Die Stock-Waffen

Stockwaffen

Der Stock als Waffe im Taijiquan und anderen chinesischen Kampfkünsten

Kalligraphie: "Stock-Waffen"

Nachdem in den bisherigen Teilen der Artikelserie ein Überblick über chinesische Waffen, nicht nur im Taijiquan gegeben wurde und die Klingenwaffen Schwert und Säbel eingehender vorgestellt wurden, widmet sich Jan Harloff-Puhr im vierten Teil dem Stock in seinen verschiedenen Längenausprägungen. Diese reichen von etwa 14 Zentimetern beim Taschenstock bis hin zu langen Stangen von mehreren Metern Länge. Die unterschiedlichen Modelle haben jeweils spezielle Anwendungsmöglichkeiten, die auch für die reale Selbstverteidigung interessant sind, da Stöcke diejenigen Waffen sind, die im Ernstfall am ehesten zur Hand sind.

Kalligraphie "Taiji-Stock"Gliederung

Einführung Stock-Waffen
Der gerade Stock als sehr kurze Waffe
Taschenstock
Neun-Cun-Keule
Der gerade Stock als Kurzwaffe
Keule
Wanderstab
Der gerade Stock als Langwaffe
Affenstock
Langstock
Der gerade Stock als sehr lange Waffe
Lange Stange
Der Spazierstock
Trainingsmethoden mit dem Stock
Solotraining
Partnertraining
Training mit Hilfsmitteln
Fazit
Lebenslauf des Autors
Literatur und DVDs
Surftipps zu Waffen im Taijiquan

Einführung Stock-Waffen

Nachdem in den bisherigen Teilen der Artikelserie ein Überblick über chinesische Waffen gegeben wurde und die Klingenwaffen Schwert und Säbel eingehender vorgestellt wurden, widmet sich der vorliegende vierte Teil dem Stock in seinen verschiedenen Längenausprägungen.
Der Stock ist vermutlich, neben dem schlicht vom Boden aufgehobenen Stein, die älteste Waffe der Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig ist er eine der wenigen Nahkampfwaffen, die auch in heutiger Zeit noch eine praktische Anwendung finden. Wenn man sich andere Beispiele aus dem klassischen Waffenkanon des Taijiquan ansieht, etwa Schwert, Säbel, Hellebarde und Speer, dann fällt auf, dass es sich hierbei zwar um sehr effektive Waffen handelt, die über Jahrhunderte hinweg das militärische Geschehen in China dominierten, dass sie aber allesamt im realistischen Kampf heutzutage nicht mehr eingesetzt werden. Es gibt viele gute Gründe dafür, warum es sich trotzdem lohnt, den Umgang mit diesen Waffen zu erlernen, aber der Wunsch nach einer effektiven Selbstverteidigung zählt nicht dazu.
Mit dem Stock hingegen verhält es sich völlig anders. Einerseits sind Stockwaffen auch heutzutage noch im Gebrauch, einige Beispiele dafür werden weiter unten gegeben. Andererseits lassen sich die Konzepte der Stockwaffen auf viele Alltagsgegenstände übertragen, die man im Falle einer Selbstverteidigungssituation evtl. zur Hand haben könnte, sei es ein Regenschirm oder ein Billardqueue. Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle ein Beispiel aus der Geschichte der englischen Kampfkunst erlaubt. In seinem berühmten Buch „Paradoxes of Defence“ aus dem Jahr 1599 berichtet der britische Kampfkünstler George Silver von einem Vorfall, in dem der italienische Fechtmeister Signior Rocco in London einen unbewaffneten Bootsmann mit seinem Rapier angriff. Der Bootsmann verwandte kurzerhand ein Ruder zu seiner Verteidigung, das er im Stile eines Langstocks zum Einsatz brachte, und verprügelte damit den Angreifer. Den Umstand, dass der Italiener den Kampf verlor, verstand Silver nicht einmal als einen Hinweis auf eine besondere Inkompetenz seitens des Fechtmeisters. Eine zweihändig geführte Langwaffe, und sei es nur ein als Waffe improvisiertes Ruder, ist in seinen Augen dem einhändig geführten Rapier so offensichtlich überlegen, dass es keiner großen Kunstfertigkeit bedurfte, den Angreifer zu überwinden.
Aber nun zurück zur Verwendung von Stockwaffen im Taijiquan. Wie im ersten Artikel wird auch hier die Einteilung der Waffen in Kategorien nach Yang Jwing-Ming verwendet. Zunächst werden die verschiedenen Varianten des geraden Stocks vorgestellt, unterteilt in sehr kurze, kurze, lange und sehr lange Waffen. Zum Abschluss wird noch gesondert der Spazierstock behandelt, bei dem es sich zwar um eine Kurzwaffe handelt, der sich aber aufgrund seiner Form ein wenig von den geraden Stöcken unterscheidet.
Die sinnvollerweise zu verwendende Länge eines Stocks richtet sich in den meisten Fällen nach der Körpergröße der Person, die den Stock führt. Im Text wird versucht, solche relativen Angaben zu nennen. Wenn konkrete Maße genannt sind, dann wird von einer Person mit einer Größe von etwa 175 Zentimetern ausgegangen.

Der gerade Stock als sehr kurze Waffe

Taschenstock

Die kürzeste Variante des geraden Stocks, die sinnvoll im Kampf eingesetzt werden kann, ist der Taschenstock. Diese Waffe wird im Englischen manchmal als „Chinese Stick“ bezeichnet, häufiger aber als „Palm Stick“. Sie ist in einigen Stilrichtungen des Jiu Jitsu recht beliebt, wo sie unter dem japanischen Namen Yawara bekannt ist. Umfangreiche Verwendung findet sie außerdem im philippinischen Arnis bzw. Escrima, wo sie Dulo Dulo genannt wird.

Der Taschenstock hat eine Länge von etwa 14 Zentimetern, so dass die meist abgerundeten Enden ein Stück nach oben und unten herausschauen, wenn man ihn in der geschlossenen Faust hält. Üblicherweise wird er auf zwei Arten eingesetzt: Zum einen können die herausschauenden Enden für Schläge und Blocks verwendet werden, zum anderen kann die Wirkung von Hebeltechniken deutlich verbessert werden, wenn mit den Enden Druck auf empfindliche Stellen ausgeübt wird. Daher wird die Waffe auch Nervenstock genannt.

Im Taijiquan findet diese überaus praktische Waffe leider keine Verwendung. Für die Selbstverteidigung ist sie im Prinzip ideal geeignet, da sie leicht zu transportieren ist und, zumindest nach deutschem Recht, ganz legal getragen und eingesetzt werden darf. Zudem können die Prinzipien dieser Waffe auch mit vielen Alltagsgegenständen, z. B. einem Stift oder einer kleinen Taschenlampe, angewandt werden.

