Zhou Dunyi (Chou Tun-yi)

Zhou Dunyi, der erste Denker des Neokonfuzianismus

Zhou Dunyi, der erste Denker des Neokonfuzianismus
Zhou Dunyi, Neokonfuzianismus

Zhou Dunyi (1017 – 1073 n.Chr.) lebte zur Zeit der Song-Dynastie (960 – 1279 n.Chr.) und trug wesentlich dazu bei, dass diese Zeit zu einem Wendepunkt in der Philosophiegeschichte Chinas wurde. In der Zeit vor der Song-Dynastie vom 2. – 9. Jahrhundert n.Chr., aber vor allem zur Zeit der Tang-Dynastie (618 – 906 n.Chr.) war China ein kosmopolitisches Land mit stark religiöser Prägung. Sowohl Buddhismus, als auch Daoismus wurden über lange Zeiträume hinweg allgemein geschätzt und staatlich gefördert. Mit dem Beginn der Song-Zeit sollte sowohl der Einfluss des Buddhismus als auch des Daoismus verblassen. Der Konfuzianismus, der nun wieder vorherrschende Philosophie wurde, entsprach nicht dem ursprünglichen Konfuzianismus. Joseph Needham schreibt:

„Es war jedoch sinnlos, zum alten Konfuzianismus zurückzukehren, denn sein totales Defizit an Kosmologie und Philosophie bedeutete, dass er einem reiferen Zeitalter nicht mehr genügen konnte. In der Tat gab es nur einen Weg, und dieser wurde von den Neokonfuzianern beschritten: in einer großartigen Anstrengung philosophischer Einsicht und Vorstellungskraft den höchsten ethischen Idealen des Menschen den ihnen zukommenden Platz vor dem Hintergrund der nichtmenschlichen Natur oder besser im weiten Rahmen der Natur überhaupt zuzuweisen. Von dieser Warte aus ist das Universum in einem bestimmten Sinne moralisch, aber nicht etwa, weil es von einer moralischen, persönlichen Gottheit gelenkt würde, die irgendwo außerhalb von Raum und Zeit existiert, sondern weil es moralische Werte und moralisches Verhalten hervorzubringen vermag, wenn die entsprechende Stufe der Organisation erreicht ist.“ (Needham, S. 292 f)

Der Neokunfizianismus

Die neokonfuzianische Schule entstand durch eine Kette von verschiedenen Philosophen, die mit ihren Ansätzen das wissenschaftliche und philosophische Denken Chinas für mehr als 700 Jahre beherrschen sollten. Ein Hauptthema war die Idee eines hochgradig strukturierten Gesamtbildes der Welt. Mit einem System von Begriffen wie taiji, Prinzip (li), Herz/Bewusstsein (xin) und natürliche Veranlagung (xing) wurde versucht, ein Weltbild zu entwerfen, dass nach dem Kenntnisstand der Zeit in der Lage war, den Aufbau des Kosmos zu erklären. Eine der großen Leistungen war dabei die Integration daoistischer wie buddhistischer Begriffe in das konfuzianische Gedankensystem, das zu einer einmaligen Synthese dieser drei Philosophien führte.

Für die Neokonfuzianer lag der Wert des Daoismus in seinem Naturalismus, aber seine Schwäche war das mangelnde Interesse an der menschliche Gesellschaft. Der Daoismus bot keine Erklärung, wie die höchsten menschlichen Werte mit der nichtmenschlichen Welt verbunden werden sollten. Mit der Durchsetzung des neokunfuzianischen Denkens rückte daher neben den kosmischen Vorstellungen auch deren Verbindung mit den konfuzianischen Idealvorstellungen und Tugenden in den Vordergrund. Ein zentraler Begriff war hier cheng, das Ideal des Weisen, welches als Aufrichtigkeit oder als Treue zu sich selbst verstanden werden kann. Cheng wurde später ergänzt und dann ersetzt durch zheng, die Treue bzw. die Treue zum Anderen. Hier zeigt sich eine Entwicklung weg von der individuellen Aufrichtigkeit hin auf das Soziale in der Treue zum Anderen. (vgl. Bauer S.295 f)

