Über Hebel in der Kampfkunst

In zahlreichen Systemen von Kampfsport oder Kampfkunst sind Hebel Teil von Angriffs- oder Verteidigungsbewegungen. Oft werden Hebel isoliert als Schrittfolge eingeübt. Diese Schrittfolge gelingt nur, wenn der Partner kooperativ ist und Gleichgewichtskontrolle, Stabilität, Spannung / Entspannung, Raumbewegungen, Winkel und Distanz zugunsten seines Partners aufgibt. Ein Hebel funktioniert nicht, sobald einer dieser Parameter verschoben wird.

Hebel nicht aufbauen, sondern geschehen lassen

Über Hebel in der Kampfkunst

Das Üben von Hebeln und damit einher auch von Würfen hat seinen didaktischen Zweck, sind diese Techniken doch als Krücken zu verstehen, mit denen man gehen kann. Außerhalb des Übungsraumes ist allerdings ohne diese Krücken zu gehen. Und da zeigt sich die Diskrepanz zwischen Übung und sogenannter Wirklichkeit. Die Übung selbst ist auch eine Wirklichkeit, doch was hier mit „Wirklichkeit“ gemeint ist, ist das Agieren in einer weitgehend unvorbereiteten Situation mit einem unkooperativen Partner, also einem, der sich wehrt, der sich spontan bewegt und über ein weitgehend unabhängiges emotionales System verfügt.
Fälschlicherweise wird oftmals angenommen, man müsse einen Partner in einen Hebel hineinbewegen, was der Anordnung der Übung geschuldet ist, denn auch hier geht es nahezu ausschließlich darum, über eigene Bewegungen die kooperativen Partner in einen Hebel gezielt hineinzubewegen. Dass dies nicht mit einem unkooperativen Partner zu bewerkstelligen ist, zeigt sich u. a. in anschaulichen Wettkampfsituationen, in denen Hebel zwar erlaubt sind, auf diese aber zugunsten anderer Bewegungen verzichtet wird, eben weil gerade im Clinch viele Details in sich stimmig sein müssen, um Hebelwirkung zu erzielen.
Ein Hebel ist nur als ein Schema für eine optimale Technikfunktion zu verstehen. Er ist niemals Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck für die Veranschaulichung bedingter oder unbedingter Prinzipien. Mit einem unkooperativen Partner ist es nicht möglich, einen in der Vorstellung gefassten Entschluss zu einem Hebel umzusetzen. Vielmehr ist es so, dass sich die Hebel aus einer dynamischen Situation heraus ergeben. Dies wird aber in vielen Systemen nur sekundär geübt. Im Vordergrund steht immer die sogenannte Grundschule, in der man aus einer fest definierten Ausgangsbedingung einen Hebel erzeugen soll, welcher aber nur die bedingte Folge der Kooperation der Übungspartner ist. Gerade die Notwendigkeit verstärkter Druckkontrolle auf den Partner im Rahmen einer Hebeltechnik erschwert die Umsetzung in dynamischen und unkooperativen Momenten.

Hebel als Ergebnis und nicht als Mittel

Im Optimalfall sollte ein Hebel keine isolierte Technik sein, sondern das Ergebnis aus der Verstrickung mehrerer Bewegungen, Haltungen, Winkelveränderungen und Kraftübertragungen. Das beständige Üben von Hebeltechniken aus vorgegebenen Situationen hinaus und in solche hinein, vermittelt zwar die grundlegenden Prinzipien der Funktionsweise, verschleiern aber den Blick auf die Notwendigkeit von Unbedingtheit, Spontanität und Impulskontrolle. Ein Hebel ist also genau dann als effektiv zu bezeichnen, wenn ein unkooperativer Partner sich selbst in einen Hebel hineinbewegt als Folge der eigenen Raumbewegungen. Man selbst führt also keinen Hebel aus, sondern positioniert sich so, dass der Partner in eine Haltung „hineinstürzt“, in der sich ein Hebel situativ ergibt. Hierfür ist es nicht erforderlich, 10, 100 oder 1000 Hebel zu kennen oder zu beherrschen, da sie alle auf einem einzigen Prinzip fußen.
Das Erlernen einer Vielzahl an Hebeln verschleiert den Blick auf das eine gültige Prinzip, welches im Optimalfall stets aus dynamischen Momenten heraus geübt werden sollte, um dem Körper Wissen und Gefühl für Spontanität zu verleihen, statt vorgegebene Muster, die im Zweifelsfall scheitern werden, weil sie immer nur Schemata der Wirklichkeit, aber nie die Wirklichkeit selbst sind.
Insbesondere sind Hebel abzulehnen, die einzig durch eigene Kraft ermöglicht werden wie z. B. bei einem permanenten Druck auf ein bestimmtes Gelenk. Diese Bestandteile eines Hebels werden zur Falle, wenn der Partner sich stets unterhalb dieses Drucks bewegt, der Kraft entgegenwirken kann oder so weich bleibt, dass ein Druckansatz überhaupt nicht möglich ist. Folglich ergibt sich, dass Hebel nicht suggeriert werden dürfen, sondern stets das Ergebnis von Raumkontrolle, Entspannung und Gleichgewicht sein sollten, also einer eigenen ständigen Verschiebung von Körperachsen, körperinternen Druckmomenten, Körpergewichten und Muskelspannungen.

Autor: Christoph Eydt

Foto: Taiji Forum