Neun-Cun-Keule

Die kürzeste Variante des geraden Stocks, die im Taijiquan eingesetzt wird, ist der Jiu Cun Bang („Neun-Cun-Keule“). Cun ist eine chinesische Längeneinheit, die mit ca. 3,3 Zentimetern etwa dem deutschen Zoll entspricht. Diese Waffe, die damit etwa eine Länge von 30 Zentimetern hat, wird im Ho-Gar-Stil Taijiquan verwendet, einer südchinesischen Stilrichtung. Dort gibt es für den Jiu Cun Bang eine Form, die allerdings in erster Linie als meditative Übung gedacht ist.

Der gerade Stock als Kurzwaffe

Keule

Die kleinere Variante des Stocks in der Kategorie Kurzwaffe ist die Keule bzw. der Knüppel, im Chinesischen Bang genannt. Von der Länge her entspricht die Keule etwa einem Drittel des Langstocks, das sind ungefähr 60 bis 65 Zentimeter. Als Material eignen sich Rattan oder Hartholz. In früheren Zeiten wurden durchaus Bang aus Vollmetall verwendet, die dadurch ziemlich schwer waren. Es gab auch Varianten, die zusätzlich mit einem Schlagkopf versehen waren, wodurch sie in der Verwendung und Wirkung dem Streitkolben und vergleichbaren stumpfen Hiebwaffen sehr ähnelten, die im mittelalterlichen Europa verwendet wurden (s. Abb. 1).

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Abb. 1: Polnischer Ritter aus dem 16. Jahrhundert. Der Streitkolben in seiner rechten Hand ähnelt sehr stark dem chinesischen Bang in der Variante mit Schlagkopf. Quelle: Wikimedia Commons

Während die Keule nicht zum klassischen Waffenkanon des Taijiquan zählt, findet sie durchaus Verwendung. So gibt es, auf jeden Fall im Chen- und im Yang-Stil, Waffenformen für die Doppelkeule (Shuang Bang). Der Umgang mit dem Shuang Bang wird meist eher als lohnend für Fortgeschrittene angesehen, die bereits Erfahrung mit den klassischen Taiji-Waffen gesammelt haben. Im philippinischen Arnis bzw. Escrima wird diese Waffe allerdings ganz anders eingeschätzt, hier ist sie das „Arbeitspferd“ sowie die Grundlage für die gesamte Waffenausbildung, und dafür gibt es gute Gründe:

1. Während das Messer aufgrund seines Aufbaus darauf ausgelegt ist, potentiell tödliche Schnitt- und Stichverletzungen zuzufügen, ist der Knüppel seiner Natur nach zunächst eine defensive Waffe, die es ermöglicht, einen Angriff abzuwehren, ohne den Angreifer dabei schwer zu verletzen. Das macht die Keule zu einer idealen Waffe für die moderne Selbstverteidigung. Der Knüppel ist, wenn man einmal vom militärischen Bereich absieht, wahrscheinlich die traditionelle Waffe, die in der heutigen Welt mit weitem Abstand die größte Bedeutung für den realen Kampfeinsatz hat.

2. Weltweit gibt es kaum eine Polizeieinheit oder Sicherheitskräfte, die nicht mit einem Schlagstock bewaffnet wären. Als beliebteste Form hat sich hier der MES (Mehrzweck-Einsatz-Stock) durchgesetzt, bei dem am Hauptstock noch eine kurze Stange in einem Winkel von 90 Grad angebracht ist, und der damit der chinesischen Guai („Krücke“) bzw. dem japanischen Tonfa entspricht. Während dieser Aufbau die Einsatzmöglichkeiten der Waffe noch einmal deutlich erweitert, so entsprechen doch die simplen Grundtechniken genau jenen der Keule.

3. Abgesehen vom oben erwähnten Taschenstock entspricht die Keule noch am ehesten der Größenordnung von Gegenständen, die man in einer Selbstverteidigungssituation ggf. zur Hand haben könnte, um sie mit erlernten Techniken und Prinzipien zum Einsatz zu bringen, etwa eine große Taschenlampe oder auch ein aufgerolltes Zeitschriftenheft.

4. Aufgrund seiner überschaubaren Länge ist der Bang sehr gut zu transportieren. Er stellt auch relativ geringe Ansprüche an die Deckenhöhe der für das Training erforderlichen Räumlichkeiten und erlaubt, verglichen mit längeren Waffen, einer größeren Anzahl an Personen, in einem kleinen Raum zu trainieren.

5. Gerade bei Anfängern ist das Risiko, sich selbst oder einen Trainingspartner zu verletzen, relativ gering.

6. Der Knüppel ist eine recht einfach zu erlernende Waffe. Bei Klingenwaffen ist im realistischen Training die Ausrichtung der Schneide extrem wichtig. Bereits kleine Missverständnisse und unsaubere Ausführungen können dazu führen, dass im Prinzip komplett sinnlose Techniken geübt werden, die beim realen Einsatz der Waffe gar nicht funktionieren könnten. Die Keule ist da sehr viel „nachsichtiger“. Einen Hieb hinzukriegen, der im Prinzip eine sinnvolle, wenn auch nicht optimale, Wirkung entfaltet, ist denkbar simpel.

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Abb. 2: Marc Mazalairas (links) und Jan Harloff-Puhr bei einer Partnerroutine mit der Einzelkeule (Dan Bang). Foto: Archiv M. Mazalairas

Aus den genannten Gründen ist die als Einzelwaffe geführte Keule, der Dan Bang (s. Abb. 2), auch für das Waffentraining im Taijiquan ein exzellenter Einstieg für Anfänger. Wie im letzten Artikel dieser Reihe erläutert wurde, wird im Taiji der Umgang mit Waffen traditionell gern mit dem Schwert begonnen. Solange es nur um Solotraining ohne Partnerübungen geht, ist dieser Ansatz sehr sinnvoll. Spätestens wenn mit dem Partnertraining begonnen wird, ist es aber empfehlenswert, dies nicht mit dem in seiner Handhabung sehr anspruchsvollen und schwierigen Jian zu tun, sondern zunächst die Grundlagen mit dem einfach zu erlernenden Bang oder dem weiter unten erläuterten Spazierstock zu erarbeiten.

Für fortgeschrittene SpielerInnen, die im Umgang mit Einzelwaffen geübt sind, ist dann die Doppelkeule, der Shuang Bang, ein idealer Startpunkt für das Erlernen der grundlegenden Konzepte von Doppelwaffen.