Zhou Dunyi, der unauffällige Philosoph

Als Architekt des Neokonfuzianismus gilt allgemein der Philosoph Zhou Dunyi. Er wurde 1017 n.Chr. in der Hunan-Provinz in eine Gelehrtenfamilie geboren. Nachdem sein Vater starb, wurde er von seinem Onkel Zheng Xiang adoptiert, dem er später auch sein erstes Staatsamt verdankte. Obwohl Zhou im Laufe seines Lebens oft für seine Arbeit als Beamter belobigt wurde, erreichte er niemals einen höheren Titel. Auch als Philosoph wurde Zhou zu Lebzeiten kaum bekannt. Neben seinen Neffen Cheng Yi und Cheng Hao hatte er nur wenige Schüler. Im Jahre 1073 n.Chr. starb Zhou an einem Fieber. Man erinnerte sich an ihn als einen warmherzigen Menschen mit hohen moralischen Ansprüchen, der ein inniges Verhältnis zur Natur und einen tiefen Einblick in das Dao, den rechten Weg, hatte. Sein Grab befindet in einen Tal in der nähe des Lushan-Berges. Posthum bekam Zhou Dunyi den Ehrennamen Yuan Gong und im Jahre 1241 wurde ihm der Titel Graf von Yunan verliehen.

Trotz dieser unauffälligen Lebensgeschichte legte Zhou Dunyi mit der „Erklärung des taiji-Diagramms (Taijitu shuo)“  den Grundstein der neokonfuzianischen Kosmologie und brachte die Theorie des taiji in den Vordergrund der philosophischen Diskussion. So heißt es dann in der Erklärung des Taiji-Diagramms:

„Der Urzustand (wuji) und dann das taiji. In Bewegung bringt das taiji das yang hervor. Wenn die Bewegung das Äußerste erreicht hat, entsteht Ruhe. Ruhend erzeugt das taiji das yIn, doch wenn die Ruhe das Äußerste erreicht hat, entsteht Bewegung. Bewegung und Ruhe Wechseln einander ab. Jedes ist die Wurzel des anderen. Durch die Unterscheidung von yin und yang sind diese Beien Instrumente entstanden.“ (Bödicker 2006, S. 83)

Die Theorie der Kampfkunst Taijiquan folgt Zhous Ideen. Im  „Klassiker zum Taijiquan“ heißt es, sicherlich inspiriert von Zhou Dunyi:

„Das taiji ist aus dem wuji geboren. Es ist Ursprung von Ruhe und Bewegung und die Mutter von yin und yang. In Bewegung teilt es, in Ruhe vereinigt es..“ (Bödicker 2013, S.11)

Wie wird man ein Weiser?

In seinem zweiten Hauptwerk, die „Durchdringung der Schrift (Tongshu)“, interpretiert Zhou das „Buch der Wandlungen (Yijing)“ und konzentriert sich dabei auf das Wesen des Weisen. Nach Zhou ist das Ideal des Weisen die Aufrichtigkeit (cheng). Sie ist die Grundlage der 5 Tugenden (wude) Menschlichkeit (ren), Gerechtigkeit (yi), Ritueller Anstand (li), Weisheit (zhi) und Vertrauenswürdigkeit (xin) und ist damit die Basis allen moralisch einwandfreien Verhaltens. Als Beispiel für die gelungene Vereinigung von konfuzianischer Ethik und daoistischer Weltsicht soll hier Absatz 20 des Tongshu dienen:

Jemand fragt: „Kann man lernen ein Weiser zu sein?“

Antwort: „Man kann“

„Gibt es Wesentliches?“

Antwort „Es gibt es.“

„Ich möchte es gerne hören.“

Antwort „In Einheit (yi) zu sein, ist essentiell. In Einheit zu sein heißt, kein Verlangen zu haben. Ohne Verlangen ist man in der Ruhe leer und in der Tätigkeit aufrichtig. Wenn man in leer ist, ist man klar (ming), wenn man klar ist, ist man durchdringend (tong). Wenn man in der Tätigkeit aufrichtig ist, ist man unparteiisch (gong), wenn man unparteiisch ist, ist man allumfassend (pu). Wenn man klar und durchdringend, unparteiisch und allumfassend ist, ist man fast ein Weiser.“ (Adler)

Autor: Martin Bödicker

Foto: Bödicker

 Literatur

Adler Joseph A., T’UNG-SHU (Penetrating the Classic of Change) by Chou Tun-i

– Bauer Wolfgang, China und die Hoffnung auf Glück, dtv, München 1989

– Bödicker, Freya und Martin, Philosophisches Lesebuch zum Tai Chi Chuan 2, Boedicker, Düsseldorf, 2006

– Bödicker, Martin, Das Tai Chi-Klassiker Lesebuch, Boedicker, Willich, 2013

– Needham Joseph, Wissenschaft und Zivilisation in China, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984