Qigong für Meditierende

Qigong- Übungen zur Entlastung der Wirbelsäule

Während Qigong in sich eine eigenständige meditative Praxis sein kann, kommt es außerdem auch Menschen zugute, die eine weniger körperbetonte Meditationspraxis pflegen, und kann sie mit der energetischen Ebene ihres Seins verbinden. Teja Bell, der über jahrzehntelange Erfahrung in inneren Kampfkünsten, Zen-Meditation und Qigong verfügt, stellt vier in der Ausführung einfache und gleichzeitig intensive Übungen vor, die in die Energiekultivierung einführen, die Qi-Zirkulation im Körper fördern und bewusst machen sowie insbesondere die Wirbelsäule entlasten. Sie sind nicht nur als Ausgleich und Unterstützung zu langer Sitzmeditation sinnvoll, sondern können auch für andere die Verbindung von Körper, Atmung, Qi und Bewusstsein öffnen und eine Qualität von »Gewahrsein der Gegenwart« entwickeln.

Energiekultivierung zur Vertiefung der Praxis

Qigong- Grundübung: Standmeditation

Übungsprinzipien

Atmung des strahlenden Körpers 

Vollständige Wirbelsäulenatmung 

Qigong-Wirbelsäulendehnung

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Energiekultivierung zur Vertiefung der Praxis

Ich begann im Alter von 15 Jahren zu meditieren im Rahmen meines Kampfkunsttrainings, mit dem ich vor über 40 Jahren angefangen hatte. Mein Lehrer, Tatsumo Makami, ließ uns vor Beginn der Stunde ein paar Minuten im Kniesitz (Seiza) sitzen. Er schien es zu genießen, meinen Rücken zu begradigen, meinen Kopf auszurichten und meine Atmung zu verlangsamen, während meine Knie schmerzten und meine Geduld schwand. Ich konnte das Ende der Meditationszeit kaum erwarten, um zu dem zu kommen, was ich für den eigentlichen Inhalt der Kampfkunst hielt – Tritte, Schläge und Würfe mit lauten Kiai-Schreien. Später, als ich eine tiefere Sicht auf mein Kampfkunsttraining hatte und anfing asiatische Künste und Philosophien vieler verschiedener Kulturen und Traditionen zu studieren, erkannte ich allmählich, dass einer der Punkte, der sie alle auf höchstem Niveau verband, die Übung der Stille ist – und dann die Übung der Stille in Aktion. Über die Jahrzehnte wurde Meditation zentraler Bestandteil aller meiner Körperkünste: Aikido, Yoga und der chinesischen Kampfkünste Taijiquan, Xingyiquan, Baguazhang und Liuhebafa. Die Wurzel all dieser chinesischen inneren Kampfkünste ist Qigong, das wiederum meine Meditationspraxis erweitert und vertieft hat.

Das chinesische Wort Qigong bedeutet »Energiekultivierung«. Qi ist die universelle Lebenskraft und Gong ist sowohl der Einsatz als auch das Ergebnis anhaltender Mühe über längere Zeit. Die Praxis des Qigong ehrt und kultiviert diesen »Energie«-Aspekt unseres Seins – die Matrix der Lebenskraft, die unseren physischen Körper durchdringt – und unterstützt damit die Entwicklung von ganzheitlichem Wohlbefinden.

Anthropologische Forschungen lassen vermuten, dass Qigong in China um das zweite vorchristliche Jahrtausend entstanden ist, im weiteren Verlauf der Geschichte hat es sich als Teil sowohl der daoistischen als auch der buddhistischen kontemplativen Traditionen etabliert. Qigong ist eine vollständige meditative Praxis genauso wie eine perfekte Ergänzung zu jeglicher anderen Form von Meditation. Es verleiht Meditierenden ruhige, klare Vitalität, Stärke und pulsierende Gesundheit und bringt Körper, Herz und Geist Frieden. Weise Qigong-Praxis kann das Nervensystem neu ausrichten und ausbalancieren, indem sie Spannung abbaut und den Atem durch bewusstes Tun sanfter und ruhiger werden lässt. Auf diese Weise ist Qigong ein Weg, uns selbst Metta, liebende Güte und Mitgefühl, entgegenzubringen.

Qigongübung "Standmeditation"
Abbildung 3: In der Standmeditation kann sich der Übende äußerlich und innerlich als Einheit ausrichten.