Wanderstab

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Abb. 3: Shennong, ein Kulturheld der chinesischen Mythologie, der u. a. als Gründungsvater der chinesischen Kräuterkunde gilt. In der Abbildung ist er als daoistischer Mönch dargestellt, der seinen Wanderstab dazu verwendet, einen Korb mit Kräutern zu tragen. Quelle: Traditional Chinese Medical Clinic

Die lange Version des geraden Stocks in der Kategorie Kurzwaffe ist der Wanderstab, manchmal auch Kurzstock genannt. Dieser zweite Begriff ist allerdings etwas irreführend, da er im Prinzip auf alle kurzen Stockvarianten zutrifft. Im Chinesischen wird er Shi San Ba Gun („Dreizehn-Faustbreiten-Stock“) genannt, da er ungefähr so lang ist wie dreizehn Fäuste, was etwa 120 bis 130 Zentimetern entspricht. Wie der Bang besteht der Shi San Ba Gun normalerweise aus Rattan oder Hartholz und kam im alten China auch in Varianten aus Vollmetall zum Einsatz.

Ursprünglich wurde diese Stockvariante von reisenden daoistischen Mönchen tatsächlich als Wanderstab verwendet, der auch zum Tragen von Lasten eingesetzt werden konnte (s. Abb. 3).

Genau wie sich das Schwert bei den daoistischen Mönchen von einem rituellen Gegenstand zu einer praktischen Waffe entwickelte, wurde auch aus dem als Gehhilfe gedachten Stock eine überaus vielseitig einsetzbare Waffe, die zunächst besonders für das Verjagen wilder Tiere gedacht war. Von den Einsatzmöglichkeiten her stellt der Shi San Ba Gun im Grunde bereits einen Übergang von den Kurzwaffen zu den Langwaffen dar, da er sowohl mit einer Hand als auch mit zwei Händen geführt werden kann.

Der gerade Stock als Langwaffe

In der Rubrik der Langwaffen nimmt der Stock eine ganz besondere Stellung ein. Nicht nur in der chinesischen Kampfkunst sondern auch in der europäischen Fechttradition des Mittelalters und der Renaissance gilt der Stock als die Basis aller Stangenwaffen (s. Abb. 4).

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Abb. 4: Die Abbildung aus dem Fechtbuch „Gründtliche Beschreibung der Kunst des Fechtens, in allerley gebreuchlichen Wehren mit Figuren fürgestellet“ von Joachim Meyer aus dem Jahr 1570 zeigt eine historische Trainingsszene mit der halben Stange (Vordergrund), der Hellebarde (Mitte) und der langen Stange (Hintergrund). Quelle: Freifechter, Gesellschaft für historische Fechtkunst

In beiden Systemen wurde bzw. wird das Training der Stangenwaffen in aller Regel mit dem Stock begonnen. Die damit erlernten Grundlagen können auf die anderen Stangenwaffen übertragen werden.

Affenstock

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Abb. 5: Dietmar Jarosch zeigt ein Bild aus einer Soloform für den Affenstock (Hou Gun). Foto: Archiv D. Jarosch

Eine kurze Stockvariante in der Kategorie Langwaffe ist der Affenstock (chinesisch: Hou Gun). Während dieser Stock v. a. im Affen-Kung-Fu (Hou Quan) eingesetzt wird, findet er durchaus auch im Taijiquan Verwendung (s. Abb. 5).

Im Taiji hat der Hou Gun eine Länge, die zum Kinn des Spielers bzw. der Spielerin gehen soll, etwa 150 bis 160 Zentimeter. Er ist mit ca. 3,5 Zentimetern Durchmesser dicker als andere Stockvarianten und ziemlich schwer, meist wird er aus Hartholz gefertigt. Der Affenstock wird mit der Figur des Sun Wukong in Verbindung gebracht, dem König der Affen aus dem klassischen chinesischen Roman „Die Reise nach Westen“, der in der Ming-Dynastie (1368-1644 n. Chr.) geschrieben wurde (s. Abb. 6).

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Abb. 6: Der Affenkönig Sun Wukong mit seinem magischen Kampfstab, Illustration in einer Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert des chinesischen Romans „Die Reise nach Westen“. Quelle: Wikimedia Commons

Obwohl es in dem Roman um die titelgebende Reise des Mönchs Xuanzang geht, ist die Figur des Affenkönigs, der einer seiner Begleiter ist, die heimliche Hauptfigur der Geschichte. Vor allem aufgrund seines frechen Verhaltens und seines merkwürdigen Humors ist Sun Wukong bis heute eine sehr populäre Figur in China.

Im Laufe der Geschichte erhält Sun Wukong einen magischen Kampfstab, der z. B. seine Größe beliebig ändern kann. In Abbildungen wird der Affenkönig meist mit seinem Stab in der Hand dargestellt und die Figur ist für den meisterlichen Umgang mit dieser Waffe berühmt. Aufgrund der Nähe zu den Eigenschaften von Sun Wukong wirken Formen mit dem Affenstock im Taijiquan meist etwas verspielt und akrobatisch, so gibt es etwa Bilder, in denen der Stock in die Luft geworfen und wieder aufgefangen wird.

Langstock

Der Langstock ist weltweit in allen Kampfsystemen die am stärksten verbreitete Stockwaffe. In den europäischen historischen Fechttraditionen sprach man in Deutschland von der halben Stange und in England vom Quarterstaff. Auf Hawaii wird mit dem Ko’oko’o Loa gekämpft, auf den Philippinen mit dem Sibat und in Japan mit dem Bo, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. In der chinesischen Kampfkunst wird der Langstock Gun genannt. In früheren Zeiten gab es Unterschiede in der präferierten Länge des Gun zwischen Nord- und Südchina, so wie es auch unterschiedliche Vorlieben für den bevorzugten Typus des Schwerts, Jian, gegeben hat. Im Norden wurde ein langer Gun verwendet, der bei über den Kopf gestrecktem Arm bis zum Handgelenk reichte (ca. 200 bis 210 Zentimeter). Im Süden dagegen kam ein kürzerer Gun zum Einsatz, der bis zu den Augenbrauen ging (etwa 160 bis 170 Zentimeter). Der heutzutage in den meisten Stilrichtungen des Taijiquan bevorzugte Gun überragt knapp den oder die SpielerIn, was etwa einer Länge von 180 bis 190 Zentimetern entspricht (s. Abb. 7).

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Abb. 7: Dietmar Jarosch zeigt mit einem Schüler eine Blocktechnik mit dem Langstock (Gun). Foto: Archiv D. Jarosch

Als Material wird meist Hartholz oder Rattan verwendet, früher wurden aber auch Langstöcke aus Metall eingesetzt.

