema, die es zu meiden gilt. Wer gekrümmt dasteht, der engt sich selbst ein und demonstriert eine enorme Unsicherheit. Wer seine Brust nach vorne presst, will Selbstbewusstsein suggerieren, bringt seinen Schwerpunkt aber so schlecht in Position, dass er schnell sein Gleichgewicht verlieren und stürzen könnte. Für den Körper ist sowohl die gekrümmte als auch die gedrückte Haltung schädlich, denn in beiden Fällen kommt es zu unnatürlichen Verengungen im Körper, die sich später in Schmerzen manifestieren. Wenn man sich in einer gekrümmten Körperhaltung befindet, kann man sich auf den eigenen Atem konzentrieren, um zu merken, wie sehr dieser durch solch eine Körperhaltung eingeschränkt wird.
Tai Chi beruht auf der Idee, natürliche Bewegungen „fließen“ zu lassen, statt unnatürliche Bewegungen verkrampft auszuführen. Für die Körperhaltung bedeutet das Entspannung, Aufrichtigkeit und Kraft statt eines Gefühls der Enge und mögliche physische Schmerzen. Durch die aktive und bewusste Arbeit an der Körperhaltung können auch negative Gedankenmuster ins Positive verändert werden, denn Körper und Geist hängen nach der traditionellen chinesischen Sicht unmittelbar zusammen. Tai Chi ermöglicht damit eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen, in welcher Körper, Geist und Seele berücksichtigt werden.
Im Tai Chi ist die Körperhaltung der Ausdruck innerer Stärke. Nur die optimale Haltung ermöglicht eine korrekte Gewichtsverlagerung und Steuerung des Gleichgewichts. Weil der Mensch zwischen Erde und Himmel steht, ist er mit beiden Formen verbunden. Diese Verbindung ermöglicht eine entspannte, geerdete und dennoch aufrechte und starke Haltung. Diese Körperhaltung wird zu Beginn des Tai Chi-Trainings unter Anleitung eingenommen. Indem auf die eigene Körperstruktur geachtet wird und eine Entspannung herbeigeführt wird, die auf eine minimalistische Kraftanwendung zielt, kann eine sichere Körperhaltung eingenommen werden, in der der Muskeltonus reduziert wird, so dass die Haltemuskulatur ihre Aufgabe, das Skelett zu halten, übernehmen kann. Alle anderen Muskeln, die nicht benötigt werden, werden entspannt. So können viele Verspannungen sanft gelöst werden.
Im Tai Chi wird die Körperhaltung mithilfe von Visualisierungen bewusst gemacht. Es geht darum, die eigene Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperteile oder auf den gesamten Körper zu richten und durch diese Aufmerksamkeit ein intensives Körpergefühl zu entwickeln. Das Ziel ist es, dass sich der Körper zu jeder Zeit von selbst bestmöglich ausrichtet, um sich verschleißarm zu bewegen. So werden Bewegungsmuster eingeübt, die nicht schädlich, sondern stets der Situation angemessen sind. Der Mensch wird in seinem Aktionismus gestoppt und überlässt seinem Körper wieder die Kontrolle. Tai Chi ist ein Weg, auf welchem die optimalen Bewegungen nur zugelassen und nicht forciert werden können.
Tai Chi und Alltag
Damit sich im Tai Chi eine gute Körperhaltung entwickeln kann, ist es notwendig über das reguläre Training hinaus etwas für die Körperarbeit zu tun. Das bedeutet, dass es im Tai Chi auch darum geht, den eigenen Alltag neu zu erfahren. Würde man bloß im Tai Chi-Training die Körperhaltung verändern und den Rest des Tages in seinen alten Mustern ausharren, so würden sich nur schwer Veränderungen ergeben. Damit die alten Gewohnheiten gegen neue eingetauscht werden können, müssen die Bewegungsprinzipien des Tai Chi auf den Alltag angewendet werden.
Die Körperhaltung kann sich nur langfristig verbessern, so dass es unabänderlich ist, jeden Tag die eigenen Bewegungen und Haltungen zu überprüfen und gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen. Nach einem gewissen Aufwand stellen sich die Veränderungen aber von alleine ein, weil der Körper bzw. das Körperbewusstsein gelernt hat, dass diese veränderten Bewegungen und Haltungen kräftiger, verschleißärmer und leichter sind. Es findet also ein „Umprogrammieren“ statt. Dazu kann die Vorstellungskraft viel beitragen – gerade im Alltag, wo nicht viel Zeit für individuelle Körperarbeit bleibt.