Ich nenne die Qigong-Form, die ich für Meditierende unterrichte, »Qigong des strahlenden Herzens«. Es hat viele Vorzüge für Meditierende. Zunächst können die Übungen auf nahezu jedem Niveau körperlicher Fitness ausgeführt werden und können und sollten den jeweiligen individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Qigong kann im Stehen gemacht werden, im Sitzen, im Gehen und sogar im Liegen.

Die Einfachheit in der Ausführung täuscht über die transformierende Kraft, die darin steckt, hinweg. Es ist gerade diese Einfachheit, die die Möglichkeit bietet, dass aufmerksames Üben einen Zugang zur direkten Wahrnehmung des Seins öffnet – eine Qualität, die ich »Gewahrsein der Gegenwart« nenne und die sich sowohl auf eine Handlung als auch auf einen Seinszustand beziehen kann. Als Handlung besteht das Gewahrsein der Gegenwart darin, unsere gesamte Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten – den Atem zum Beispiel oder jedweden Teil unseres physischen oder energetischen Körpers, den Geist oder die Emotionen. Wenn wir in einem Gewahrsein der Gegenwart ruhen, verwirklichen wir ein Gleichgewicht im Sein, in dem wir unserer Verbundenheit mit allem Leben gewahr sind, und unser Bewusst- sein kann in seiner ursprünglichen und unverstellten Natur ruhen. Qigong vereint die Ebenen unseres menschlichen Daseins – Geist, Verstand und Körper.

Qigong- Grundübung: Standmeditation

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Abbildung 1: Die vertikale Achse verbindet die drei Dantian miteinander und stellt gleichzeitig eine Verbindung zwischen Erde und Himmel dar.

Die Grundlage vieler Qigong-Bewegungen ist eine Haltung, die als »Standmeditation« oder Wuji-Haltung bekannt ist. In der Qigong-Tradition spielt die Standmeditation eine zentrale Rolle in der Entwicklung der körperlichen, der energetischen und der spirituellen Essenz des Übens. In alter wie in zeitgenössischer Qigong-Literatur werden Anweisungen und Techniken zur Verfeinerung der Standmeditation als absolut essentiell für das Verständnis und eine vertiefte Anwendung dargestellt.

Traditionell Meditierende können in vielfacher Weise vom Erlernen und Ausüben der Standmeditation profitieren. Indem der Übende seine Aufmerksamkeit darauf richtet, seine Körperstruktur als Einheit auszurichten, verbessert er seine Haltung, vertieft die Entspannung und das Loslassen und entwickelt eine »Feldwahrnehmung« des Körpers, wie ich es nenne, – die Fähigkeit, der gegenwärtigen Lebendigkeit, die wir »unser Körper« nennen, ganzheitlich gewahr zu werden.

Übungsprinzipien

Die folgende Einführung in die Qigong-Praxis verwandelt Bewegung in Meditation und nährt und erdet das ganze Sein:

1. Führe die Bewegungen mit Leichtigkeit anstatt mit Vehemenz aus, lass eher deine Intention als deinen Willen deine Bewegungen führen.

2. Vereine deinen Geist und deinen Körper mit der Atmung. Dies öffnet dich für ein Gewahrsein der Gegenwart – für die direkte Erfahrung der Verbundenheit von Geist, Verstand und Körper durch natürliche gerichtete Aufmerksamkeit, die das Üben steigert und stabilisiert.

3. Tue weniger. Übe innerhalb von 70 Prozent deiner Möglichkeit und Bewegungskapazität. Dadurch wird es dir möglich, mit Gefühl und Fluss verbunden zu bleiben, überflüssige Spannung loszulassen und die Wirkung des Übens zu optimieren.

4. Kultiviere dynamische Entspannung – Aufmerksamkeit ohne Anspannung oder Schlaffheit oder unnötige Anstrengung.

5. Kultiviere das Gefühl von Offenheit und Ausdehnung, die von innen heraus kommen. Anstatt eine äußere Form zu kopieren, vertraue auf die Führung durch deine Körperwahrnehmung. Auf diese Weise wird die Form zu einem Eingangstor in die Praxis der Qi-Kultivierung und des Fließens.

6. Übe die Bewegungen langsam, sanft und gleichmäßig. Dies entwickelt mühelose Konzentration und Achtsamkeit.

7. Vertraue auf die natürliche Intelligenz deines Seins als Führung bei deinem Üben und dem Vertiefen deines Verständnisses. Um Zugang zu diesem direkten Wissen zu bekommen, höre von deinem Herzen aus.

