Der Yang-Stil des Taijiquan

Von Cordyline Bartz

Tai Chi Yang Stil Meister Yang Chengfu

Das Taijiquan der Yang-Familie ist weltweit die verbreitetste Taiji-Richtung. Ihr traditionelles Kernstück ist die sogenannte »Lange Form« nach Yang Chengfu mit 85 Bildern, die von diesem im 19. und 20. Jahrhundert neu geprägt wurde. Die Zählweise kann dabei variieren, der derzeitig weltführende Vertreter der Yang-Familie Yang Zhenduo zählt die von seinem Vater stammende Langform als 103 Bilder. Yang Chengfu war der Enkel von Yang Luchan, der als Urvater des Yang-Stils gilt. Das gleichmäßige Tempo in der Ausführung, große schulterbreite Schritte kombiniert mit ausladenden Armbewegungen zeichnen seine Kampfkunst aus, wodurch die Bezeichnung »großer Rahmen« entstand. Bewegungsgrundsätze sind dabei neben den allgemeinen Taijiquan-Prinzipien, dass auch in den weitläufigen Bewegungen die großen Gelenke wie Knie und Ellenbogen nicht vollständig gestreckt werden. Die Gewichtsverlagerungen werden im Bogenschritt bis zu zwei Drittel geführt, also ruhen circa 70 Prozent des Körpergewichts auf dem vorderen Bein. Bei nach vorne gerichteten Techniken wird der gerade Oberkörper in der Endhaltung leicht vorgeneigt. Beim »leeren Schritt« wird der minimal zu belastende Fuß vom Standbein entfernt abgestellt. Die Körperhöhe bleibt bis auf wenige Ausnahmen konstant. Durch die Langform nach Yang Chengfu wurde im Verlauf jahrzehntelanger Entwicklung ein gleichbleibendes Tempo charakteristisch, so dass man den gesamten Ablauf wie »glatte Wogen einer sich immer wiederholenden Wellenbewegung« beschreiben könnte. Eine Ausnahme bildet hier nur die Figur »Den Lotus streifen«, bei der man mit dem Fußspann in einer hoch heraufgeführten Kreisbewegung beide Handflächen nacheinander schlägt. So können auch ältere Übende ebenso wie weniger sportlich Motivierte dieses Training ausführen. Als Grundregel für das eigene Tempo gilt: Einmal gemächlich begonnen, wird in gleichem Tempo bis zum Schluss geübt, bei zügig begonnenem Durchlauf werden auch die weiteren Bilder schneller ausgeführt.

Tai Chi Chuan Meister: Yang Chengfu, Sun Lutang, Wu Jianquan
Tai Chi Meister: Yang Chengfu, Sun Lutang, Wu Jianquan

Laojia – Alte Form

Taijiquan Yang-Stil Kalligraphie

Yang Luchan, auf den der Name »Yang-Stil« zurückgeht, hatte bei der Chen-Familie gelernt und auch andere innere Kampfkünste studiert. In den ersten zwei Generationen seiner Nachfolger sind viele im Detail heutzutage kaum noch bekannte Methoden entwickelt worden. Insbesondere sein zweiter Sohn Yang Banhou war aufgrund seiner effektiven Kampftechnik bekannt. Im durch ihn geprägten sogenannten »kleinen Rahmen« wird flink wie eine Katze mit schnellen Schrittfolgen das Körpergewicht verlagert, von vorne und hinten heranziehende Halbschritte sind die Regel. Sogar die Körperhöhe wird durch besonders tiefe Stellungen ab und an verändert. So sieht die »Alte Form«, die in 108 Bilder aufgeteilt ist, mit eher runden Armhaltungen und etwas kleineren Schritten recht kompakt aus. Typisch sind hier einige »Fa- li«-Anwendungen, bei denen sich eine große Kraft blitzschnell explosionsartig entlädt, sowie verschiedene Sprungtechniken. Die Hüftarbeit und Taillenkraft wird hierbei besonders geschult. Die gesamte Ausführung der Alten Form ist recht dynamisch. Am Ursprungsort der Yang-Familie Yongnian werden daneben auch heute noch »Paochui« (Kanonenfaust)-Übungen durchgeführt, allerdings sind inzwischen diese frühen Formen weltweit nur noch selten zu finden.
In der Tradition der Yang-Familie sind neben den beiden Handformen verschiedene Partnerübungen sowie Waffenformen entstanden. Die bedeutendste der traditionellen Waffen ist das Schwert, Jian. Die Schwertform beinhaltet 54 Bilder und ist zum Erlernen recht komplex. Häufig steht man hier auf einem Bein und führt Sprünge aus. Für das Schwerttraining sollte mindestens eine zweijährige regelmäßige Übungserfahrung der Handform vorausgehen. Bei gleichen Prinzipien wirkt das Schwert wie ein verlängerter Arm. Der Blick ruht meist auf der Schwertspitze. Diese Form wird eher seicht und fast zart geübt, sie beinhaltet nur wenige schnellere Bewegungen. Das Schwert wird bevorzugt von Frauen gewählt.
Die Säbelform, Taijidao, mit 13 Bildern wirkt schon kräftiger. Säbelanwendungen wie Hacken und Stechen sind traditionell wie in anderen chinesischen Kampfkünsten recht schnell auszuführen, während das Schneiden auch langsam funktioniert.

