Christel Proksch, die Pionierin des Tai Chi Chuan in Deutschland

Interview mit Wilhelm Mertens während des Push Hands Treffens in Hannover 2011.

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Hallo Wilhelm, am 8. September 2010 ist Christel Proksch gestorben. Sie hat einen großen Einfluss auf die Tai Chi Szene in Deutschland gehabt. Du warst einer Ihrer ersten Schüler.
Ja, das ist richtig. 

Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits Tai Chi in Deutschland?
In Norddeutschland noch nicht, aber in ganz Deutschland verstreut gab es vereinzelte Inseln, wo Tai Chi angeboten wurde. Christel war wohl die Erste, die eine große Außenwirkung mit Tai Chi hatte und viele Menschen damit erreicht hat. Somit hat sie gleich ihre integrierende Kraft deutlich gemacht und Menschen mit ihrer Art und Weise fasziniert. Sie selbst verstand noch nicht allzu viel von Tai Chi, da sie es selbst erst gerade gelernt hatte, konnte aber die Menschen sehr schnell für das, was Tai Chi zu bieten hat, begeistern. Es gab sicherlich einige Menschen in Deutschland, die Tai Chi praktizierten. Christel war allerdings diejenige, die es in eine Breite gebracht hat.
Eine zentrale Sache, das ist auch was ich von ihr mitbekommen habe, ist der Geist des Tai Chi. Das ist bis heute der größte Schatz, den ich habe. Dieser Geist ist Saat für das, was später noch alles kam. Sie ist meine erste Lehrerin. Ohne diesen Geist wäre ich wohl nicht beim Tai Chi geblieben und der Boden für alles, was später noch kam, wäre nicht bestellt worden.

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Spielst du hier auf die Gründung des Netzwerkes an?
Ich meine verschiedene Dinge. Es ist so, dass sie die Faszination, die Fröhlichkeit, die Begeisterung, die Offenheit, mit der man den Dingen begegnet und die Bereitschaft sich einzulassen in ihren ersten Klassen vermittelt hat. Sie hat uns dann, mehr oder weniger rausgeschmissen mit den Worten: „Ich kann Euch nichts mehr beibringen“. Wir haben uns dann einfach in ihre folgenden Klassen reingeschmuggelt, weil wir bei ihr bleiben wollten. Aber trotzdem haben wir uns dann kompetente Lehrer in Europa gesucht. Gerade ihre ersten Schüler sind auf der Suche nach guten Lehrern gewesen und haben auch bei Ihnen gelernt- ohne aber ihre Wurzeln bei Christel zu vergessen. Insofern kann man sagen, dass diese integrierende Kraft, die Christel hatte, gewirkt hat. Sie hat nämlich diese Menschen, die bei verschiedenen Lehrern gelernt hatten, wieder zusammengebracht. Dies ist wiederum der Keim des Netzwerkes gewesen. Obwohl sie verschiedene Stile und Formen praktizierten, gab es immer noch ein warmes Miteinander und Interesse aneinander, welches immer vorhanden war. Christel hat zwar keine zentrale Rolle bei der Gründung des Netzwerkes gespielt, war aber der Auslöser- ohne sie wäre es sicher nicht so zustande gekommen.

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Wer war denn in den ersten Kursen von Christel?
Da muss ich mal kurz überlegen… Helmut Oberlack, Claus Albermann, Sigrid, Roland Jurth und Hans Peter fallen mir da ein. In ihrem 2. und 3. Kurs kamen dann noch viele dazu, die man heute noch kennt. Es waren nicht viele in ihren ersten Kursen. Aber die meisten sind geblieben. Wenn ich da an heute denke, glaube ich, dass der Prozentsatz nach 20 Jahren nicht so hoch ist. Die Meisten sind dabeigeblieben auch wenn sie verschiedene Wege gegangen sind. Das, was sie vermittelt hat, hat eine große Tragweite auch für das Leben der Menschen gehabt. Sie konnten das, was sie von Christel bekamen, in Ihre Lebenssituation einbringen. Das war eine ihrer besonderen Qualitäten: Tai Chi nicht als etwas Isoliertes zu begreifen, sondern als Instrumentarium für den Menschen, sein Leben besser zu gestalten.

Wilhelm, ich danke dir für dieses Gespräch!

Wilhelm Mertens

Wie Christel Proksch zum Tai Chi kam

Interview mit Chin Kham Yoke während des Push Hands Treffens in Hannover 2011

Wo hast Du Christel kennengelernt?
Ich habe Christel in Taiwan kennengelernt. Ich hatte meinen Ausweis 1978 verloren und musste in Taiwan bleiben. Da habe ich sie getroffen. Sie hat mir angeboten, in ihrer Wohnung zu bleiben, bis ich einen neuen Ausweis habe. Ich habe ihr nettes Angebot angenommen und erzählte ihr, dass ich jeden Morgen in den Park gehe um Tai Chi Chuan zu üben. Sie erwiderte: „Ich kenne nichts was Tai Chi genannt wird, ich bin an Xing I interessiert. “Ich sagte, nein, nein versuch Tai Chi.“ Am nächsten Morgen mussten wir sehr früh aufstehen, und ich hetzte zur Tür und sagte, komm, lass uns losgehen. Christel sagte, dass sie erst einmal ihren Tee trinken müsste. Also wartete ich und wir gingen dann zusammen in den Park. Dort haben wir meinen Lehrer getroffen.

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Wer war dein Lehrer?
Tuan Laotze. Er war ein sehr kompakter Mensch. Er sah aus wie ein Budda. Eine sehr nette Persönlichkeit, immer ein lächeln im Gesicht und ein gut aussehender Mann. Hauptberuflich war er Koch. Ich glaube nicht, dass er berühmt war, aber er praktizierte den Cheng Man Ching Stil. Er hatte viele Schüler, die selbst unterrichteten. Im Park übten viele verschiedene Menschen.
Christel war sehr angetan und ihr Interesse war geweckt. Ich weiß nicht mehr wie lange wir dort zusammen übten. Es ist einfach zu lange her. Ich musste weiterreisen und wir haben den Kontakt verloren.

Hast Du Christel danach wiedergesehen?
Das nächste Mal trafen wir uns vor 13 Jahren in Bremen. Leute erzählten mir, dass Christel Tai Chi nach Deutschland gebracht hatte. Ich traf Sie in Ihrem Haus. Wir waren beide sehr überrascht. Damals lernte sie bei Patrick Kelly, soweit ich weiß.
Und nun bin ich hier in Hannover beim Push Hands Treffen und Du erzählst mir, dass sie verstorben ist. Ich erinnere mich, dass Christel sehr philosophisch war. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit ihr. Sie liebte Tai Chi und ich bin froh, dass sie es nach Deutschland gebracht hat.

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Foto: Chin Kham Yoke

Das sind wir auf jeden Fall auch. Wer weiß, ob wir jetzt hier sitzen würden…
Yoke, herzlichen Dank für das Interview!
Ich danke Dir!

Chin Kham Yokes und Tony Wards Website

Fotos von Christel Proksch: Claus Albermann

Interviewt wurden Yoke und Wilhelm von Nils Klug 2011 in Hannover.

Tipp: Geschichte des Taijiquan und Qigong in Deutschland