Der Gun hat im Taijiquan als Grundlage für die Langwaffen eine besondere Stellung. So war beispielsweise Yang Luchan (1799-1872 n. Chr.), der Gründer des Yang-Stils, bekannt für seinen meisterlichen Umgang mit dem Langstock und dem Speer. Im Chen-Stil, den Yang Luchan ursprünglich erlernte, sind sich die Prinzipien für den Umgang mit Stock und Speer sehr ähnlich. Heutzutage sind die Formen für Stock und Speer in diesem Stil sogar identisch. Als effektive Stangenwaffen spielten sie in der Anfangszeit des Taijiquan eine große Rolle und die „klebenden Speere“ (Zhan Qiang) sind die einzigen Partnerübungen für Waffen, die sich ziemlich sicher bis zum Gründer des Chen-Stils, Chen Wangting (1597-1664 n. Chr.), zurückverfolgen lassen.

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Abb. 8: Die Position „den Ärmel anheben“ für den Langstock (Gun), aus dem Handbuch „Abhandlung über die originale Shaolin-Stockkampf-Methode“, aus dem Jahr 1621 von Cheng Zongyou. Quelle: Wikimedia Commons

Berühmter für die Verwendung des Gun als das Taijiquan ist allerdings das Shaolinquan, die Kampfkunst der Shaolinmönche (s. Abb. 8).

Sowohl die Legende als auch die Geschichte des Shaolinklosters sind eng mit dem Stockfechten verbunden. Tatsächlich war der Stock bereits ein Symbol für den Buddhismus, bevor er als Waffe verwendet wurde. Es handelte sich bei ihm um eine der „18 Habseligkeiten“, die ein buddhistischer Mönch zur Erfüllung seiner Pflichten bei sich tragen sollte. Dieser Stock unterschied sich allerdings noch deutlich von einem Kampfstock, da er an einem Ende mit zwei bis vier Ringen aus Metall dekoriert war, an denen sich weitere sechs bis zwölf Ringe aus Metall befanden. Dieser Ringstab, der aufgrund der Geräusche, die die Ringe verursachten, Shengzhang („klingender Stab“) genannt wurde, diente wandernden buddhistischen Mönchen als Wanderstab. Das Klingeln der Ringe sollte auf der Reise Schlangen, Skorpione und ähnliche gefährliche Tiere verscheuchen sowie mögliche Spender auf das Nahen eines Mönchs hinweisen, der um Almosen bittet. Mit der Zeit entwickelte sich der Ringstab zu einem Kampfstab, der zur Selbstverteidigung eingesetzt werden konnte, ähnlich, wie dies weiter oben für den kürzeren Wanderstab der daoistischen Mönche erläutert wurde.

Neben seiner Bedeutung als religiöses Symbol hat der Stab in China auch eine lange Tradition als magische Waffe bzw. als Gegenstand mit magischen Eigenschaften. In diesem Zusammenhang sei nur an den oben erwähnten magischen Kampfstab des Affenkönigs Sun Wukong erinnert.

Insgesamt gibt es auffällige Parallelen zwischen dem Langstock, Gun, und dem Schwert, Jian. Wie in dem vorletzten Artikel dieser Reihe erläutert wurde, entwickelte sich das Jian in den Händen der daoistischen Mönche von einem rituellen Objekt zu einer praktischen Waffe. Gleichzeitig wurden dem Schwert häufig magische Eigenschaften zugesprochen. Und ebenso wie beim Schwert finden sich diese Parallelen auch in anderen Kulturen wieder, z. B. in Europa. Der Stab war nicht nur als Zepter ein Zeichen weltlicher Macht, sondern als Hirtenstab auch ein Symbol der christlichen Kirche, besonders prominent in der Form der Ferula (Kreuzstab) des Papstes (s. Abb. 9).

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Abb. 9: Papst Pius II. und Kaiser Friedrich III. in einem Bild aus der Schedel’schen Weltchronik, Nürnberg, 1493. Der Stab symbolisiert hier sowohl die kirchliche Macht als Ferula (Kreuzstab) in der Hand von Papst Pius II. als auch die weltliche Macht als Zepter in der Hand von Kaiser Friedrich III. Quelle: Wikimedia Commons

Auch der Symbolcharakter des Stabs als magischer Gegenstand ist in Europa besonders ausgeprägt, man denke nur an den sprichwörtlichen Zauberstab. Ähnlich wie beim Schwert findet sich ein naheliegender Erklärungsansatz für den weltweit ausgeprägten vielschichtigen Symbolgehalt des Stocks in seiner phallischen Form.

In jedem Falle entwickelten sich das Schwert und der Langstock in China zu Symbolen, die gerne als gegensätzliches Paar verwendet werden. Auf der einen Seite steht das Jian als Symbol der Mönche vom Wudang-Gebirge. Dies gilt sowohl für die dort ausgeübte Religion, den Daoismus (Taoismus), als auch für die Gesamtheit der „inneren Kampfkünste“, die gerne auf die Person des Zhang Sanfeng als Gründungsvater zurückgeführt werden. Auf der anderen Seite steht der Gun, der die Mönche des Shaolinklosters symbolisiert. Hier ist wiederum sowohl die Religion, also der Buddhismus, gemeint, als auch umfassend die „äußeren Kampfkünste“, die sich häufig auf Bodhidharma als Ursprung beziehen. Dass beide Gründungsmythen mit der historischen Realität höchstwahrscheinlich nichts zu tun haben und sich weder Zhang Sanfeng noch Bodhidarma mit der Kampfkunst befasst hat, sei hier nur am Rande erwähnt.

Der gerade Stock als sehr lange Waffe

Da sie aufgrund ihres Ausmaßes recht unhandlich sind, waren die sehr langen Waffen in früheren Zeiten eher im militärischen als im zivilen Bereich von Relevanz. Aber während die Stangenwaffen ihren militärischen Nutzen völlig eingebüßt haben, hat sich der Umgang mit dem schlichten überlangen Stock in einigen zivilen chinesischen Kampfkünsten bis heute erhalten.

Lange Stange

Als Grundlage für den Umgang mit den sehr langen Stangenwaffen, die für das Geschehen auf dem Schlachtfeld außerordentlich bedeutsam waren, spielte die lange Stange, manchmal auch Pfahl genannt, sowohl in der chinesischen als auch der europäischen militärischen Ausbildung eine große Rolle (s. Abb. 4). Im Chinesischen wird diese Waffe Gan genannt, die Länge liegt über 220 Zentimeter und konnte in früheren Zeiten sogar bis zu acht Metern gehen. Solche extrem langen Stangen wurden neben dem Einsatz als Waffe vor allem im Süden Chinas zum Staken von Booten oder Flößen benutzt. Auch in Färbereien wurden sie als Querstangen zum Trocknen gefärbter Stoffe verwendet. In den heutigen chinesischen Kampfkünsten wird in der Regel ein Gan mit einer Länge von „nur“ noch 220 bis 380 Zentimetern benutzt. Er besteht normalerweise aus Hartholz oder Rattan. In früheren Zeiten wurde sogar diese extrem lange Waffe in Varianten aus Vollmetall eingesetzt.