Gan, der Langstock, früher die Waffe der Armen, hat im traditionellen Training wesentlich größere Ausmaße als die vom Wushu bekannten Stöcke, die bis zum Ohr oder bis zum Scheitel reichenden „Gun“. Dadurch hat die rechte Hand ein ziemlich dickes Rundholz am Schaft zu umgreifen. Auf die dünnere Spitze wirken große Hebelkräfte, sofern die Hüftbewegungen einheitlich führen und die Hände weit genug auseinander greifen. Einzelne Bilder werden fortwährend wiederholt geübt. Eine Form mit Lanze/Speer, »Taijiqiang«, wird in gleicher Abfolge mit 13 Bildern trainiert. Zum Kennenlernen des Stocktrainings empfiehlt sich der körperhohe Stock. Dem Tuishou ähnliche Partnerübungen, bei denen die Stockspitzen »aneinander kleben«, schulen die Sensibilität. Zum Training von Fajin/Fali-Bewegungen, bei denen vom Zentrum her Kraft »explosionsartig« freigesetzt wird, ist der Langstock hervorragend geeignet.
Die Grundlage der Partnerübungen sind die »schiebenden Hände«, das Tuishou oder englisch »Push Hands«. Man beginnt in festem Stand (»Dingbu«) mit je einem Arm. Die zusammengeführten Handgelenke »kleben« trotz fortwährender Drehungen des Körpers aneinander. Im nächsten Stadium schützt man sich vor Ellenbogenstößen und zur besseren Kontrolle des gegnerischen Schwerpunktes sowie erhöhten Hebelmöglichkeiten durch Auflegen der zweiten Hand im Bereich der gegnerischen äußeren Armmitte. Für Erfahrene wird die Übung durch gemeinsam mit dem Partner ausgeführte Vor- und Rückwärtsschritte (»Houbu«) ergänzt. Die am Ursprungsort Yongnian häufigste Methode wird mit jeweils drei Vorwärts- und Rückwärtsschritten ausgeführt. Das »Da- lu?«, »Großes Ziehen«, eine fortgeschrittene Partnerübung, imponiert mit großen Kreisbewegungen von oben nach unten. Mit »Sanshou«, »Sich lösende Hände«, wird eine Form bezeichnet, in der zwei Personen im Wechsel festgelegte Angriffs- und Abwehrbewegungen aus der Soloform ausführen, so dass ein gemeinsamer Bewegungsablauf entsteht. Gleichzeitig steht Sanshou ebenso wie Sanda (Freies Schlagen) für alle Arten von Freikampf.
Als fortgeschrittenste Methode übt man in allen Richtungen und Anwendungen, also frei: »Luan Huan Tuishou« (»Ungeordnetes Tuishou«). Ausgehend von den zuvor erlernten Schritttechniken wird hier beim geringsten Stocken der obligatorischen Kreisbewegung ein beliebiger Arm- oder Schrittwechsel herbeigeführt, alle möglichen Anwendungen ergeben sich entsprechend »wie von selbst«. Nachlässigkeit in der Körperhaltung führt schnell zu Instabilität und der Lerneffekt ist beim Tuishou entsprechend groß, da Schwächen nicht nur beim Partner herauszufinden sind, sondern auch bei sich selbst deutlich werden. Grundregel: Auf den Partner reagieren, ohne erkennen zu lassen, dass man selbst die Führung ergreift und die vorteilhaftere Stellung einnimmt. Man sollte langsam, weich und mit minimalem Einsatz von äußerer Kraft üben.
Es werden außerdem die zu den acht Grundtechniken Peng/Abwehr nach oben, Lü/Ziehen, Ji/Drücken, Vordringen, An/ Stoßen, Cai/Reißen, Entwurzeln, Lie/Spalten, Hacken, Zhou/Ellenbogenstoß, Kao/ Schulterstoß, Anlehnen gehörenden Bewegungsfolgen aus der Form in verschiedenen Ausführungen geübt.
Die populärste Taiji-Abfolge ist heute die vom nationalen chinesischen Sportkomitee entwickelte »Peking-Form« mit 24 Bildern, die aus Yang-Stil-Bildern komprimiert zusammengefügt wurde. Auch die im Westen weit verbreitete Form nach Professor Zheng Manqing ist aus dem Yang-Stil hervorgegangen. Des Weiteren sind kürzere Formen für Wettkämpfe und das neuerdings entstandene Graduierungssystem kreiert worden. Sie werden in dem Beitrag zu den modernen Formen des Taijiquan aufgeführt.
Parallel dazu werden aber nach wie vor die traditionellen Formen geübt und weitergegeben. Das derzeitige Oberhaupt des klassischen Yang-Stils in der VR China ist Yang Zhenduo, der seinen Enkel Yang Jun zum Nachfolger ausbildet. Mit Yang Zhenhe unterrichtet ein anderer direkter Schüler von ihm regelmäßig im deutschsprachigen Raum. Eine weitere Traditionslinie des Yang-Stils geht auf Yang Shouzhong, den ersten Sohn Yang Chengfus, zurück, der die International Tai Chi Chuan Association (ITCCA) gründete. Dessen Schüler Chu Kinghong und Chu Ginsoon brachten diese Linie nach Europa und in die USA. Yip Tai-Tak und die beiden Töchter von Yang Shouzhong, Yang Tai-Yee und Yang Ma-Lee, unterrichten in Hongkong.

