Überblick über traditionelle chinesische Waffen
Gliederung
Einführung
Ähnlichkeiten zu den historischen europäischen Kampfkünsten
Schutzwaffen
Rüstung (Jia)
Schild (Dun)
Schusswaffen
Bogen (Gong Jian)
Wurfwaffen
Wurfmünze (Luo Han Qian)
Weiche Waffen
Dreigliedriger Stab (San Jie Gun)
Sehr lange Waffen
Lanze (Mao)
Langwaffen
Speer (Qiang)
Hellebarde (Da Dao)
Kurzwaffen
Hühnersäbelsichel (Ji Dao Lian)
Sehr kurze Waffen
Mandarinentenklingen (Yuan Yang Yue)
Fächer (Shan)
Fazit
Lebenslauf des Autors
Literatur
Einführung
Taijiquan ist eine Kunst, die unendlich viele Facetten hat. Je nach dem Blickwinkel handelt es sich um eine Übung zur Erhaltung der Gesundheit, um meditative Praxis, um einen körperlichen Zugang zu philosophischen Konzepten, um die Choreographie ästhetischer Bewegungsmuster oder gar um eine moderne Wettkampfsportart. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Vom Ursprung her aber ist Taijiquan eine Kampfkunst, die ihre Wurzeln in der Kriegskunst hat [Rann11, S. 7]. Nach der gängigen Theorie leiten sich die bekannten Stilrichtungen vom Chen-Stil ab, der, in der Form wie wir ihn heute kennen, auf Chen Wangting (1597-1664 n. Chr. [12a, Rann08, S. 89]) zurückzuführen ist. Chen Wangting war ein General in der chinesischen Armee, der in seinem jahrelangen Dienst für die Ming-Dynastie (1368-1644 n. Chr. [12b, Schm08, S. 137]) an Schlachten teilnahm, gegen aufrührerische Truppen kämpfte und als Leibwächter für Handelskarawanen fungierte [Silb03, S. 30]. Nach dem Sturz der Ming-Dynastie und der Machtergreifung durch die Qing war die militärische Karriere von Chen Wangting beendet. Er zog sich in sein Heimatdorf zurück, Chenjiagou. Dort erschuf er Taijiquan als Kombination aus gesundheitsfördernden Übungen des Daoyin und Tuna (die heute zum Bereich des Qigong gezählt werden) mit kämpferischen Inhalten des Wushu [Silb03, S. 31]. Bei der Erstellung des Taijiquan wurde er deutlich beeinflusst von den Schriften des Generals Qi Jiguang (1528-1588 n. Chr. [12c, Lorg12, S. 8]) zur Kriegsführung, v. a. dem „Neuen Buch über effektive Disziplin“ (Ji Xiao Xin Shu) in dem neben Formationen, Strategien, Logistik und dem Rekrutieren von Einheiten der bewaffnete Kampf ausführlich abgehandelt wird [12d, Rann11, S. 103]. Das Buch enthielt auch ein Kapitel über unbewaffneten Kampf, wobei Qi Jiguang solchen Boxformen für den Einsatz auf dem Schlachtfeld eine geringe Bedeutung beimaß. Er hielt das Training unbewaffneter Kampfmethoden jedoch für sinnvoll als eine Vorbereitung auf den Kriegseinsatz von Soldaten im Sinne einer Leibesertüchtigung und eines Erlernens grundsätzlicher koordinativer Fähigkeiten [Rann11, S. 104–105].
Tatsächlich spielte der unbewaffnete Kampf zu dieser Zeit sowohl auf dem Schlachtfeld als auch zum Selbstschutz nur eine untergeordnete Rolle. Lediglich im unmittelbaren Handgemenge wird die Kenntnis entsprechender Kampfmethoden für einen individuellen Krieger vorteilhaft gewesen sein [Rann11, S. 105]. Von zentraler Bedeutung war dagegen die Verwendung von Waffen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Umgang mit Waffen von Anfang an eine wichtige Rolle im Taijiquan spielte. Das „Grundrepertoire“ an Waffen im Chen-Stil umfasst dabei die folgenden fünf Typen [Silb03, S. 187]:
- Schwert (Jian)
- Säbel (Dao)
- Langstab (Gun)
- Hellebarde (Da Dao)
- Speer (Qiang)
Wer sich für die Ursprünge von Taijiquan als Kampfkunst interessiert, und hiermit ist nicht der Einsatz als Methode für die effektive Selbstverteidigung in der heutigen Zeit gemeint, der kommt also kaum darum herum, sich mit den traditionellen chinesischen Waffen zu beschäftigen. Der Nutzen für einen Taiji-Praktizierenden durch ein Üben mit Waffen geht aber über das reine Stillen historischer Neugier hinaus. Für die Waffen gelten die gleichen Prinzipien wie beim waffenlosen Üben. So ist es beispielsweise nötig, die Energien im Körper bis in die Waffe hinein zu der Stelle fließen zu lassen, die gerade aktiv ist. Die Waffe wird im Idealfall ein Teil des eigenen Körpers [Silb03, S. 192]. Durch die Länge der Waffe arbeitet man deutlich weiter entfernt von der eigenen Körpermitte als beim freihändigen Training. Ungenauigkeiten in der Ausführung werden dadurch überdeutlich, man wird zu einem sehr präzisen Arbeiten gezwungen. Erkenntnisse aus dem Waffentraining kann man dann wieder in der waffenlosen Praxis umsetzen, die davon deutlich profitiert.
