Lernen, Lehren und die Pflege des Lebens:
„Den Menschen gerecht – Ein Menzius-Lesebuch“ von Henrik Jäger – Eine Leseempfehlung
Während die westliche Aufklärung den Menschen in Körper und Geist unterteilt und dabei dem Körper die unterlegene Rolle zuweist, verschwimmen in der chinesischen Philosophie Körper, Herz und Geist zu einer dreigeteilten Einheit. Diese unterschiedliche Herangehensweise zieht sich bis tief in die Grundstruktur beider Denksysteme. Das kategorische westliche Denken zieht sich im Konfliktfall zwischen Theorie und Praxis in die Defensive zurück („Wenn die Theorie nicht stimmt, umso schlimmer für die Praxis.“); es verbindet Moral und Tugend wie selbstverständlich mit Selbstbeschränkung und Verzicht.
Chinesische Philosophie hingegen kennt zwar sehr wohl auch den Unterschied zwischen „sagen“ (Theorie) und „tun“ (Praxis), verwendet aber ungleich größeren Aufwand auf die Frage, wie beide in Einklang zu bringen seien, bzw. wie man im Falle eines Auseinanderfallens von beidem reagieren soll.
Der (un)praktische Konfuzianismus des Mengzi
Sowohl Konfuzius wie auch sein bedeutendster antiker Interpret Mengzi werfen damit Fragen auf, die der Tugendlehre des Abendlandes fremd sind – schon Kant und Hegel ereiferten sich über die Beispielhaftigkeit und das wenig Prinzipielle des Konfuzianismus; letztere war für sie der Inbegriff des Rückständigen.
Wie kann man sich also dem philosophischen Erbe Chinas annähern, welches nicht nur den Geist, den intellektuellen Verstand, sondern auch den Körper, das Herz und die Umgebung des Menschen miteinbezieht?
Henrik Jäger weist in seinem Buch „Den Menschen gerecht: Ein Menzius Lesebuch“ einen Weg: die Auseinandersetzung mit den klassischen Texten als lebendige Philosophie, als Übung der Resonanzfähigkeit – mit sich selbst, mit der Umwelt, mit den Mitmenschen. Sein Menzius-Lesebuch bietet einen Einblick in viele Themenbereiche des täglichen Lebens und zahlreiche (kontrastive) Querbezüge zu der „konkurrierenden“ daoistisch geprägten Denkweise des Zhuangzi. Wie auch bei Henrik Jägers Buch über Zhuangzi ist die Stärke des Buches die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der der Autor ausgehend vom antiken chinesischen Denken praktische Bezüge in die heutige Zeit herstellt. – Fragen der Herrschaft, der Verteilung, des Umgangs mit der Natur und der richtigen Pflege des Lebens lassen so bei allen Unterschieden auch Konstanten über die Jahrtausende erkennen.
Das Buch beinhaltet neben einer Hinführung auf das Thema und einem praktischen Stichwortregister, der eine alternative Lesereihenfolge des Buches ermöglicht, auch den chinesischen Originaltext. Dessen Übersetzung wird stets ergänzt durch weitere Fundstellen, Kommentare und weiterführende Gedanken.
Das Erhalten des „lebendigen Herzens“ als Herausforderung
Menzius’ Kernthema ist die Pflege und das Erhalten des lebendigen Herzens. Aus der Sicht des Herrschers macht dies seine Philosophie und sein praktisches Wirken unbequem und „unpraktisch“, d.h. kaum umsetzbar, aus der Sicht der Selbstkultivierung jedoch werden seine Gedanken lebendig und furchtbar. Zu vielen Fragen des Lernens und Lehrens der chinesischen Bewegungskünste kann Menzius somit Anregungen und Erklärungen geben:
Einige Beispiele:
- Bzgl. der Anwendung des Taijiquan als Kampf- und Lebenskunst: Wie kann ich mein lebendiges Herz im Kontakt mit „der Welt da draußen“ erhalten?
- Bzgl. des Lernens: Warum antwortet mein Lehrer nie auf die Frage, die ich stelle, sondern auf den Zustand, indem ich mich befinde?
- Bzgl. des Sagens und Tuns beim Lehren: Macht es Sinn, dass ich Prinzipien und Grundsätze ständig wiederhole, ohne sie demonstrieren zu können?
- Menzius stellt unsere Kritikfähigkeit, unsere Resonanzfähigkeit mit unserer Lebens-, Lern- und Lehrumgebung, auf die Probe – und fordert uns damit heraus, Gewissheiten über Bord zu werfen und eingefahrene Handlungsmuster zu verändern. Eine Menzius-Lektüre kann somit insbesondere allen denjenigen empfohlen werden, die frischen Wind in ihre Praxis bringen wollen.
Autor: Redaktion Taiji Forum
Bilder: Henrik Jäger
Den Menschen gerecht. Ein Mengzi-Lesebuch
Alle Menschen sind von Natur aus gut. Das ist die Kernbotscha der Ethik des kon zianischen Philosophen Menzius, der in Ostasien bis heute eine viel- fältige Wirkungsgeschichte entfaltet. Vom Menschen zu reden bedeutet für Menzius, von einem Wesen zu reden, das zwar den unmi elbaren Bezug zur Natur verloren hat, das aber nur dann zu sich selbst, zu seiner Menschlichkeit nden kann, wenn es versteht, dass die Natur alle materielle und geistige Nahrung zur Verfügung stellt und »von ihm nicht aufgebraucht« werden kann, solange er dafür Sorge trägt, dass in der Wechselbeziehung zwischen Natur und Mensch kein andauerndes Ungleichgewicht entsteht, keine Ressourcen- verschwendung und kein Verstoß gegen die Rhythmen der Jahreszeiten.
Der Mensch und die ihn umgebende Natur bzw. der Kosmos haben dieselbe Ordnung: In den Gesetzen der Natur erkennt der Mensch seine ihm vor- gegebenen Lebensgesetze. Indem er ihn weitgehend selbst zu Wort kommen lässt, führt Henrik Jäger in diesem umfassenden Lesebuch in Menzius’ Denken ein und zeigt dessen erstaunliche Aktualität.
circa 300 Seiten, gebunden,
mit Schutzumschlag
€ 28,00 (d) / € 28,80 (a) / sFr 34,80 Erscheint am 2.Februar 2018
Henrik Jäger, 1960 in Hameln geboren, ist Sinologe und freier Autor. Nach der Promotion bei Wolfgang Bauer und Studien zur Hermeneutik chinesischer Kommentarliteratur und zu Sinologen wie Richard Wilhelm (1873–1930) und François Noël SJ (1651–1729) entwickelte er sein »Lesebuchprojekt«. Darin sollen die Texte und Kernbotschaften chinesischer Denker in einer Weise vermittelt werden, die ihre zukunftsweisenden Botschaften veranschaulicht.