Im Chen-Stil Taijiquan wird bevorzugt ein drei Meter langer Gan verwendet. Allerdings wird der Pfahl hier eher als ein Übungsgerät verstanden, das unter anderem der Ausbildung der Hüftkraft dient. Er wird normalerweise nicht als Teil des Waffenkanons angesehen. Anders sieht es im späteren Wu-Stil Taijiquan aus. Hier wird bei den Stöcken in der Regel auf den Langstock, Gun, komplett verzichtet. Stattdessen wird eine kurze Variante des Gan mit einer Länge von etwa 220 Zentimetern als Grundlage für alle Stangenwaffen trainiert. In dieser Stilrichtung wurden auch Partnerroutinen für die „klebende Stange“ (Zhan Gan) überliefert. Im südchinesischen Ho-Gar-Stil Taijiquan wird der Gan in verschiedenen Längen ebenfalls explizit als Waffe trainiert. Hier existieren sogar mehrere Soloformen für die lange Stange. Damit ist der Ho-Gar-Stil eine Variante des Taijiquan, in der Stockwaffen in allen nur erdenklichen Längen, von der winzig kleinen Jiu Cun Bang („Neun-Cun-Keule“) bis hin zum überlangen Gan, zum Einsatz kommen.

Der Spazierstock

Der Spazierstock (chinesisch: Guai Gun), auch Handstock oder Gehstock genannt, fällt hier ein wenig aus dem Rahmen, daher wird er am Schluss der Vorstellung der Waffen gesondert behandelt. Von der Länge her handelt es sich um eine Kurzwaffe. Mehr noch als bei den anderen Stockwaffen gilt, dass seine Länge individuell zu dem oder der SpielerIn passen muss, also angenehm als Spazierstock zu verwenden sein sollte (ca. 90 bis 100 Zentimeter). Seine Form weicht von einem schlichten geraden Stock ab, da er am oberen Ende einen Handgriff besitzt. Dieser Handgriff kann z. B. die Form einer Kugel besitzen, erweiterte Einsatzmöglichkeiten ergeben sich aber mit einem Rundhakengriff (s. Abb. 10).

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Abb. 10: Form und Benennung der Teile des Guai Gun (Spazierstock). Das abgebildete Exemplar hat eine Länge von 100 Zentimetern. Foto: Archiv J. Harloff-Puhr

Der Spazierstock hat naturgemäß viele Ähnlichkeiten mit dem Wanderstab, da es sich in beiden Fällen ursprünglich um Gehhilfen handelt. Der Spazierstock ist kürzer und schlanker und wurde, zumindest in Europa, vielfach eher in einem städtischen Umfeld als modisches Accessoire getragen.

Der Guai Gun ist eine relativ junge Ergänzung zum Waffenrepertoire des Taijiquan. Interessanterweise ist es wahrscheinlich, dass es einen gewissen europäischen Einfluss bei der Einführung des Konzepts von der Verwendung des Spazierstocks als Waffe in Asien gab. In Europa hat der Einsatz des Gehstocks zur Verteidigung eine lange Geschichte. Ähnlich wie beim Wanderstab war ein früher Zweck die Abwehr von Tieren, besonders von wilden Hunden. Das englische Wort für Spazierstock, „cane“, ist abgeleitet vom Lateinischen „canis“: „für den Hund“. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Gehstock ein üblicher Begleiter für einen Gentleman oder Kavalier. Er diente dabei nicht nur als Gehhilfe und modische Ergänzung der Kleidung, er konnte auch zur Selbstverteidigung verwendet werden, wenn dies Not tat. Daher entstanden eine Vielzahl verschiedener Schulen des Kampfs mit dem Spazierstock, z. B. in Italien, Spanien und Deutschland. Die Techniken des Stockkampfs wurden meist abgeleitet von älteren europäischen Systemen des Kampfs mit dem Schwert und dem Säbel.

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Abb. 11: Methode des Franzosen Pierre Vigny für das Fechten mit dem Spazierstock, wie sie in der Kampfkunst Bartitsu des Briten E. W. Barton-Wright um 1900 in London gelehrt wurde. Quelle: The Bartitsu Society

Die ausgefeilteste Variante des europäischen Stockkampfs bildete sich in Frankreich heraus, wo der „canne de combat“ auch heute noch als Wettkampfsportart betrieben wird. Einer der bekanntesten französischen Meister, Pierre Vigny (geboren 1866 oder 1869), lehrte Anfang des 20. Jahrhunderts seine Methode des Kampfs mit dem Gehstock im Rahmen der eklektizistischen Kampfkunst „Bartitsu“ des Briten Edward William Barton-Wright (1860-1951, s. Abb. 11).

Die Beliebtheit des Spazierstocks als Waffe für den Mann von Stand während der Viktorianischen Ära (1837-1901 n. Chr.) fiel zeitlich zusammen mit der größten Ausdehnung und Einflussnahme der europäischen Staaten im Ausland im Zuge des Kolonialismus. Einige der europäischen Offiziere und Unternehmer brachten ihre Spazierstöcke und die Methoden, wie sie als Waffe eingesetzt werden, mit nach Asien. So hat etwa H. G. Lang, ein britischer Offizier der indischen Polizei, in den 1920er Jahren den Gehstock als Waffe in seiner Polizeieinheit eingeführt. Die Methoden zu seiner Verwendung, die er vermittelte, basierten auf dem System von Pierre Vigny, wie es in der Londoner Bartitsu-Schule gelehrt wurde.

Zur gleichen Zeit, also ebenfalls in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, hat angeblich in China ein hochrangiger Polizeioffizier die Verwendung des Handstocks in das Taijiquan eingeführt. Gemeinsam mit Dozenten des Zentralen Guoshu Instituts in Nanjing erarbeitete er u. a. eine Solo- und eine Partnerform für den Guai Gun, die im Yang-Stil überliefert werden. Dabei flossen Techniken und Prinzipien für das Schwert, den Säbel und den Langstock in die Führung des Spazierstocks ein.

Da der Handstock im Taijiquan eine recht neue Waffe ist und nicht zum klassischen Kanon gehört, kommt er in vielen Schulen gar nicht zum Einsatz. Nichtsdestotrotz gibt es einige gute Gründe, sich intensiver mit dieser eleganten und effektiven Waffe zu beschäftigen:

1. Die meisten Spazierstöcke sind vom Gewicht her relativ leicht. Das macht sie zu einem idealen Übungsgerät für Anfänger sowie ältere und schwächere Menschen. Fortgeschrittenen SpielerInnen ermöglicht das geringe Gewicht eine dynamische Ausführung der Techniken.

2. Von seinem Ausmaß her ist der Guai Gun kurz genug, um mit einer Hand geführt zu werden, aber auch lang genug, um Techniken mit beiden Händen auszuführen. Das Training mit ihm stellt daher die ideale Grundlage dar, von der aus man sich den Umgang mit dem Schwert, dem Säbel, sowie allen Stockvarianten erarbeiten kann.