Im Taijiquan gehören die Waffen üblicherweise, wie bei den meisten anderen Kampfkünsten, zum Fortgeschrittenentraining. Es soll eine Basis in dem freihändigen Üben erreicht sein, auf diesen Grundlagen aufsetzend werden dann die Prinzipien auf die Waffen übertragen. Es gibt aber auch Kampfkünste, in denen das Training genau andersherum aufgebaut ist und mit den Waffen begonnen wird, deren Prinzipien dann später auf den freihändigen Kampf übertragen werden. So wird beispielsweise im philippinischen Arnis bzw. Escrima [Sieb95] verfahren, aber auch einige Meister des chinesischen Xingyiquan präferieren diesen Ansatz [12e].
Ähnlichkeiten zu den historischen europäischen Kampfkünsten
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit für einen Moment vom fernen China auf das nahegelegene Deutschland, oder vielmehr das damalige Heilige Römische Reich Deutscher Nation [12f]. Dort hat 1570 n. Chr. ein Bruder im Geiste von Chen Wangting, der etwa zwei Generationen vor ihm gelebt hat, eine Schrift veröffentlicht, die „Gründtliche Beschreibung der freyen Ritterlichen und Adelichen Kunst des Fechtens in allerley gebreuchlichen Wehren“.
Der Autor, Joachim Meyer (ca. 1537-1571 n. Chr. [12g, Land11,? S. 14–15]), ein Kampfkünstler und Fechtmeister, beschreibt in dem Buch den Umgang mit den damals „gebreuchlichen Wehren“ [Land11, S. 20]:
- Rapier
- Dussack
- Langstab
- Hellebarde
- langer Spieß
- Dolch
- langes Schwert
Fünf dieser sieben Waffen lassen sich im Prinzip eins zu eins den oben genannten Taiji-Waffen zuordnen. Das damals in Deutschland verwendete Rapier [Land11, S. 23–24] (s. Abb. 1 [12h, Land11, S. 355]) war im Prinzip eher ein Seitschwert, der Übergang vom mittelalterlichen Hiebschwert zum späteren stichoptimierten Rapier klassischer Ausprägung. Diese Waffe besaß eine zweischneidige, delikate Klinge, deren Einsatz zum Schneiden und Stechen nicht auf Kraft, sondern auf präziser Technik beruhte, ganz analog zum Taiji-Schwert (s. Abb. 2).
Beim Dussack [Land11, S. 23] (s. Abb. 3 [12h, Land11, S. 179]) handelte es sich um eine einschneidige, leicht gekrümmte, kurze, einhändig geführte Waffe. Der Einsatz war geprägt durch kräftige Hiebe und Blocktechniken, wobei die zweite Hand zur Unterstützung an die stumpfe Seite der Klinge genommen werden konnte, alles Elemente, die sich auch beim Taiji-Säbel wiederfinden.
Die zwei Waffen, die aus dieser Liste keine Entsprechung in den Taiji-Waffen finden, sind der Dolch [Land11, S. 24] und das lange Schwert [Land11, S. 20–23]. Bei letzterem handelt es sich um ein relativ großes, vorwiegend zweihändig geführtes Schwert, das man heutzutage auch als Anderthalbhänder oder Bastardschwert bezeichnet (s. Abb. 4 [12h, Land11, S. 55]). Es stellte damals in der deutschen Fechttradition noch die primäre Waffe und Grundlage für alle Prinzipien dar.
Das Fehlen solcher langen Schwerter im Taijiquan sollte jedoch nicht dazu verleiten anzunehmen, dass es sie im Arsenal chinesischer Waffen oder auch nur in den inneren Kampfkünsten nicht gegeben hätte. Militärisch stellten Sie eine wichtige Waffengattung dar, die in den „Abhandlungen über die Waffentechnik“ (Wubei Zhi) aus dem Jahr 1621 n. Chr. [Peer97, S. 4] behandelt wird, dem umfassendsten militärischen Handbuch der chinesischen Geschichte [12i] (s. Abb. 5 [12j, Peer92, S. 23]). Im Baguazhang ist noch heute die Verwendung solcher langen zweischneidigen Schwerter üblich, ebenso wie der Einsatz übergroßer, zweihändig geführter Säbel [12k].
Diese frappierende Übereinstimmung im Waffenarsenal von zwei Ländern, die so weit auseinander liegen und kulturell so unterschiedlich sind, mag auf den ersten Blick erstaunen. Allerdings ist es so, dass bestimmte Prinzipien im Aufbau von Waffen und deren Verwendung schlichtweg effektiv sind und sich daher an vielen Orten auf der Erde in Abhängigkeit von bestimmten Rahmenbedingungen (verfügbare Stahlqualitäten, getragene Rüstungen usw.) herausgebildet haben.
Im alten China wurden unendlich viele unterschiedliche Waffentypen eingesetzt. Viele davon erscheinen einem westlichen Leser ungewöhnlich und exotisch. Hierbei handelt es sich aber meist um Waffen, die von Kampfkünstlern zur persönlichen Selbstverteidigung eingesetzt wurden [Yang99]. Die Ausrüstung der Soldaten auf dem Schlachtfeld unterschied sich kaum von der, die wir in Europa auch kennen [Peer06].