Die drei wichtigsten Energiepunkte am Fuß
Abbildung 2: Die drei wichtigsten Energiepunkte am Fuß liegen zwischen Fußgewölbe und Ballen – N1, »Sprudelnde Quelle«, im Mittelpunkt des Fußgewölbes und im Mittelpunkt der Ferse.

Beginne in einer normalen aufrechten Haltung mit deinen Füßen schulterbreit oder etwas breiter auseinander. Stelle die Füße parallel, die Zehen zeigen nach vorne. Das Fußgewölbe sollte leicht angehoben sein und etwas mehr Gewicht auf den Außenkanten liegen. Schau für einen Moment nach unten auf deine Füße und vergleiche dein subjektives Gefühl in Bezug auf die Ausrichtung mit der tatsächlichen körperlichen Ausrichtung. Nimm alle notwendigen Anpassungen vor und dann richte den Kopf auf und blicke geradeaus. Während deine Arme natürlich an den Seiten hängen, beuge leicht die Ellbogen, um den Raum der Achselhöhlen zu öffnen. Werde der Empfindungen aus der Verbindung deines Körpergewichts mit dem Untergrund, auf dem du stehst, gewahr. Spüre die drei vorrangigen Energiepunkte an deinen Fußsohlen, wie sie in Abbildung 2 zu sehen sind. Verlagere leicht dein Gewicht zwischen dem vorderen Punkt (N 1, Sprudelnde Quelle), etwas vor dem Fußgewölbe in der Mitte des Fußes, und dem Punkt in der Mitte der Ferse. Spüre den Mittelpunkt im Fußgewölbe, das ist der Punkt für das Gleichgewicht und die stabile Erdung des Körpers.

Beuge die Knie leicht, so dass sie nicht blockiert sind. Entspanne die Hüften und das Becken und lass das Steißbein nach unten sinken. Dies beginnt die untere Lendenregion zu begradigen und ermutigt das Gewicht des Körpers, durch die Beine in die Erde zu fließen. Entwickle ein Gefühl für das Verbinden mit der Erde und mit der Qualität natürlicher, geerdeter Stabilität.

Entspanne den Nacken, indem du das Kinn leicht nach unten und nach innen nimmst, wobei die Kehle offen bleiben soll. Dadurch kann sich der Kopf leicht nach oben bewegen und der Scheitel sich energetisch öffnen. Achte darauf, dich nicht anzuspannen oder anzustrengen. Drücke den hinteren Scheitel leicht aufwärts, um die Halswirbelsäule zu öffnen und zu dehnen. Dies optimiert die Zirkulation und den Energiefluss zum und vom Gehirn durch das Rückenmark und die Nervenverbindungen.

Jetzt löse und entspanne den Kiefer und die Gesichtsmuskeln. Die Zunge ist ruhig und berührt den Gaumen. Entspanne den Kiefer und die Kiefergelenke. Lass deine Augen – egal ob offen oder geschlossen – weich und friedvoll werden, das periphere Blickfeld bleibt offen. Komm zu einer natürlichen Bauchatmung, die Spannung im ganzen Körperfeld abbaut. Nimm dir Zeit, diese Qualitäten der Atmung zu entwickeln: weich, fließend, gleichmäßig, natürlich und tief (aber nicht bis zur maximalen Kapazität, strebe etwa einen 70-Prozent- Bereich an).

Spüre nun die energetische Mittellinie, die durch das Innerste deines Körpers fließt. Diese vertikale Achse verbindet die drei dynamischen Zentren des Körpers – den Kopf, das Herz (die Brustmitte) und das Hara oder untere Dantian. Traditionell wird diese Achse als Verbindung von Himmel und Erde beschrieben durch den Menschen in der Mitte.

Jetzt fängt das körperliche und energetische Sein an sich auszurichten, in Harmonie mit sich selbst und der Umgebung zu kommen. Das Gewahrsein der Gegenwart ist ruhig und wach. Diese Ausrichtung und dieses Gleichgewicht sind Meditation, ein Zustand, der auch Grundlage anderer Formen von kontemplativer Praxis ist.

Beim Üben der Standmeditation kannst du eine Reihe von körperlichen und energetischen Phänomenen erleben. Gehe langsam und geduldig vor, beginne mit nur drei bis fünf Minuten und steigere allmählich die Dauer.

