Fajin – die höchste Kunst im Yang-Stil Taijiquan

Fajin wird oft als besonders schwierig oder als das Gegenüber zerstörend beschrieben – zwei Mythen, die es unmöglich, unpraktisch oder zumindest unangebracht erscheinen lassen, diese Fähigkeit mit einem Partner zu üben.

Fajin: Das Geheimnis der Kompression von Zeit und Raum

Fajin

Daher hier ein Geheimnis, was eigentlich keines ist: Aufbauend auf die dritte Stufe der strukturellen („yang“) Fertigkeiten des Push Hands – Expandieren / Wachsen / Tifang – besteht Fajin in derselben Bewegung, nur komprimiert in Zeit und Raum, soll heißen: sehr viel schneller mit einer sehr viel kleineren Bewegung.

Dies mag auch der Grund sein, warum es als so schwierig auszuführen gilt – weil das Lernen der langsamen Ausführung sehr viel Zeit und Aufwand bedeutet, ohne dass man spektakuläre Ergebnisse vorzuweisen hat.

Das wahre Geheimnis des Fajin: Konzentriere dich auf die Ausführung, nicht auf den Effekt

Was die angeblichen spektakulären Resultate angeht, gibt es ein zweites „Geheimnis“: Seine Struktur im Bruchteil einer Sekunde nach außen zu expandieren – vergleichbar mit einem Airbag im Falle eines Autounfalls – macht an und für sich erst einmal gar nichts. Jegliche Effekte setzen eine Kollision voraus. Kollidiert man mit jemandem, der entweder sehr weich ist oder sehr hart, kann dies Folgen zeitigen. Abhängig von der Situation, können die Auswirkungen des Fajin variieren. Ein Beispiel: Wenn jemand weich ist, ist die gewöhnliche Reaktion ein natürlicher (und gesunder) Schutzreflex (der Körper versteift sich für eine kurze Zeit), der für einen Push, ein Ziehen oder einen Wurf genutzt werden kann. Ein anderes Beispiel ist eine strukturelle Verletzung von Gelenken oder weicheren Strukturen, wenn jemandes Struktur schlecht ist (ungünstige Winkel der Gelenke), die Positionierung im Raum nicht stimmig ist oder die Person zu hart und unnachgiebig ist. Konkrete Beispiele wären hier ein schneller Schlag auf einen Körper, der nicht geeignet ist, diesen Schlag nach unten zu bringen oder eine Verletzung am Ellbogen, wenn der Arm von Beginn an schon zu sehr gebeugt war.

Für alle diese Fälle gilt jedoch: Sich auf das Ergebnis zu konzentrieren, bringt uns dem Ziel nicht näher – weil es nicht in unseren Händen liegt.

Fajin als Partnerarbeit

Im Video macht sich Fabian als Partner weich und schützt sich selbst gerade genug, dass die Richtung der Aktion – nach oben und außen – sichtbar wird. Achte darauf, wie er seine Grundhaltung (mehr oder weniger wie ein Ball) nicht aufgibt, was es ihm erlaubt, den Zusammenprall als Ganzes zu nehmen und ein ganzes Stück zurück geworfen zu werden, ohne dass seine Struktur beeinträchtigt wird.

Wenn wir einige Erfahrung gesammelt haben, können wir damit auch spielen. Die Wechsel von Tempo und Dynamik, die dadurch möglich werden, sorgen dafür, dass freies Push Hands sehr viel mehr Spaß macht.

Fajin lernen – Eine Anleitung

Fajin zu üben heißt auch, fortgeschrittene Partnerarbeit zu machen. Ein guter Partner zu sein ist essentiell – Dies bedeutet sicher zu üben und seine zu Grenzen kennen, um gemeinsam über diese hinaus wachsen zu können. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lernend, sollte der Fokus immer bei dir selbst sein und der Art und Weise wie DU die Übungen machst, sei es in der aktiven oder in der passiven Rolle.

Schritt 1: DU SELBST – Fajin lernen

Schicke nichts nach außen. – Schiele nicht auf einen Effekt. Deine Bewegung muss leer sein, damit sie schnell sein kann. Geh einfach in das Endbild.

Der Weg ist immer kürzer als zu denkst. – Wähle einfach eine Körperhaltung und eine minimal größere Version davon – blase dich auf!

Expandiere dabei immer nach oben und außen. – Andere Richtungen sind für späteres Training.

Schritt 2: DEIN:E PARTNER:IN – Lernen, mit Fajin umzugehen

Dein:e Partner:in sollte ein Ball sein. – Vorbereitet, wegzuspringen, aber dennoch schwer genug, damit du eine Rückmeldung über deine Struktur bekommst. Ball meint hier nicht Luftballon, sondern eher Medizinball.

Experimentiert damit, Widerstand zu leisten und euch „zurückwerfen“ zu lassen.

Schritt 3: DU SELBST ZUM ZWEITEN – Fortgesetztes Lernen von Fajin

Tritt einen Schritt zurück. – Nach einigem Üben, mache einen Schritt zurück und kehre zu den Grundlagen zurück.

Gib nicht auf – Beschäftige dich lieber mit etwas anderem und komme später darauf zurück. Es hilft, die Erfahrungen, die man gemacht hat zu reflektieren und später zu kontrollieren, was dein Körpergedächtnis schon alles verinnerlicht hat.

Es ist EINE Bewegung. – Du wirst sicherer mit deinen Endbildern. Löse nur die Körperspannung ein wenig und aktiviere dann alles im selben Augenblick.

„Gib“ nicht. – Die Expansion/Explosion zu „nehmen“ ist wahrscheinlich der schwierigste Teil. Während deine Hände nach außen gehen, sollte deine inneres Erleben, das Gefühl im Körper, sein, dass etwas nach unten geht. Beginne damit, sicherzustellen, dass du nicht aus den Hüften heraus nach oben drückst und arbeite in der Folge mit der Vorstellung, dass du von der Gegend um das Herz herum ausgehend expandierst.

Organisiere dich so, dass du aufnehmen kannst. – Alles, was von deinem Gegenüber zurück kommt – Widerstand / Reaktion – sollte in deine Füße gehen. Während des Fajin bist du dennoch durchlässig.

Schritt 4: Die weiche Natur des Fajin – Eine Erinnerung für die Feinarbeit beim Üben

Fajin ist weich. – Obwohl es die höchste Form des Yang ist; – vergiss nicht den kleinen schwarzen Punkt in der Mitte. Das Gefühl sollte immer noch federnd sein. Wenn man es mit Lautmalerei erklärt, sollte es, obwohl der Laut kurz ist, mehr wie ein „wiiiiiiie“ oder „mmmmh“ sein als wie ein „uffff“ – nicht wie leere Luft, sondern gefüllt mit Stimme.

Englische Version dieses Artikels.

Autorin: Gabi Kannenberg, Tai Chi Studio
Fotos: Nils Klug