3. Genau wie bei der Keule sind die einhändigen Grundtechniken des Gehstocks einfach und schnell zu erlernen, was ihn wiederum zu einer idealen Einsteigerwaffe macht. Gleichzeitig sind durch die Möglichkeit der zweihändigen Führung und die endlosen Einsatzmöglichkeiten des Rundhakengriffs und des Horns auch sehr komplexe und fortgeschrittene Anwendungen möglich, durch die der Guai Gun auch für erfahrene SpielerInnen niemals langweilig wird.

4. Der Spazierstock stellt eine der ganz wenigen Waffen dar, die in praktisch allen Ländern der Welt ganz legal mitgeführt werden dürfen. Das liegt natürlich daran, dass es sich primär gar nicht um eine Waffe, sondern um eine Gehhilfe handelt.

Gerade der letzte Punkt hat einige KampfkünstlerInnen zu der Überzeugung gebracht, dass der Handstock so ziemlich die einzige Waffe darstellt, die ein Zivilist heutzutage sinnvollerweise erlernen sollte. Im Sinne einer modernen Selbstverteidigung dienen alle anderen Waffen lediglich dazu, Prinzipien zu erlernen, die auf improvisierte Gegenstände übertragen werden können, oder aber das Gefahrenpotential eines Angreifers mit einer illegalen Waffe einschätzen zu können.

Trainingsmethoden mit dem Stock

Im letzten Artikel dieser Reihe wurden Trainingsmethoden mit dem Schwert und dem Säbel behandelt. Alle dort erläuterten Prinzipien gelten analog auch für das Training mit den Stockwaffen. So sollte auch beim Umgang mit einem Stock Wert auf eine gute Erwärmung und Dehnung gelegt werden, besonders bezüglich der Handgelenke. Beim eigentlichen Waffentraining kann wiederum unterschieden werden zwischen den Varianten des Solotrainings, des Partnertrainings und des Trainings mit Hilfsmitteln.

Solotraining

Wie bei Schwert und Säbel sollte auch das Solotraining mit Stöcken mit dem Üben von Grundbewegungen und -techniken beginnen, die zuerst im Stand und später mit Schritten ausgeführt werden. Bei den kurzen, einhändig zu führenden, Stockvarianten sollten diese Bewegungen auch mit der schwachen Hand geübt werden. Bei den langen, zweihändig geführten, Stöcken ergibt sich das Problem einer Einseitigkeit von vornherein nicht.

Gerade die Stockwaffen bieten sich für die Trainingsform des Chansigong an, also die „Seidenübungen“ (engl.: „Reeling Silk“). Der Name leitet sich ab von der Methode des Abhaspelns eines Seidenfadens vom Kokon der Seidenraupe. Um den Faden erfolgreich herausziehen zu können, muss die Bewegung gleichmäßig und sanft durchgeführt werden. Ist die Bewegung zu schnell oder ruckartig, dann reißt der Faden, ist sie zu langsam oder stockend, dann verklebt er. Mit dieser Qualität sollen kontinuierliche, zyklische Bewegungen durchgeführt werden. Diese Übungsform ist vor allem für das freihändige Training bekannt und wird in einigen Stilrichtungen des Taijiquan sehr intensiv praktiziert.

Aber auch beim Waffentraining ist das Chansigong sehr sinnvoll, um grundsätzliche Bewegungsmuster mit der Waffe einzustudieren. Durch ihr Material, das Holz, liegen Stöcke bei den Seidenübungen sehr angenehm in der Hand. Für AnfängerInnen besonders geeignet ist hierbei der Wanderstab. Auf der einen Seite ist er lang genug, dass er mit zwei Händen geführt wird. Dies ist günstig für die Präzision und Kontrolle der Waffe beim Chansigong. Auf der anderen Seite ist der Wanderstab für einen zweihändig geführten Stock recht kurz. Hierdurch ist er nicht übermäßig schwer und die aktive Spitze bewegt sich nicht allzu weit vom eigenen Körperschwerpunkt entfernt. Dies erleichtert es, die Führung der Waffe aus dem Dantian heraus und das Projizieren des Qi bis in die Spitze hinein wahrzunehmen, ohne bei den Seidenübungen zu schnell zu ermüden.

Ein weiteres Konzept, das beim Solotraining mit Stöcken geübt werden kann, ist der Einsatz von Fajin. Der Begriff bedeutet etwa „innere Energie abgeben“. Es handelt sich um eine Methode, bei der Energie auf explosive Art und Weise auf einen Gegner übertragen wird. Der Einsatz von Fajin ist typisch für die inneren Kampfkünste, v. a. für das Chen-Stil Taijiquan. Entscheidend ist dabei, dass die Anwendung von Fajin nicht mit starker Muskelanspannung einhergeht, es gleicht eher einem stoßartigen Loslassen und Absenken des eigenen Körperschwerpunkts. In aller Regel wird diese Energetik besonders im freihändigen Training geübt. Nichtsdestotrotz stellt sie auch in der Waffenpraxis ein typisches Charakteristikum des Taijiquan dar, das trainiert werden sollte. Von ihrem Wesen her bieten sich die Stockwaffen in den verschiedenen Längenausprägungen hierfür sehr schön an.

Wenn die grundsätzlichen Bewegungsmuster sicher ausgeführt werden können, bietet sich das Erlernen einer Soloform für die jeweilige Stockvariante an. Wenn auch die Soloform gut beherrscht wird, dann können fortgeschrittene SpielerInnen zum Freistil übergehen, der höchsten Form des Solotrainings. Bei dieser Trainingsmethode wird mit dem Stock frei improvisiert, wobei aber die Prinzipien der Waffe ganz natürlich und selbstverständlich umgesetzt werden müssen, was diese Spielart sehr anspruchsvoll macht.

Die Keule, der Bang, bietet innerhalb der Stockwaffen die Möglichkeit, sich mit dem Konzept der Doppelwaffen zu beschäftigen. Tatsächlich ist der Einsatz von zwei Keulen gleichzeitig in den chinesischen Kampfkünsten so selbstverständlich, dass üblicherweise gar keine Formen für die Einzelkeule (Dan Bang) existieren, sondern nur für die Doppelkeule (Shuang Bang). Der oben beschriebene Ablauf für das Solotraining mit einem einzelnen Stock gilt genauso für den Shuang Bang, also zunächst Grundübungen, dann Soloformen und zuletzt Freistil.

Partnertraining

Das Partnertraining sollte erst dann begonnen werden, wenn die Waffe über ein hinreichendes Solotraining sicher beherrscht wird. Am Anfang sollten festgelegte Drills („fixed patterns“) stehen, bei denen eine relativ kurze Abfolge von Aktionen der Partner fest vorgegeben ist. Im Rahmen des choreografierten Trainings können die Drills anspruchsvoller werden, bis hin zu ganzen Partnerformen. Solche Partnerformen sind bezüglich ihrer Komplexität und Länge analog zu Soloformen.