Um die Vielzahl der verwendeten Waffen zu charakterisieren, sprach man von den „18 Waffenkünsten“ (Shiba Ban Wuyi) [Rann11, S. 88, Yang99, S. 2], die ein umfassender Kampfkünstler beherrschen sollte. Welche 18 Waffen das genau sind, unterschied sich in der chinesischen Geschichte von Periode zu Periode, beispielhaft seien hier die 18 Waffen zur Zeit der Song-Dynastie (960-1279 n. Chr. [12l, Schm08, S. 137]) genannt [Yang99, S. 3] (s. Abb. 6 [12m]?):
- Schild (Dun)
- Bogen (Gong Jian)
- Armbrust (Nu)
- Peitsche (Bian)
- Lanze (Mao)
- Speer (Qiang)
- Hellebarde mit L-förmigem Kopf (Ge)
- Mondsichel-Hellebarde (Ji)
- Harke (Ba)
- Langstielige Streitaxt (Yue)
- Langstielige Klaue (Zhua)
- Säbel (Dao)
- Schwert (Jian)
- Kurzstielige Streitaxt (Fu)
- Kriegshammer (Chui)
- Keule (Bang)
- Kurzer Dreizack (Chai)
- Sichel (Lian)
Teilweise enthielt die Liste auch bestimmte Formen des waffenlosen Kampfes [Rann11, S. 88] oder abstrakte Begriffe wie „Kampfstrategie“ [Yang99, S. 4] an der Stelle einer Waffengattung. Sprichwörtlich wurde allerdings die Auszeichnung für einen vielseitigen Kampfkünstler, er sei „geübt im Umgang mit den 18 Waffenkünsten“ [Yang99, S. 2].
Nach Yang Jwing-Ming kann man die traditionellen chinesischen Waffen in die folgenden acht Kategorien einteilen [Yang99, S. vii]:
-
Schutzwaffen
- Schusswaffen
- Wurfwaffen
- Weiche Waffen
- Sehr lange Waffen
- Langwaffen
- Kurzwaffen
- Sehr kurze Waffen
Um je nach den Umständen einer gegebenen Situation mit verschiedenen Waffen umgehen zu können, war es üblich, dass sich ein Kampfkünstler in wenigstens einer Kurzwaffe und einer Langwaffe spezialisierte. Da die grundlegenden Prinzipien in jeder Waffenkategorie die gleichen sind, versetzte ihn dies in die Lage, von den beiden für den Nahkampf relevantesten Gattungen eine beliebige Waffe an sich zu nehmen und effektiv einzusetzen [Yang99, S. 7].
Typischerweise hatte ein Kampfkünstler wenigstens drei Waffen bei sich. Zunächst eine primäre Waffe, mit deren Umgang er am intensivsten trainiert hatte, wie etwa Schwert, Säbel, Langstab oder Speer. Diese Waffe war für einen Gegner offensichtlich zu sehen und besaß das größte Angriffspotential. Eine zweite Waffe war am Körper versteckt und konnte zum Einsatz kommen, falls die Primärwaffe im Kampf verloren gehen sollte, z. B. eine eiserne Kette im Gürtel oder ein Paar Dolche in den Stiefeln. Für den Einsatz auf größere Entfernungen oder zur Überraschung trug er Wurfwaffen, beispielsweise Wurfmesser oder ?pfeile [Yang99, S. 5].
Das Training der Langwaffen wurde traditionell mit dem Langstab begonnen, das der Kurzwaffen mit dem Säbel. Es gibt in der chinesischen Kampfkunst das Sprichwort: „Der Langstab ist die Wurzel aller Langwaffen und der Säbel ist die Grundlage aller Kurzwaffen.“ Diese beiden Waffen wurden als Prototypen für ihre jeweilige Gattung angesehen, die verhältnismäßig leicht zu erlernen sind und alle relevanten Grundprinzipien enthalten. Ein weiteres Sprichwort besagt: „Der Speer ist der König der Langwaffen und das Schwert ist der Anführer der Kurzwaffen.“ Diese Waffen galten damit als diejenigen ihrer Gattung, die einerseits am schwersten zu erlernen sind, aber andererseits, bei korrekter Handhabung, die effektivsten Waffen im Kampf darstellen. Weiterhin sagt man: „Hundert Tage Training ohne Waffen, tausend Tage Speertraining und zehntausend Tage Schwerttraining.“ Die herausragende Bedeutung des Waffentrainings wird hier sehr deutlich, ebenso wie die Stellung des Schwerts, das als komplexeste und nobelste aller Nahkampfwaffen galt [Yang99, S. 7].
