Daoismus im Alltag

Philosophie

Der Daoismus ist eine alte chinesische Religion und Philosophie. Neben dem Konfuzianismus und dem Buddhismus ist er eine der drei großen Lehren, durch die das Denken in China maßgeblich bestimmt wurde. Der Daoismus lehrt Geduld, Sanftheit und Handeln durch Nicht-Handeln.

Daoismus im Alltag: Der Weg ist das Ziel

Buddhismus und Daoismus erfreuen sich in unserer Gesellschaft einer großen Beliebtheit. Die Weisheiten des Fernen Ostens wirken wie eine geistige Oase inmitten unserer schnelllebigen und hektischen Zeit. Neben spirituellen Angeboten bieten Buddhismus und Daoismus auch eine ganze Reihe praktischer Hinweise zur Lebensgestaltung. Während es im Buddhismus vor allem um altruistisches Handeln geht, sucht man im Daoismus ein Leben im Einklang mit der Natur. Auch dies scheint im Angesicht zunehmender Umweltzerstörung und Naturfeindlichkeit eine interessante Alternative für die Menschen zu sein. In unzähligen Büchern gibt es Hinweise und Ratschläge, wie man die daoistischen Ideen in ein modernes Leben integrieren kann.

Wu Wei und die Kunst des Geschehen-lassens

Ein zentrales Konzept des Daoismus ist Wu Wei. Das Wort „Wu Wei“ kann als Nichthandeln übersetzt werden. Gemeint ist damit, Verhaltensweisen zu unterlassen, die gegen die Natur bzw. gegen den natürlichen Fluss der Dinge gerichtet sind. Daraus ergibt sich die Frage, was naturgemäßes Handeln ist und wie man den Fluss der Dinge überhaupt erkennen kann. Weil es im chinesischen Denken unüblich ist, konkrete Begriffsdefinitionen zu finden, erlaubt Wu Wei einen gewissen Spekulationsfreiraum. Dies wird auch an der Vielzahl von Übersetzungs- und Deutungsversuchen offensichtlich.

In den klassischen daoistischen Schriften kann man Wu Wei nicht als begriffliche Definition vorfinden, sondern vielmehr als eine bildhafte Beschreibung eines ganz bestimmten Zustandes. Im Daodejing heißt es beispielsweise: „Niemals machen und doch bleibt nichts ungetan.“ Oder im I Ging: „Ohne Absicht bleibt doch nichts ungefördert; denn man ist nie im Zweifel, was man zu tun hat.“ Wenn man diese Wörter liest, könnte man meinen, Wu Wei würde bedeuten, nichts mehr zu tun. Aber das kann damit überhaupt nicht gemeint sein, denn der Mensch tut immer etwas – selbst wenn er glaubt, nichts zu tun. Wu Wei ist eine daoistische Handlungsmaxime und die Beschreibung eines Geisteszustandes. Der Daoismus lehrt, dass nur jene Handlungen im Einklang mit dem Dao (oder der Natur) stehen, die spontan und absichtslos entstehen. Es soll immer nur das Notwendige getan werden, aber niemals mehr. Und das Notwendige erkennt man intuitiv. Der Daoismus warnt damit vor zwei Phänomen unserer Zeit: Kontrollwahn und übereifriger Aktionismus. Statt also immer nur alles kontrollieren zu wollen, ist es nach daoistischer Auffassung sinnvoller, den Dingen ihren Lauf zu lassen, zu beobachten und Handlungsimpulse wahrzunehmen, die ohne das Denken des Menschen erfasst werden können. Dann ist Handeln mühelos und kommt ohne geistige Anstrengung aus. Man findet zu Ruhe und innerem Frieden, denn es gibt keine Widerstände mehr, die man überwinden müsste.

Unser Alltag und die Ruhe des Seins

Die Idee von Wu Wei ist kein Alleinstellungsmerkmal des Daoismus, denn auch im abendländischen Kulturkreis gab es verschiedene philosophische und religiöse Strömungen, die vom blinden Aktionismus abgeraten haben und das Ziel einer heiteren Gelassenheit angestrebt haben. Am bekanntesten dürften die Stoiker sein, die ähnlich wie die Daoisten ein holistisches Weltbild vertreten haben. Das bedeutet, dass auch unsere Kultur das Potential für müheloses Handeln in sich trägt, auch wenn gegenwärtig nicht viel davon zu spüren ist. Um den Daoismus in unseren Alltag integrieren zu können, ist es ein guter Anfang, sich selbst immer wieder zu beobachten – vor allem die eigenen Reaktionen und Gefühle. Durch Selbstreflexion lernt man, sich selbst und die Dinge, die um einen herum sind, besser zu verstehen. Die eigene Wahrnehmung verändert sich und man erkennt, dass man immer Teil von etwas Größerem ist.

Wenn der Daoismus in unseren Alltag einfließen soll, dann kann dies nur durch Achtsamkeit geschehen. Der Ausspruch vom „Handeln durch Nicht-Handeln“ bzw. vom „absichtslosen Handeln“ kann nicht als Befehl einfach umgesetzt werden, denn wenn man sich vornimmt, spontan zu handeln, ist es wieder planvolles Denken und damit nicht spontan. Man versucht meist immer nur dann etwas zu erzwingen, wenn man nicht verstanden hat, dass es gar nicht geht. Man stemmt sich gewissermaßen gegen den Fluss, ohne zu erkennen, dass man selbst nicht vom natürlichen Fluss abweichen kann. Vielleicht bildet man sich ein, außerhalb des Flusses zu stehen oder vom Dao getrennt zu sein, aber diese Einbildung ist selbst Teil des Flusses. Es gibt keinen anderen Strom als den Strom – ob man das nun versteht oder nicht. Darum ist es sehr wichtig, im Alltag immer wieder auf sich selbst zu blicken, damit die eigene Erkenntnis wachsen kann und man das Gefühl gewinnt, nie vom natürlichen Fluss getrennt gewesen zu sein.