Atmung des strahlenden Körpers

Strebe nach einem Gefühl von Ausdehnung von innen heraus.
Abb. 4

Aus der Stille und Stabilität der Standmeditationshaltung öffnen wir uns mit der Atmung des strahlenden Körpers in die Bewegung. Dadurch leiten wir das Qi in das gesamte Feld des Körpers und glätten und beruhigen dabei den Energiekörper, während wir gleichzeitig die Atmung vertiefen und regulieren. Wenn Du im Üben der Atmung des strahlenden Körpers fortschreitest, kannst Du zu einem Gefühl kommen, dass der ganze Körper atmet – jede Zelle pulsiert in Harmonie mit einem ausgewogenen Gefühl von Vitalität und Erdverbundenheit.

Um mit der Atmung des strahlenden Körpers aus der Haltung der Standmeditation anzufangen, spüre die energetische Mittelachse, die durch das Innere des Körpers fließt, wie eine Lichtsäule, die das Kopfzentrum mit dem Brustzentrum und dem unteren Dantian verbindet.

Die Arme hängen entspannt an den Seiten des Körpers, bevor du sie mit der Einatmung zu den Seiten öffnest, die Handflächen zeigen nach unten. Lass die Arme bis auf Schulterhöhe schweben, dann wende die Handflächen nach oben und lass die Arme ihre Reise bis über den Kopf fortsetzen.

Dieser Übergang soll sanft und ebenmäßig vor sich gehen, erinnere dich daran, weniger zu tun, und achte darauf, dass die Handgelenke, die Ellbogen und die Schultergelenke offen bleiben. Strebe nach einem Gefühl von Ausdehnung von innen heraus, dabei bewegt sich deine Aufmerksamkeit vom Knochenmark zur Haut, der Peripherie des Körpers, und dann weiter nach außen über die Begrenzung der Haut hinaus. (s. Abb. 4)

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Abbildung 5: Bei der »Atmung des strahlenden Körpers« sinken die Arme zusammen mit dem Ausatmen vor dem Oberkörper, die Handflächen sind dabei dem Rumpf zugewandt.

Wenn die Handflächen über Kopfhöhe angekommen sind, schauen sie sich etwa in Schulterweite an. An diesem Punkt beginnt die Ausatmung, während der die Arme sanft sinken. Wenn sie auf Kopfhöhe angekommen sind, beginne die Handflächen zum Körper hin zu wenden. Während der Ausatmung sinken die Arme weiter vor der linken und der rechten Körpervorderseite mit etwa 15 bis 30 Zentimetern Abstand zum Rumpf. (s. Abb. 5) Spüre das Qi während der Ausatmung von der Peripherie dieses Energieraumes nach innen fließen durch die Haut ins Innere des Körpers, sich entlang der energetischen Zentralachse verbinden und im Hara zur Ruhe kommen. Wenn die Hände ihre Reise vor der Körpervorderseite nach unten zusammen mit der Ausatmung beendet haben und auf natürliche Weise wieder zu den Seiten der Beine zurückgekehrt sind, ist ein Zyklus der Atmung des strahlenden Körpers vollendet.

Die Atmung des strahlenden Körpers kann in jeder Übungseinheit ein- bis zwanzigmal ausgeführt werden. Beginne mit drei bis sechs Wiederholungen und erhöhe die Anzahl der Zyklen, so wie es deine Zeit erlaubt und es dir deine Neigung nahelegt. Es kommt immer auf die Qualität der Übung an, es liegt keine Magie in der Anzahl der ausgeführten Zyklen. Mehr ist nicht notwendigerweise besser. Wenn du deinen letzten Zyklus abgeschlossen hast, kehre ansatzlos zu Wuji, in die Standmeditationshaltung zurück. Verweile in Wohlbehagen und Stille.

Vollständige Wirbelsäulenatmung

Für Meditierende kann die Vollständige Wirbelsäulenatmung hilfreich sein für eine umfassende Wachheit, um Spannungen im unteren und mittleren Rücken und in der Schulterblattregion abzubauen, das Qi im Körper zu bewegen, um die inneren Organe zu nähren und gesund zu erhalten, und die Rückenmarksflüssigkeit sanft durch das Rückenmark und zum Gehirn zu pumpen. Lerne die Form der Vollständigen Wirbelsäulenatmung, indem du dir zunächst die grundlegenden Bewegungsmuster aneignest und sie dann zu einem ununterbrochenen Fließen von Bewegung und Aufmerksamkeit verwebst.