Im Folgenden werden für jede der Kategorien ein oder zwei Waffen beispielhaft vorgestellt. Dabei soll die Bandbreite deutlich werden, von sehr abenteuerlich anmutenden Waffen bis hin zu solchen, die jeder Leserin und jedem Leser aus einem beliebigen Ritterfilm bekannt vorkommen müssten. Etwas ausführlicher werden dabei diejenigen Waffen behandelt, die in fast allen Stilrichtungen des Taijiquan zum Einsatz kommen (Speer, Hellebarde und Fächer). Die „Klassiker“ des Taijiquan, nämlich Schwert, Säbel und Langstab, werden allerdings ausgeklammert, da sie in drei nachfolgenden eigenständigen Artikeln behandelt werden sollen. Ebenfalls ausgeklammert werden größere Kriegsgeräte, die von einem einzelnen Soldaten nicht getragen werden konnten, und Feuerwaffen, die auf der Verwendung von Schwarzpulver basieren, obwohl die chinesische Militärgeschichte auch in diesen Bereichen äußerst spannend ist. So gelten die Chinesen als die Erfinder des Schwarzpulvers und bereits im militärischen Handbuch „Zusammenstellung der wichtigsten militärischen Techniken“ (Wujing Zongyao) [12n] aus dem Jahr 1044 n. Chr. wird die Verwendung von aus Schwarzpulver hergestellten Bomben beschrieben [Peer96, S. 42].
Schutzwaffen
Als Schutzwaffen bezeichnet man solche Gegenstände, die nicht primär dem Angriff dienen, sondern den Träger vor Verletzungen schützen sollen [12o].
Rüstung (Jia)
In früheren Zeiten war das Tragen von Rüstung im Kampf ein Faktor von entscheidender Bedeutung und es handelte sich um einen ganz zentralen Teil der Ausrüstung eines Kriegers [Yang99, S. 117–121] (s. Abb. 7 [12p]?). Mit der zunehmenden Dominanz von Feuerwaffen auf dem Schlachtfeld nahm der Vorteil von Rüstungen ab und die verbesserte Mobilität ohne Rüstung führte dazu, dass dieser Ausrüstungsgegenstand größtenteils von der Bildfläche verschwand. Von einigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa dem Tragen von Helmen oder schusssicheren Westen, die allerdings erst sehr viel später entwickelt wurden, verloren Rüstungen in kriegerischen Auseinandersetzungen ihre Bedeutung und wurden damit auch im Training nicht mehr berücksichtigt. Mir ist keine Kampfkunst bekannt, die eine überlieferte Tradition im Training mit historischer Rüstung besitzt.
Schild (Dun)
Der Schild spielte auf dem Schlachtfeld vor allem für das Fußvolk von jeher eine große Rolle, indem er die Rüstung ergänzte oder gar ersetzte [Yang99, S. 110–116]. Analog zu der Rüstung nahm seine Bedeutung und damit seine Verwendung mit der stetigen Verbesserung der Feuerwaffen ab. Während in den chinesischen inneren Kampfkünsten der Umgang mit dem Schild nicht tradiert wurde, ist er z. B. im Shaolinquan Bestandteil des Trainingsrepertoires, meist in Kombination mit dem Säbel. Der hier verwendete Schild ist in der Regel kreisförmig und besteht aus Rattan. Die Vorderseite ist farbig bemalt und meist mit der Abbildung eines Tigerkopfes dekoriert [12q] (s. Abb. 8 [12r]?).
Schusswaffen
Die Schusswaffen haben eine zentrale Stellung in der chinesischen Militärgeschichte. Bereits ab 600 v. Chr. wurden Armbrüste (Nu) mit ausgefeilten bronzenen Abzugsmechanismen hergestellt, die hohe Zuggewichte zuließen. Die Armbrust entwickelte sich zur bevorzugten Schusswaffe die Infanterie, da der Umgang mit ihr deutlich leichter zu erlernen war als der mit einem Bogen [12s, Lorg12, S. 39]. Insgesamt wurden die Schlachtfelder im alten China in aller Regel von mobilen Schützen dominiert, die Ihre Fernwaffen zunächst vom Streitwagen aus einsetzten. Die übliche Besatzung eines Streitwagens bestand dabei aus drei Personen, einem Wagenlenker, einem Soldaten mit einer langen Stangenwaffe und einem Schützen. Durch den Kontakt mit nomadischen Reitervölkern im Norden wurde in der Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. Chr. [12t, Lorg12, S. 17]) die Vorherrschaft der Schützen auf Streitwagen durch berittene Bogenschützen abgelöst [12s, Peer90, S. 21].
Bogen (Gong Jian)
Wenn man eine einzige Waffe benennen will, die in China bis zum Aufkommen der Feuerwaffen die alles entscheidende Rolle gespielt hat, dann ist dies der Bogen [Selb00, Selb03] (s. Abb. 9 [12u]?). Für die leichte Kavallerie, die über viele Jahrhunderte hinweg für das chinesische Militär eine große Relevanz hatte, war der Bogen die präferierte Fernwaffe. Die Bedeutung des Bogens geht aber weit über den Einsatz in der Schlacht hinaus, so fand er auch Verwendung für die Jagd, als Sport sowie für rituelle Zwecke. In dem sehr ausgeprägten und ausgefeilten chinesischen Auswahlverfahren für militärische Führungskräfte waren Prüfungen im Bogenschießen in der Zeit von der Han- bis zur Qing-Dynastie (206 v. Chr. bis 1911 n. Chr.) ein integraler Bestandteil [12s, Selb00].