Entwicklung des Yang Stil

Yang Stil Tai Chi
Stammbaum des Yang Stil Tai Chi Chuan: Yang Chengfu (1883 – 1935) – 3. Yang-Generation – 3. Sohn von Yang Jianhou – begründet trad. Yang-Stil Langform – entwickelt Dajia (großer Rahmen) Der Yang-Stil des Taijiquan Zheng Manqing -4.Yang-Generation -4.Yang-Generation (ChengManching)(1900–1975) Yang Shouzhong (1910 – 1985) Chen Weiming – Sohn von Yang Chengfu – gründet 1971 ITCCA – veröffentlicht 1925 das Buch »Taijiquan Techniken« mit Fotos von Yang Chengfu – 4. Yang-Generation – verfasst das »Handbuch für Taijiquan« für Yang Chengfu – verbreitet seine verkürzte Yang-Stil-Form in Taiwan und den USA Zhai Wenzhang (1919 – 1989) – 4. Yang-Generation Fu Zhongwen (1907 – 1994) – 4. Yang-Generation – Neffe von Yang Chengfu Yang Zhenduo (geb. 1924) – 4. Yang-Generation – Sohn von Yang Chengfu – heutiger offizieller Yang-Stil Vertreter (in der VR China) Chu Kinghong Chu Ginsoon (geb. 1945) (geb. 1933) – 5. Yang-Generation – 5. Yang-Generation Yang Jun (geb. 1968) – 5. Yang-Generation – Enkel von Yang Zhenduo Yang Zhenhe (geb. 1953) – 5. Yang-Generation
Fotos: Yang Stil Tai Chi Meister: m. Bödicker; Bleistiftzeichnungen Yangchengfu: M. Wagner, Cheng Man Ching: K. v. Sickle, Grafik: TQJ

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Video „Traidiotionelle Yang Stil Tai Chi Chuan Form“

Cordolyne Barts, Tai Chi Lehrer aus Berlin zeigt eine traditionelle Yang Stil Tai Chi Form. Ab der Bewegung „Faust unter dem Ellenbogen“ wechselt die Form in den „Alten Yang- Stil“.