Bewegungstherapie bei Parkinson mit der Kampfkunst Taiji
Unsere Bewegungstherapie bei Parkinson wurde aus der Kampfkunst Taiji (auch Tai Chi oder Taijiquan) entwickelt. Taiji stammt aus dem China des 17. Jahrhunderts und wurde in seiner heutigen Form von General Chen Wangting in der heutigen Provinz Henan kreiert.
Aber wie kann etwas, das ursprünglich der Selbstverteidigung diente und auf dem Schlachtfeld vonnöten war, Menschen mit Bewegungsstörungen helfen?
Taiji, das in Deutschland auch als chinesisches Schattenboxen bekannt war, zeichnet sich besonders durch seine gleichmäßigen, spiralförmigen und zeitlupenartigen Bewegungen aus. Diese werden sehr präzise und genau ausgeführt. Die Bewegungsfolgen und die dazugehörigen Basis- und Qigong-Übungen beinhalten eine unterschiedliche Komplexität und Wirkungsweise. Ich werde im Folgenden grundlegende Trainingssets und deren Nutzen speziell für Parkinson-Patienten beschreiben.
Der Taiji-Stil, auf den ich mich im Folgenden berufen werde, ist der traditionelle Chen-Stil, den ich jetzt schon seit 15 Jahren erforsche. Aber grundsätzlich kann auch jeder andere Stil verwendet werden, da die Prinzipien immer identisch sind.
Der Lernprozess im Taiji geht immer aus dem richtigen Stehen heraus in ein komplexeres Bewegungssystem über. Zu Beginn erlernt der Übende erst einmal die grundlegenden Haltungskriterien einzuüben. Oberkörper aufrecht, Brustbereich entspannt, Rücken gesunken und die Knie leicht gebeugt. Darauf legt der Trainer am Anfang das meiste Augenmerk.
Aus dieser vorerst äußeren Haltung geht der Übende in die erste einfache Bewegungssequenz über, in der er sich auf genauen Gewichtswechsel, aufrechte Haltung, Koordination und Balance konzentrieren darf. Später folgen Abläufe, in denen all das in komplexere Formen unterschiedlichster Länge und Schwierigkeit umgesetzt wird.
Der Nutzen und der positive Effekt sollen sich jetzt in diesem Artikel erst einmal nur auf diese ersten Trainingsstufen beziehen.
Taiji und Parkinson
Parkinson oder genauer Morbus Parkinson (auch: Schüttel- oder Zitterlähmung) ist eine neurologische Krankheit und gegenwärtig noch nicht heilbar. Das Absterben von Dopamin produzierenden Nervenzellen führt von Bewegungsminderungen zum Verlust der Körperkontrolle bis hin zur Unbeweglichkeit. Zielgerichtete Bewegungen fallen deshalb zunehmend schwerer.
Grundsätzlich ist der Nutzen von Taiji mittlerweile auch in der Schulmedizin mehr und mehr anerkannt. Es gibt seriöse Studien, die sich mit dem Thema Taiji und dessen unterstützender Wirkung bei Parkinson befassen, und die Krankenkassen übernehmen schon seit Jahren das eine oder andere Kursangebot.
Unbestritten ist auch die positive Wirkung von Bewegung bei Parkinson.
Seit mehr als einem Jahr unterrichte ich jetzt in der Fachklink für Bewegungsstörungen und
Parkinson in Beelitz-Heilstätten 1 – 2 x wöchentlich Betroffene.
Meine Erfahrungen beziehen sich auf Patienten mit leichter bis mittelschwerer Erkrankung. Der Trainingsaufbau oder Ablauf für Betroffene sollte sich an der normalen Herangehensweise des Unterrichts orientieren, aber natürlich muss das Konzept an die besonderen Bedingungen angepasst werden.
Die Brücke für Parkinson-Patienten darf also ruhig etwas weiter geschlagen werden, um den jeweiligen Interessenten nicht die Chance zum Einstieg zu verwehren.
Stabiles und sicheres Stehen: Stehende Säule
Beginnen wir also mit dem sicheren und stabilen Stehen.
Hierfür eignet sich eine Übung aus dem Taiji, die bekannt ist als Stehende Säule oder Stehen wie ein Baum. Sie schafft in erster Linie ein Verständnis für ein stabiles und sicheres Stehen. Entspannung wird im oberen Körperbereich geschaffen und nach unten hin stabilisieren wir unsere Standfestigkeit und Stabilität. Des Weiteren stärken wir unsere körperliche Selbstwahrnehmung und unsere geistige Fokussierung, also alles Dinge, die Parkinson-Patienten unmittelbar benötigen. Die Übung an und für sich benötigt nicht sehr viel zur Ausführung, nur den Willen, sich regelmäßig etwas Zeit für sich selbst zu nehmen, eine gute erste Einführung und die regelmäßigen Korrekturen durch einen erfahrenen Trainer.
Zusammengefasst profitieren die Patienten nicht nur von Stehsicherheit, Stabilität und Zentrierung auf der körperlichen Ebene, sondern auch von einer Willenssteigerung, einer positiven Selbstständigkeit und von einem Plus an Konzentration im geistig mentalen Bereich.