Es ist interessant, dass trotz des hohen Ansehens, das chinesische Kampfkünste heute genießen, das Handwerk der Krieger den Schriftgelehrten in China über den Großteil ihrer Geschichte hinweg als krude oder gar barbarisch erschien. Es war kein Thema, über das es sich zu schreiben lohnte, und das Erlernen des Umgangs mit Waffen geziemte sich nicht für einen Edelmann [Rann11, S. 16]. Der Bogen bildete hier die eine große Ausnahme. In der Zhou-Dynastie (ca. 1122–256 v. Chr. [12v]) handelte es sich um eine der „Sechs edlen Künste“, die jungen Männern von Stand beigebracht wurden (neben dem Bogenschießen waren dies noch das Beherrschen der Riten, Musik, Kalligrafie, Mathematik und das Wagenlenken [12w]). Bei den chinesischen Kaisern galt es als ein Zeichen der Tugendhaftigkeit und Konfuzius (Kongzi, 551-479 v. Chr. [12x]) war u. a. selber Bogenlehrer und soll Folgendes gesagt haben: „Ein gebildeter Mensch zieht keinen Nutzen daraus, sich mit anderen zu messen. Wenn er es aber gar nicht lassen kann, dann soll er es im Bogenschießen tun!“ [12s, Selb00].
Anders als im japanischen Kyudo [12y, Herr08] gibt es in China leider keine ungebrochene Überlieferungslinie der Kunst des Bogenschießens bis in die Gegenwart. Allerdings gibt es dort heutzutage ein wiederauflebendes Interesse an dieser Kunst und es wird der Versuch unternommen, die korrekte Technik historisch akkurat zu rekonstruieren [Selb03]. Ein ähnliches Phänomen ist seit einigen Jahrzehnten in Europa und den USA zu beobachten, wo es eine wachsende Gemeinschaft gibt, die anhand alter Fechtbücher die historischen europäischen Kampfkünste recherchiert und trainiert [12z].
Wurfwaffen
Selbstverständlich wurde in China, wie im Prinzip überall auf der Welt, der Wurfspeer (Biao Qiang) für die Jagd und den Kampf eingesetzt [Yang99, S. 22]. Etwas ungewöhnlicher ist der in der chinesischen Kampfkunst ausgeprägte Einsatz von versteckten Waffen, die häufig zum Werfen gedacht waren und ggf. zur Erhöhung ihrer Gefährlichkeit auch mit Gift versehen sein konnten. Grundsätzlich können diese versteckten Waffen unterschiedlichen Kategorien zugehören [Yang99, S. 99]:
- Waffen, die versteckt getragen wurden und vor allem für den Nahkampf gedacht waren, sich häufig aber auch zum Werfen eigneten, wie z. B. der Dolch (Bi Shou). Diese Waffen gehören in die Kategorie der sehr kurzen Waffen.
- Waffen zum Abschuss von Projektilen, z. B. Rohre mit einem Federmechanismus zum Abfeuern von Pfeilen, die im Ärmel verborgen waren (Xiu Jian). Diese Waffen sind der Kategorie der Schusswaffen zuzurechnen.
- Waffen, die geworfen werden können, aber an einem Seil befestigt sind und so schnell zurückgeholt werden können, wie etwa die „Fliegende Klaue“ (Fei Zhua). Diese Waffen fallen in die Kategorie der weichen Waffen.
- Waffen, die primär für den freihändigen Wurf geeignet sind. Hier handelt es sich um Wurfwaffen im engeren Sinne.
Ob die Kunst der Wurfwaffen in der chinesischen Kampfkunst bis heute tradiert wurde, wie dies in Japan etwa mit dem Shurikenjutsu (Wurfpfeile) oder dem Shakenjutsu (Wurfsterne) passiert ist [12aa, Gruz91], ist mir nicht bekannt. In jedem Falle gibt es moderne Veröffentlichungen, die sich auch mit den Besonderheiten von Wurfwaffen in den chinesischen Kampfkünsten beschäftigen [Mari10].
Wurfmünze (Luo Han Qian)
Zum Werfen wurden sowohl ganz normale Geldmünzen eingesetzt als auch solche, bei denen die Kanten angeschliffen waren [Yang99, S. 105]. Mit verschiedenen Griff- und Wurftechniken ist es möglich, mehrere Münzen gleichzeitig zu werfen [Mari10, S. 114, Zhan09, S. 85] (s. Abb. 10).
Weiche Waffen
Weiche Waffen bestehen entweder aus harten Segmenten, die beweglich miteinander verbunden sind, oder aus einem in sich beweglichen Material, wie z. B. einem Seil [Yang99, S. 87]. Es ist auffällig, dass diese Waffengattung im Taijiquan nicht trainiert wird, während sie in den äußeren Kampfkünsten, etwa dem Shaolinquan, recht beliebt ist.
Dreigliedriger Stab (San Jie Gun)
Der dreigliedrige Stab besteht aus drei gleich langen Holzstäben aus Hartholz oder Rattan, die über kurze Ketten miteinander verbunden sind [12ab, Yang99, S. 89] (s. Abb. 11). Die Gesamtlänge entspricht etwa der eines Langstabs. Analog zum in Europa verwendeten Dreschflegel [12ac] eignet sich diese Waffe z. B. für den Kampf gegen einen Gegner, der einen Schild trägt, da die äußeren Enden mithilfe der beweglichen Ketten um ein Hindernis herumschlagen können.
Sehr lange Waffen
Die sehr langen Waffen haben den Vorteil, dass sie im Nahkampf auf die größte Distanz hin eingesetzt werden können und spielten in früheren Zeiten eher auf dem Schlachtfeld eine Rolle als zur persönlichen Selbstverteidigung [Yang99, S. 18]. Zum Führen sehr langer Waffen werden in aller Regel beide Hände benötigt.
