„Schwimmen in der Luft“ – Übende des Cheng Man Ching Tai Chi kennen diesen Ausdruck als eine Beschreibung für das Üben der Tai Chi Form. Viele, die diesen Ausspruch zum ersten Mal hören, denken zuerst an fliegen.
Schwimmen als Fliegen
Fliegen wäre in der Tat wundervoll – aber wir können nicht fliegen.
Diese einfache Tatsache muss dieser Tage anscheinend erwähnt werden, da vor ein paar Wochen die Frage, ob Tai Chi-Meister – nach vielen Jahren des Übens selbstverständlich – in der Lage sein könnten zu fliegen, tatsächlich von erwachsenen Menschen ernsthaft in einem Social Media-Forum diskutiert wurde. – Er erübrigt sich fast zu sagen, dass ein eindeutiges Ergebnis dieser Debatte bisher nicht berichtet wurde.
In der Lage zu sein, zu warten, loszulassen und Theorie und Spekulation außen vor zu lassen (Es gibt keine Geheimisse!), erlaubt uns hier, uns mit einer weitaus interessanteren Frage zu beschäftigen:
Was ist die praktische Bedeutung von „Schwimmen in der Luft“? (GK)
Gehen und Schwimmen
Gehen ist unsere – des Homo erectus – hauptsächliche körperliche Aktivität. Wir sind zweifüßige Tiere und wie bei anderen Tieren ist unsere Fortbewegungsmethode zugleich unsere Bewegungsübung. Gehen ist am wohltuendsten, wenn wir es barfuß auf der Erde, auf Sand, Gras oder jeder anderen weichen, unebenen Oberfläche tun. Gehen auf harten, platten Oberflächen wie Zement erschüttert den Körper in einigem Maße und ist weniger vorteilhaft.
In der modernen Welt müssen wir Schuhe tragen, um unsere Füße im Kontakt mit verschiedensten unfreundlichen Oberflächen zu schützen.
Vielseitige Bewegungen
Schuhe auf harten Oberflächen zu tragen, führt dazu, dass wir bei jedem Schritt, den wir machen, die Muskeln und Knochen auf exakt die selbst Weise nutzen, während das Gehen auf unebenem Untergrund den Muskeln der Knöchel und Beine abverlangt, in vielseitig wechselnde Richtungen zu arbeiten. Ein Beispiel einer verwandten Problematik sind Gewichthebevorrichtungen, bei denen der Athlet ein Gewicht in Kanälen hochdrückt, die lediglich ein Hoch und Runter zulassen. Dies entwickelt starke Muskeln, die nach oben drücken (Brustmuskel, Trizeps etc.), aber wenn de Sportler dann ein freies Gewicht hebt, sind die Muskeln, die dieses daran hindern nach vorne oder nach hinten zu fallen nicht so stark und Verletzungen können die Folge sein. Freies Gewichtheben und Gehen auf unebenem Untergrund üben sämtliche relevanten Muskeln.
Fühlende Bewegung: Die Füße auf dem Erdboden – der Körper umgeben von Luft
Es wird gesagt, dass Tai Chi „Schwimmen in der Luft“ sei. Unsere Füße sind „auf“ der Erde, aber unsere Körper sind in der Luft (am Grunde des Himmels). Luft ist sehr wie Wasser. Wasser – dichter als Luft – lässt Schlachtschiffe schwimmen, Luft – leichter als Wasser, aber dichter als der Weltraum – lässt Flugzeuge schweben. Der einzige Grund, warum die meisten Leute die Dichte der Luft nicht spüren, ist, dass sie daran gewöhnt sind.
Nach einigen Jahren des Übens werden Tai Chi Lernende dazu ermutigt die Luft zu „fühlen“, in der sie sich bewegen, die Verdrängung der Luft, während wir unsere Körper und Gliedmaßen darin bewegen, zu erfahren. Während wir dies tun, fängt die Luft an, sich dichter, schwerer anzufühlen, mit der Folge, dass unser Körper leichter erscheint. Auf diese Weise können wir uns fühlen, „als ob“ wir „in der Luft schwimmen“.
Autor: Ken van Sickle
Übersetzerin: Gabi Kannenberg
Englische Version dieses Artikels
Notizen zu Cheng Man Ching’s Tai Chi System
- Die grundsätzliche Haltung des Tai Chi (Kampf oder Flucht),
- den ernsthaften Ansatz, die visuelle chinesische Sprache praktisch bedeutsam zu machen (Schwimmen in der Luft),
- die Interpretation von Entspannung als etwas, das harte Arbeit voraussetzt (Über (Fehl)ausrichtung),
- das intensive Studium einzelner Bilder (Zurückrollen),
- das Bedürfnis, seine eigene Form wieder praktisch mit der ursprünglichen Bedeutung des Tai Chi zu verknüpfen (Die 37er Cheng Man Ching Form),
- die ultimative Lebenskunst (Die Bedeutung des Tai Chi),
- die Beziehung zum Anderen (Push Hands),
- das Prinzip des mit dem Strom Schwimmens (Das Pferd reiten)
- und – schließlich – die kunstvolle Kombination von Energie und Richtung (Momentum).