Ähnlich wie bei Schwert und Säbel sollte auch bei den Stockwaffen darauf geachtet werden, dass sowohl das „Zufechten“ als auch die „klebenden Stöcke“ trainiert werden. Beim Zufechten besteht zunächst kein Kontakt zwischen den Waffen, es handelt sich also um den üblichen Ausgangspunkt eines realen Kampfs. Einer der Partner startet einen Angriff und der Verteidiger kontert, indem er den Angriff blockt, ableitet oder ins Leere laufen lässt und mit einer eigenen Angriffsaktion antwortet. Diese Trainingsmethode ist die klassische Domäne der äußeren Kampfkünste, sollte aber auch im Taijiquan nicht vernachlässigt werden. Bei den klebenden Stöcken ist dagegen das Ziel, den Kontakt zwischen den Waffen ständig zu erhalten und die Intention des Partners über diesen Kontakt zu erspüren. Es ist ganz analog zum Tui Jian, den „schiebenden Schwertern“, und stellt eine typische Methode des Taijiquan dar. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Erweiterung des Tui Shou, der „schiebenden Hände“, und alle Konzepte und Prinzipien, die dort gelten, kommen auch mit den Stöcken zum Einsatz. Der Stock sollte als eine Verlängerung der Arme aufgefasst werden. Gerade mit den langen Stockvarianten, dem Gun und dem Gan, ist dies allerdings eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe.

Ist das Ziel des Trainings der Freikampf, dann sollte der nächste Schritt das halbfreie Spiel sein, bei dem die Rollenverteilung festgelegt wird, so dass ein Partner nur als Angreifer, der andere nur als Verteidiger fungiert. Die Aktionen der Partner werden dabei aber frei gewählt. Den Abschluss bildet das freie Sparring, bei dem beide SpielerInnen völlig frei agieren. Spätestens beim ganz freien Spiel verliert sich der Unterschied zwischen dem Zufechten und den klebenden Stöcken. Die zwei verschiedenen Ansätze gehen, je nachdem, wie der Kampf verläuft, nahtlos ineinander über.

Gerade bei den längeren Stockvarianten ist beim Partnertraining äußerste Vorsicht geboten. Durch die Länge der Waffe ist sie schwer zu kontrollieren und die Wucht, die bei einem Schlag oder Stoß an der Spitze entstehen kann, ist enorm. Mit Holzwaffen sollte möglichst nur im choreografierten Training gearbeitet werden. Werden Stöcke aus Holz im freien Spiel eingesetzt, dann sollte dies unter klar reglementierten Bedingungen geschehen, indem etwa die Bewegungen beider Partner nur stark verlangsamt durchgeführt werden.

Eine andere Variante, um das freie Sparring sicherer zu machen, ist die Verwendung von Softwaffen und/oder Schutzausrüstung. Was die Schutzausrüstung angeht, so gibt es spezialisierte Angebote für bestimmte Kampfsportarten, z. B. Kendo oder Arnis. Aber auch für Mannschaftssportarten, die Körperkontakt beinhalten, wie etwa Eishockey oder Football, gibt es Ausrüstungsgegenstände, die sich gut für das Waffensparring eignen können. Bezüglich der Waffen selbst wurde bereits im letzten Beitrag dieser Artikelreihe der Aufbau und Einsatz von Softwaffen für das Schwert- und Säbeltraining vorgestellt. Auch für die Stöcke gibt es spezielle Polsterwaffen bzw. Safety-Waffen, die sich gut für Partnerübungen und freies Sparring eignen. Es gibt sogar Anbieter, die Langstöcke als Safety-Waffen zum Zusammenschrauben vertreiben. Im auseinandergeschraubten Zustand zerfällt so ein Stock in drei Teile, die sich ideal transportieren lassen. Zusätzlich können die beiden Endstücke einzeln als Dan Bang bzw. in Kombination als Shuang Bang verwendet werden.

Eine weitere Trainingsvariante besteht darin, dass einer der Partner bewaffnet ist und der andere unbewaffnet. Hierbei können zwei verschiedene Szenarien geübt werden. Einerseits kann der Aggressor die bewaffnete Person sein, gegen die sich der unbewaffnete Partner zur Wehr setzen muss. In dieser Variante können dann unter anderem Entwaffnungstechniken sehr schön trainiert werden. Andererseits kann auch der Verteidiger bewaffnet sein und von einer unbewaffneten Person angegriffen werden. Ist das Trainingsziel die realistische Selbstverteidigung, dann bieten sich für diese Übungsvarianten vor allem die kurzen Stöcke an, also Keule und Spazierstock. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man von jemandem mit einer längeren Waffe tatsächlich attackiert wird oder aber selber einen Langstock griffbereit hat, wenn es zu einer Notwehrsituation kommt.

Nichtsdestotrotz kann es für das Verständnis für die Waffe hilfreich sein, auch mit längeren Stöcken zwei SpielerInnen mit nur einer Waffe trainieren zu lassen. Es gibt z. B. eine sehr schöne Spielart, für die sich der Wanderstab gut eignet. Während der bewaffnete Partner mit langsamen Bewegungen versucht, den anderen zu treffen, ist es die Aufgabe des unbewaffneten Partners, nah an den Angreifer heranzukommen, ohne getroffen zu werden. Im ganz nahen Kontakt ist das Gefahrenpotential des längeren Stockes deutlich reduziert und der Verteidiger kann nun versuchen, den Angreifer zu entwaffnen und den Stock selber einzusetzen. Dazu muss er natürlich wieder Abstand gewinnen, während die gerade entwaffnete Person ihren Stock zurückzuerobern versucht, ohne getroffen zu werden. Hierbei wechselt die Rolle des Angreifers und des Verteidigers ständig, gleichzeitig gehen Konzepte des waffenlosen Pushhands und des Waffenkampfs nahtlos ineinander über. Wenn die SpielerInnen sehr langsam und vorsichtig miteinander agieren, können hierbei auch Stockanwendungen auf extrem kurze Distanz, wie etwa Hebeltechniken, im freien Fluss trainiert werden.

Zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten, die sich bei den anderen Stockarten nicht ergeben, sollten mit dem Spazierstock trainiert werden. Der Rundhakengriff und das Horn erweitern die Einsatzmöglichkeiten deutlich, und dieses Potential sollte nicht ungenutzt bleiben. Das Horn kann z. B. auf kurze Distanz für sehr effektive Schläge auf empfindliche Ziele verwendet werden. Der Griff eignet sich für spezielle Entwaffnungstechniken oder aber auch dazu, einen Gegner zu Fall zu bringen (s. Abb. 12). Die Anwendungen von Horn und Griff sind potentiell sehr gefährlich und sollten daher mit äußerster Umsicht trainiert werden.