Lanze (Mao)
Der Einsatz von Lanzen als Stichwaffe mit sehr hoher Reichweite geht in der chinesischen Geschichte weit zurück und bereits seit der Shang-Dynastie (ca. 16. bis 11. Jh. v. Chr. [12ad, Schm08, S. 136]) wurden Lanzen mit Spitzen aus Messing verwendet. Diese Waffe wurde sowohl vom Streitwagen aus, mit einer Länge bis zu 7,5 Metern, als auch zu Fuß, mit bis zu 6,5 Meter Länge, eingesetzt [Yang99, S. 19]. Dieses extrem anmutende Ausmaß entspricht dem der Sarissa, der Lanze der makedonischen Heere in der Antike [12ae, Ocon02, S. 42, Warr95, S. 72–74]. Auch vom Pferderücken aus wurde die Mao verwendet, mit einer Länge von bis zu 6 Metern [Yang99, S. 19] (s. Abb. 12 [12af]?). Hier liegt natürlich wieder eine Analogie zur Kriegsführung in Europa vor, wo die Schlachtfelder über weite Teile des Mittelalters hinweg von Rittern zu Pferde mit ihren Lanzen dominiert wurden [12ag, Ocon02, S. 60–64, ScGi03, S. 60–61].
Langwaffen
Die Langwaffen unterscheiden sich von den sehr langen Waffen durch eine geringere Länge, meist weniger als 2,4 Meter [Yang99, S. 17]. Dadurch können sie variabler eingesetzt werden und eignen sich besonders für den Kampf zu Fuß [Yang99, S. 21]. Das Führen solcher Waffen ist präziser, wenn beide Hände eingesetzt werden, wobei eine Verwendung mit einer Hand häufig ebenfalls möglich ist, was etwa den gleichzeitigen Gebrauch eines Schildes ermöglicht. Von der Shang- bis zur Qing-Dynastie (1570 v. Chr. bis 1911 n. Chr.) war die primäre Bewaffnung des militärischen Fußvolkes für den Nahkampf meist der Kategorie der Langwaffen zuzurechnen [Peer06]. In Europa war die Situation sehr ähnlich [Ocon02].
Speer (Qiang)
Auf dem Schlachtfeld wurde der Speer häufig einhändig geführt in Kombination mit einem Schild [Peer06]. Im Taijiquan, genauso wie in den anderen heute in China praktizierten Kampfkünsten, wird der Speer mit zwei Händen ohne Schild geführt. In der Regel ist der Speer etwas größer als der ihn benutzende Kampfkünstler und besitzt an einem Ende eine relativ leichte Metallspitze mit zwei scharfen Schneiden [12ah, Silb03, S. 189–190]. Unter der Spitze befindet sich häufig eine Quaste oder Troddel, die in früheren Zeiten aus dem Haar eines Pferdeschweifs hergestellt wurde (s. Abb. 6). Diese Troddel erfüllt zwei Funktionen. Einerseits dient sie dazu, den Gegner abzulenken, andererseits soll sie nach einem Treffer den Blutfluss von der Spitze den Schaft herab stoppen, da dies die Griffigkeit des Speers negativ beeinflussen würde [12ah, Yang99, S. 22].
Das untere, stumpfe Ende des Speers kann genau wie ein Langstab verwendet werden. Das obere Ende im Prinzip auch, nur dass aufgrund der Spitze das Angriffspotential deutlich höher ist und Techniken wie Stechen und Schneiden eingesetzt werden können, die nur einen geringen Krafteinsatz benötigen [Silb03, S. 189–190]. Aufgrund der großen militärischen Bedeutung des Speers spielte diese Waffe auch in der Anfangszeit des Taijiquan eine große Rolle. So hatte Chen Wangting neben den Übungen der „Schiebenden Hände“ auch die der „Klebenden Speere“ eingeführt, die es den Übungspartnern ermöglicht, den Umgang mit dieser sehr gefährlichen Waffe auf weiche Art und Weise mit geringer Verletzungsgefahr zu erlernen [Silb03, S. 32].
Hellebarde (Da Dao)
In China wurde eine schier unüberschaubare Vielzahl an Stangenwaffen verwendet, die als Hellebarde angesprochen werden können [Peer06]. Ausschlaggebend ist hierbei das Vorhandensein einer verhältnismäßig schweren Klinge am Kopfende, die für Hieb- und Stichtechniken geeignet ist. Die starke Kopflastigkeit macht sie für einen Wurf, im Gegensatz zum Speer, völlig ungeeignet, es ist eine reine Nahkampfwaffe. Die im Taijiquan sowie den meisten übrigen chinesischen Kampfkünsten heutzutage gebräuchlichste Hellebarde ist der „Langstielige Säbel“ (Da Dao, s. Abb. 13) [Silb03, S. 187]. Die Bezeichnung kommt daher, dass die Klinge der eines Säbels sehr ähnlich sieht, an der Stelle des Handgriffs befindet sich eine lange Stange. Die beliebteste Variante der Da Dao ist der „Säbel von General Guan“ (Guan Dao, s. Abb. 6) [12ai]. Auf der Rückseite der Klinge befindet sich häufig ein Haken, der dazu dient, eine gegnerische Waffe zu fangen oder zu parieren [Yang99, S. 26–28]. Über dem Haken ist die stumpfe Seite der Klinge oft wellenförmig, was den Einsatz von Entwaffnungstechniken erleichtert [Silb03, S. 190–191].