Einige Beispiele für die körperbezogene Arbeit mit der Vorstellungskraft:
- Konzentriere dich im Sitzen auf deine Wirbelsäule und lenke deine Aufmerksamkeit auf die Stellen deines Rückens, die an die Lehne deines Stuhls gedrückt werden.
- Stell dir beim Gehen vor, wie dir Wurzeln aus den Füßen wachsen, die tief in die Erde hineinreichen und dir Stabilität und Vitalität verleihen.
- Richte deine Aufmerksamkeit während des Stehens auf deinen unteren Rücken. Stell dir vor, wie an deinem Steißbein ein Faden mit einem Gewicht befestigt ist und dieses Gewicht deinen unteren Rücken lang zieht.
- Bei allen Bewegungen, die du mit den Armen und Händen ausführst, kannst du dir vorstellen, wie Wasser durch deine Glieder strömt. So werden deine Arme und deine Finger wie ein Wasserschlauch von innen heraus gestärkt.
- Bleib mit deiner Aufmerksamkeit ca. 2 cm vor deinen Fingerspitzen.
- Stell dir bei deinen Bewegungen vor, du würdest unter Wasser stehen oder gehen. Alle deine Bewegungen müssen gegen den Widerstand des Wassers ausgeführt werden.
Diese und andere (Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.) Visualisierungen helfen dabei, ein grundlegendes Körpergefühl zu entwickeln und Veränderungen im Körper durch die Vorstellungskraft zu veranlassen. Während des Tai Chi-Trainings kommen ebenfalls solche „inneren Bilder“ zur Anwendung. Oftmals wird sich eine energetische Kugel im Körperzentrum (Dantian) vorgestellt, die den Körper mit Energie versorgt und durch die alle Bewegungen initiiert werden. Im Alltag reicht es allerdings, sich immer wieder mithilfe solcher Vorstellungen auf die eigene Körperhaltung zu konzentrieren. Der Körper nimmt die Veränderungen vor. Es geht darum, diese durch die Vorstellungen zuzulassen und nicht krampfhaft zu erzwingen.
Die einfache Körperhaltung im Tai Chi
- Die Füße stehen schulterbreit und parallel auseinander. Das Körpergewicht ist zu gleichen Teilen auf beide Füße verteilt. Der Fokus liegt auf dem Yung-Chuan-Punkt in der Nähe des Fußballens.
- Die Knie sind leicht gebeugt und entspannt. Die Beugung entsteht aus der Entspannung heraus und wird nicht willentlich verursacht. Waden- und Schenkelspannung wird reduziert.
- Die Knie dürfen niemals über die Zehen hinausreichen, weil sonst die Kraftlinien im Körper derart verändert werden, dass das Kniegelenk ungünstig belastet wird.
- Das Gesäß ist leicht eingezogen und hängt am unteren Rücken herab.
- Die Hüften hängen ebenfalls am Oberkörper herunter. Sie sind entspannt, so dass eine natürliche Verbindung zwischen Ober- und Unterkörper bewirkt wird.
- Der untere Rücken ist rund. Es darf kein Hohlkreuz gebildet werden. Am besten erreicht man den gerundeten Rücken mit der Vorstellung des Gewichts, welches den Rücken nach unten zieht.
- Die Schultern sind entspannt, so dass die Arme herabhängen können. Sie liegen auf dem Brustkorb auf wie eine Jacke, die über eine Stuhllehne gelegt ist. Die Brust wird gerundet, indem die Schultern nach vorne gewölbt werden. Hier hilft die Vorstellung, man würde einen großen Ball umarmen.
- Der Kopf ist aufrecht. Als Visualisierung kann helfen, sich vorzustellen, wie am Scheitelpunkt eine Schnur befestigt ist, die in den Himmel reicht und an der der Körper herunterhängt.
- Das Gesicht ist entspannt, der Mund leicht geöffnet. Die Zungenspitze wird an den Gaumen gelegt.
- Die Arme hängen locker herab. Um die Haltung der Arme zu verbessern, stell dir vor, wie Wassertropfen von deinen Schultern durch deine Arme und durch deine Finger nach unten fließen.
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Autor: Christoph Eydt
Fotos: taiji-forum.de