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Abb. 12: Marc Mazalairas demonstriert mit einem Schüler eine Anwendung für den Rundhakengriff des Spazierstocks (Guai Gun). Foto: Archiv M. Mazalairas

Training mit Hilfsmitteln

Im vorhergehenden Artikel dieser Reihe wurde bereits für das Schwert und den Säbel erläutert, dass das Üben mit Hilfsmitteln die Option bietet, Ziele tatsächlich ungebremst zu treffen, was weder beim reinen Solo- noch beim Partnertraining möglich ist. Hierbei gilt es, die gängigen Angriffsaktionen zu trainieren, die bei Stöcken in größerer Entfernung zum Einsatz kommen: Schläge und Stöße. Die Schläge entsprechen dabei mehr oder minder den Hieben bei Klingenwaffen, die Stöße den Stichen. Einerseits können Geschwindigkeit, Kontrolle und Präzision der Angriffe trainiert werden. Hierfür eignet sich etwa ein Tennisball, der an einer Schnur hängt. Andererseits gilt es, die Wucht von Schlägen und Stößen zu trainieren und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Waffe verhält, wenn ein Ziel mit echter Wirkung getroffen wird. Man muss lernen, mit dem Impakt und dem Rückprall umzugehen, während man eine Serie von Angriffen mit alternierenden Zielhöhen anbringt.

Ein simples Ziel, das hierfür bereits seit Jahrtausenden zum Einsatz kommt, ist ein Pfahl, der fest in der Erde steht. So war die Arbeit am Pfahl (lateinisch: „palus“) eine bevorzugte Trainingsmethode der römischen Legionäre und Gladiatoren. Um den Übungsstock zu schützen und die Lautstärke etwas zu reduzieren, kann der Pfahl z. B. mit einem alten Teppich umwickelt werden. Auch schwere Sandsäcke, wie sie Boxer verwenden, sind grundsätzlich geeignet. Je nachdem, wie widerstandsfähig der Sandsack ist, kann es sinnvoll sein, hierbei mit Softwaffen zu trainieren. Standboxsäcke mit modelliertem Torso können gut verwendet werden, um das Training von kräftigen Wirkungstreffern mit präzisem Zielen zu verbinden. Hierbei werden dann spezielle Areale auf dem Torso angepeilt und mit Wucht getroffen. Ein sehr nützliches Trainingsgerät kann auch aus drei alten Autoreifen improvisiert werden. Die Reifen werden über Seile miteinander verbunden und frei schwingend aufgehangen, so dass der oberste Reifen etwa auf Kopfhöhe, der zweite auf Rumpfhöhe und der dritte in der Höhe der Beine hängt. Die Reifen ergeben einen realistischen Impakt und Rückprall, während sie elastisch genug sind, um den Trainingsstock nicht zu beschädigen.

Fazit

Die Stöcke stellen einen wichtigen Teil des Waffenrepertoires im Taijiquan dar. Als eine der ältesten Waffengattungen der Menschheit gehören die Stöcke gleichzeitig zu einer der ganz wenigen Waffentypen, die auch heute noch im zivilen und polizeilichen Bereich zum Einsatz kommen. Während eher die äußeren Kampfkünste, v. a. das Shaolinquan, für die Verwendung von Stöcken berühmt sind, gehören sie dennoch zum „Urgestein“ der Taiji-Waffen. Die Stöcke in ihren verschiedenen Längenausprägungen sind bereits als eigenständige Gattung für das Waffentraining äußerst interessant. Gleichzeitig sind gerade die kürzeren Varianten, also die Keule (Bang) und der Spazierstock (Guai Gun) eine ideale Vorbereitung für das Training mit Schwert (Jian) und Säbel (Dao), besonders was die Partnerübungen angeht.

Dieser vierte Beitrag der Reihe beendet die Behandlung der Waffen im Taijiquan, obwohl es noch einige relevante Taiji-Waffen gibt, die nicht in der ihnen gebührenden Ausführlichkeit vorgestellt wurden, wie etwa der Speer (Qiang), die Hellebarde (Da Dao) oder der Fächer (Shan). Der fünfte und abschließende Artikel wird stattdessen das Taijiquan allgemeiner, also über die Waffenanwendungen hinaus, im Spannungsfeld der Begriffe „Kampfsport“, „Kampfkunst“ und „Kriegskunst“ behandeln.

Autor: Dr. Jan Harloff-Puhr

Kalligraphie: Wang Ning

Fotos: siehe Bildunterschriften

Literatur und DVDs

Andrew Dabioch: 42er-Tai Chi-Waffenformen im Yang-Stil III – Doppel-Keulen. DVD, Tao Academy, 2004

Andrew Dabioch: Tai Chi-Kurzstockübungen im Yang-Stil I – Grundübungen I und Form 1. Teil. DVD, Tao Academy, 1994

Andrew Dabioch: Tai Chi-Handstock II – Partnerform. DVD, Tao Academy, 1996

Robert E. Dohrenwend: The walking stick – the gentleman’s weapon. In: Journal of Asian Martial Arts 14 (2005), Nr. 4

David J. Knight und Brian Hunt: Polearms of Paulus Hector Mair. Boulder, Colorado : Paladin Press, 2008 — ISBN 978-1-58160-644-7

Dwight C. McLemore: The fighting staff. Boulder, Colorado : Paladin Press, 2009 — ISBN 978-1-58160-714-7

Robert L. O’Connell: Soul of the sword – an illustrated history of weaponry and warfare from prehistory to the present. New York : Free Press, 2002 — ISBN 0-684-84407-9

Octavio Ramos: Raising cane – the unexpected martial art. Llandeilo : Velluminous Press, 2006 — ISBN 978-1-905605-10-1

Meir Shahar: The Shaolin monastery – history, religion, and the Chinese martial arts. Honolulu : University of Hawai’i Press, 2008 — ISBN 978-0-8248-3349-7

Gunnar Siebert: Arnis, Escrima, Kali – die Kunst der wirbelnden Stöcke, Lehrbuch für den Stockkampf. Berlin : Weinmann, 1995 — ISBN 3-87892-063-6

Paul Wagner (Hrsg.): Master of defence – the works of George Silver. Boulder, Colorado : Paladin Press, 2003 — ISBN 1-58160-424-6

Yang Jwing-Ming: Ancient Chinese weapons – a martial artist’s guide. London : Paul H. Crompton, 1999 — ISBN 1-886969-67-1

Zhang Yun: Taiji sticking staff 8 technique form. In: T’ai Chi – The International Magazine of T’ai Chi Ch’uan (2003), Nr. 1

Surftipps zu Waffen im Taijiquan

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