Der Hellebardenkopf ist deutlich schwerer als eine Säbelklinge, so dass die gesamte Waffe als Übungsgerät drei Kilogramm oder mehr wiegt und die Ausführungen für den wirklichen Schlachteinsatz ein Gewicht von weit über zehn Kilogramm haben konnten [Silb03, S. 190]. Aufgrund dieses hohen Gewichtes war die Hellebarde vor allem für sehr kräftige Krieger geeignet. In einigen chinesischen Kampfkünsten wurde und wird mit dieser Waffe daher auch zur Körperertüchtigung trainiert, um Stärke und Ausdauer aufzubauen [Yang99, S. 27].
Angeblich soll dieser Typus Hellebarde von dem chinesischen General Guan Yu (160-219 n. Chr. [12aj], s. Abb. 6) verwendet worden sein, woher sie ihren Namen hat. Guan Yu ist eine sehr bekannte Person der chinesischen Geschichte und wurde später zu einer gottgleichen Figur stilisiert, wobei er Treue, Mut und Gerechtigkeit verkörperte [12aj]. Aufgrund seiner engen Verbindung zur Guan Dao erlangte diese Waffe ebenfalls eine religiöse Bedeutung, so dass man auch heute noch in vielen chinesischen Klöstern Kopien oder Abbildungen dieser Hellebarde finden kann [12ai].
Kurzwaffen
Die Kurzwaffen haben den Langwaffen gegenüber zwei entscheidende Vorteile: sie sind aufgrund ihrer geringeren Größe einfacher zu tragen und können meist auch in geschlossenen Räumen eingesetzt werden. Die gleiche Eigenschaft sorgt allerdings für einen Nachteil auf dem Schlachtfeld, da sie eine geringere Reichweite haben. Sie sind im unmittelbaren Nahkampf effektiv und eignen sich daher zur persönlichen Selbstverteidigung eher als für einen Angriff [Yang99, S. 49]. Da Kurzwaffen handlich und leicht genug sind, um mit einer Hand eingesetzt zu werden, ermöglicht dies den gemeinsamen Einsatz mit einem Schild oder aber die Verwendung von zwei Kurzwaffen gleichzeitig, was in China recht beliebt war und ist [Yang99, S. 60] (s. Abb. 6). Aus diesem Grund findet man in den heutigen chinesischen Kampfkünsten etliche Formen mit Doppelwaffen. Die Benennung entspricht dabei der Einzelwaffe, mit dem Zusatz „Shuang“ („Doppel-“), z. B. „Shuang Dao“ für Doppelsäbel [Yang99, S. 75] (s. Abb. 13). Wird eine kurze Waffe einzeln eingesetzt, dann kommt der freien Hand eine entscheidende Rolle zu, da sie zusätzlich zu der Waffe zum Ableiten, Blocken, Entwaffnen usw. eingesetzt werden kann und sollte [Zhan09, S. 39].
Hühnersäbelsichel (Ji Dao Lian)
Der Legende nach wurde die Hühnersäbelsichel (s. Abb. 14 [12ak]?) von dem Gründer des Xingyiquan, Ji Longfeng (1588-1662 n. Chr. [12al]), erfunden und wurde dann eine spezielle Waffe dieser inneren Kampfkunst [12ak].
Trotz der irreführenden Bezeichnung „Säbel“ basiert die Ji Dao Lian von der Form her auf dem geraden Schwert (Jian), und besitzt am oberen Ende statt einer Spitze zwei Haken, was eine Reihe spezieller Techniken an der gegnerischen Waffe ermöglicht, wie Einhaken, Fixieren und Entwaffnen [Yang99, S. 83].
Sehr kurze Waffen
Aufgrund ihrer geringen Größe eignen sich sehr kurze Waffen häufig auch dazu, geworfen zu werden. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, diese Waffen am Körper versteckt tragen zu können. Der Nachteil ist, dass die Reichweite im Nahkampf sehr gering ist und das defensive Potential dieser Waffen daher nicht so ausgeprägt ist. Um diesen Nachteil etwas auszugleichen, wurden und werden gerade die sehr kurzen Waffen in den chinesischen Kampfkünsten in aller Regel als Paar eingesetzt [Yang99, S. 49].
Mandarinentenklingen (Yuan Yang Yue)
Die Mandarinentenklingen (s. Abb. 15) sind eine besondere Waffe des Baguazhang [Yang99, S. 55]. Wörtlich übersetzt bedeutet die Silbe „Yue“ in dem Namen eigentlich „Axt“, wird aber meist mit „Klinge“ bzw. im Plural „Klingen“ übersetzt. Der Name trägt im Chinesischen eine Vielzahl an Bedeutungskonnotationen, die für die Waffe relevant sind, z. B. gilt ein Paar Mandarinenten, das sich einmal gefunden hat, als unzertrennlich. Dies deutet an, dass die Mandarinentenklingen immer nur als Doppelwaffe eingesetzt werden, niemals als Einzelwaffe [12am].