Mit dieser inneren und äußeren Einstellung gehen wir jetzt zu den ersten Bewegungen im Trainingssystem über.
Hierfür eignet sich zu Beginn immer ein leichtes Gehtraining. Wir müssen hierbei nichts erfinden, sondern einfach – je nach Stadium der Erkrankung – eine Brücke schlagen und die Patienten da abholen, wo sie im Moment stehen. Dafür ausgerichtet habe ich ein Gehtraining entwickelt, das sich an den Bewegungsprinzipien des Taiji orientiert, aber noch nicht die Koordination der Arme beinhaltet. Ausgerichtet in alle 4 Bewegungsrichtungen ist es nun ein Leichteres, den genauen Gewichtswechsel, aufgerichteten Oberkörper und konzentriertes und präzises Gehen bei leicht gebeugten Knien zu trainieren. Das ganze Programm kann auch als Partnerarbeit ausgeweitet werden, wenn die Solovariante erfolgversprechend aussieht. Der Nutzen, der hierbei erzielt werden kann, liegt klar auf der Hand. Ein Krankheitsverlauf wie bei Parkinson, der stark von Stürzen und Unsicherheiten bei den alltäglichen kleinen Schritten geprägt ist, profitiert natürlich von einer langsamen und konzentrierten Gehschulung in alle Richtungen ungemein. Bereichernd sind auch hier natürlich die hilfreichen Korrekturen eines Trainers und das unablässige private Üben des Teilnehmers.
Dritter Teil des Unterrichts ist meist neben Einzelübungen zur Auflockerung unsere Konzentrationsübung im Sitzen: Hierbei handelt es sich um eine geleitete Meditation, bei der eine koordinierte Kreisbewegung ausgeführt wird. Dabei ist es enorm wichtig, die gesamte Aufmerksamkeit des Übenden immer wieder auf die körperliche Aktion zu richten. So entsteht letzten Endes bei der richtigen Körperhaltung eine größtmögliche Konzentrationsfähigkeit und Fokussierung, die jede geistige Aktivität wieder näher an die körperliche heranführt. Einfach ausgedrückt, ist der Trainierende wieder mehr bei sich selbst und in Gedanken bei dem, was er tut.
Begleitend gibt es Haltungskorrekturen für ein gesunderes Sitzen, die eine richtige Haltungswahrnehmung, eine bessere Zentrierung und ein erhöhtes Ruhegefühl entfalten können. Der Teilnehmer braucht hierfür nur einen Stuhl, auf dem aufrechtes Sitzen gut möglich ist, und etwas Zeit zum täglichen Üben.
Bei unserem letzten Trainingsmodul liegt der Nutzen voll auf der Entwicklung von Konzentrationsfähigkeit und innerer Ruhe. Haltung und bewusste Bewegung sind ein willkommenes Beiwerk in unserer Bewegungstherapie. Besonders zum Abschluss noch einmal zur Ruhe zu kommen, ist ein wichtiger Aspekt des gesamten Trainingskonzeptes bei Taiji für Parkinson-Patienten.
Ausblick und Erfahrung:
Meine Erfahrungen sind zum großen Teil positiv und haben mich auch bestärkt als „Nichtbetroffener“ diesen Artikel zu verfassen.
Nach anfänglichen Schüchternheit und einer kleinen Einleitung bricht bei den meisten Teilnehmern schnell das Eis. Berührungsängste auf Grund des etwas exotischen Namens der Bewegungskunst Taiji lassen sich leicht abbauen und schon nach kurzer Zeit herrscht immer eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre. Das anfängliche Lockerungsprogramm, die chinesische Gymnastik sorgt dafür, dass die anfängliche Aufregung schnell verfliegt und sich durch Bewegung transformiert. Spätestens bei dem Gehtraining kehrt eine sehr angenehme ruhige Trainingsatmosphäre ein. Es liegt das erste Mal Konzentration in der Luft. Es ist für mich immer wieder toll anzusehen, wie meine Teilnehmer sich bemühen und freiwillig die eine oder andere Runde später in der Rehaklinik drehen. Nach dem Gehen ist erfahrungsgemäß noch eine Übung im Sitzen wichtig, da die Kraft jetzt schon etwas nachlässt. Meistens dauert ein Training gute 45 min. und kann mit einer Frage-Antwort-Runde beendet werden. Es herrscht aber im Raum eher eine tiefere Entspannung, in der eine entstandene Zufriedenheit erstmal keinen Platz für Fragen lässt.
Die Dankbarkeit steht den Menschen einfach ins Gesicht geschrieben. Und was gibt es Schöneres für einen Trainer, als meist glückliche und zufriedene Teilnehmer als Wertschätzung für die eigene Tätigkeit.
Autor: Mirko Lorenz
Fotos: Mirko Lorenz
Surftipps zum Thema:
Mehr zur Arbeit und aktuelle Termine in Berlin und Cottbus des Taijiquan-Lehrers Mirko Lorenz unter: http://taiji-therapie.de/