Es gibt für diese Waffe eine Vielzahl an weiteren Namen, z. B. Lu Jiao Dao (Hirschgeweihmesser, wortwörtlich eigentlich Hirschgeweihsäbel). Dieser Name ist im Englischen als „Deerhorn Knives“ die gängigste Bezeichnung und bezieht sich auf das Aussehen der Waffe mit seinen Spitzen. Bereits der Begründer des Baguazhang, Dong Haichuan (ca. 1797-1882 n. Chr. [12an]), soll die Yuan Yang Yue verwendet haben, damals noch in einer Version mit drei Spitzen (die heutigen Versionen haben meist vier Spitzen). Die Waffe ist optimiert für die zirkuläre Bewegungscharakteristik dieser Kampfkunst und ihre spezielle Schritttechnik. Sie ist explizit dafür gedacht, sich gegen mehrere Angreifer gleichzeitig zu verteidigen und eignet sich für den Einsatz gegen jeden Waffentyp, auch Langwaffen wie den Speer. Besonders viele Techniken der Yuan Yang Yue sind für den Einsatz gegen ein Schwert gedacht. Die Spitzen der Waffe sind besonders dafür geeignet, sich bei einer gegnerischen Waffe einzuhaken und sie zu fixieren. Eine gängige Kampftaktik ist es, eine der beiden Klingen hierfür einzusetzen, während die andere Klinge den Gegner attackiert [12am].
Fächer (Shan)
Für den Einsatz als Waffe wurden Fächer in der Vergangenheit komplett aus gegeneinander beweglichen harten Scheiben gefertigt, die entweder aus Holz (z. B. Bambus) oder Metall bestanden. Die äußere Kante war sehr scharf, so dass der Fächer im ausgeklappten Zustand zum Schneiden verwenden werden konnte, während er in der eingeklappten Form als Hiebwaffe oder zum Stoßen taugte. Der Fächer war die optimale Version einer versteckten Waffe, da er als Alltagsgegenstand ganz offen getragen werden konnte und damit sofort zur Verteidigung zur Verfügung stand, wenn dies nötig wurde [Yang99, S. 54].
Obwohl der Fächer aufgrund dieser Vorteile in der chinesischen Geschichte bereits sehr lange als Waffe verwendet wird, war er laut der Überlieferung im Taijiquan nicht im ursprünglichen Waffenkanon enthalten, sondern wurde erst später eingeführt. Die Prinzipien der Führung des Fächers orientierten sich dabei an der Verwendung anderer Waffen im Taijiquan, v. a. dem Schwert [Bai05]. Heutzutage sind Formen mit ein oder zwei Fächern im Taijiquan äußerst beliebt. Er eignet sich aufgrund seiner Eigenschaften sehr für Vorführungen, da das Öffnen und Schließen des Fächers bei korrekter Ausführung optisch und akustisch sehr beeindruckend ist, besonders bei Gruppenvorführungen [12ao]. Der Körper des Fächers wird allerdings nicht mehr aus Holz oder Metall gefertigt, sondern aus Stoff (s. Abb. 16). Lediglich die Rippen sind aus Holz oder Kunststoff. Am oberen Ende kann noch ein zusätzliches Tuch befestigt sein, das über die Rippen herausragt.
Der Aufbau moderner Fächer macht deutlich, dass die ursprünglichen Techniken eines Kampffächers mit dieser Version gar nicht mehr durchgeführt werden könnten und eigentlich auch nicht sinnvoll trainiert werden können. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es sich hier um das Übungsgerät im Taijiquan handelt, bei dem der Kampfeinsatz am stärksten in den Hintergrund gerückt ist zugunsten von Aspekten der Ästhetik. Mir sind auch, im Gegensatz zu den anderen Taiji-Waffen, keinerlei Routinen für Partnerübungen mit dem Fächer bekannt.
Fazit
Die Beschäftigung mit den chinesischen traditionellen Waffen und ihre Verbindung zu den Kampfkünsten ist äußerst spannend. Je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto eher entdeckt man Aspekte wie etwa den Umstand, dass der Umgang mit Waffen häufig über das reine Erlernen von Waffentechniken hinausgeht. In vielen Schulen werden spezielle Waffen eher als Übungsgeräte eingesetzt, ähnlich wie der Taiji-Ball [Silb03, S. 193–194] oder das Taiji-Lineal [ZhSa10], um gezielt bestimmte Fähigkeiten zu trainieren, deren Bedeutung weit über die Beherrschung der jeweiligen Waffe hinausgeht.
Eine weitere interessante Beobachtung ist die Präferenz der meisten Kampfkunststile für bestimmte „Lieblingswaffen“, was so weit gehen kann, dass bestehende Waffentypen angepasst werden oder ganz neue Waffen erfunden werden. Die präferierten Waffen entsprechen jeweils der Charakteristik des Stils und eignen sich besonders gut für den Einsatz mit seinen typischen Bewegungseigenheiten. So ist etwa der Säbel eine beliebte Waffe der äußeren Kampfkünste, während das Schwert besonders im Taijiquan verwendet wird. Dieser Aspekt soll im nächsten Artikel näher behandelt werden.
Lebenslauf des Autors Dr. Jan Harloff-Puhr
Lesen Sie hier den 2. Teil der Artikelreihe „Zum Ursprung des Taijiquan in der Kriegskunst“:
„Geschichtliche Entwicklung von Schwert und Säbel“
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