Beginne in der Standmeditationshaltung. Mit offenen Handflächen, die neben den Hüften nach oben zeigen, entspanne deine Schultern, wobei die Schulterblätter nach unten sinken, und drehe die Hände so, dass die Fingerspitzen nach innen und dann weiter zum Körper und nach hinten zeigen. (Abb. 6) Setze die spiralförmige Drehung der nach oben gewendeten Handflächen fort, bis die Fingerspitzen vom Körper weg und die Handflächen nach außen zeigen. Führe diesen elliptischen Bogen der Arme weiter, bis die Handrücken vor dem Körper zusammenkommen, wie ein Taucher, der kurz davor steht, ins Wasser zu springen. (Abb. 7)

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Abb. 6- 8: Bei der »Vollständigen Wirbelsäulenatmung« drehen die Hände über innen nach hinten und außen und im Bogen nach vorne. Mit dem Einatmen werden die Ellbogen nach hinten gezogen, die Wirbelsäule beugt sich dabei leicht in die entgegengesetzte Richtung.

Der Körper sollte in dieser Haltung sehr entspannt sein. Die Knie sind leicht gebeugt, Hüften und Becken sind entspannt und der untere Rücken dehnt sich aus und wird flach. Die gesamte Wirbelsäule bildet eine leicht C- Form, wie ein Bogen. Wenn sich der Rücken rundet, bewegen sich die Schulterblätter von der Wirbelsäule weg. Das Kinn bewegt sich Richtung Kehle, wodurch der Nackenbereich gedehnt und verlängert wird.

Fühle in diesem Stand die Form der Haltung. Lass jedwede zusätzliche Spannung los, so dass du die Haltung mit minimalem Aufwand stabilisieren kannst – respektiere die Prinzipien der Einfachheit und des Weniger-Tuns. Nach einer vollständigen gleichmäßigen Ausatmung lass aus dieser »C«-Form heraus mit dem Einatmen die Handflächen nach oben drehen, indem sich die Ellbogen gerade nach hinten bis hinter die Rippenbögen bewegen, der Oberkörper bewegt sich dabei in die entgegengesetzte Richtung und formt einen leichten nach vorn ausdehnenden Bogen des Brustkorbs. (Abb. 8)

Spüre, wie sich der Brustkorb und die Herzregion mit der Einatmung entspannen und ausdehnen. Das ist ein ganzer Zyklus der vollständigen Wirbelsäulenatmung. Um mit einem weiteren Zyklus fortzufahren, lass mit der

Ausatmung die Handflächen weiter drehen, so dass sie zunächst vom Körper weg zeigen und die Hände dann wieder vor dem Körper zusammenkommen in der Taucherhaltung. Übe langsam mit gleichmäßiger Ein- und Ausatmung. Du kannst pausieren, aber halte den Atem zwischen den einzelnen Atemzügen nicht an. Übe drei bis zwölf Durchgänge pro Mal. Um die Übung abzuschließen, führe die Hände bei der letzten Ausatmung weiter nach vorn bis knapp unter Schulterhöhe. Die Ausatmung endet mit den Handflächen nach unten. Lass die Arme beim Einatmen schwerelos zu den Seiten sinken und komm übergangslos in die Haltung der Standmeditation zurück. Komm zur Ruhe und atme natürlich weiter.

Um diese Qigong-Übung zu vertiefen und zu verfeinern, richte deine Aufmerksamkeit auf das leuchtende Innere des Rückenmarks, wie es sich von der Spitze des Steißbeins bis zum Gehirn hin ausdehnt. Die sanfte und achtsame pulsierende Bewegung in diesem lebendigen Bereich aktiviert, stärkt und reguliert das Nervensystem und führt zu natürlicher Ruhe und Wachheit.

Beginne bei der Ausatmung und der begleitenden Bewegung zu spüren, wie sich die Rückseite der Wirbelsäule öffnet und ausdehnt, während sich die Vorderseite schließt. Dies ist ein Wirbelsäulenpuls. Spüre entsprechend bei der Einatmung, wie sich die Rückseite der Wirbelsäule schließt, während sich die Vorderseite im Körperinneren ausdehnt.

Zusätzlich zu diesem vorderseitigen und rückseitigen Schwingen des Körpers um die Wirbelsäule gibt es einen weiteren Puls am oberen und am unteren Ende der Wirbelsäule. Dies ist die »C«- Form oder der Bogen, den die Wirbelsäule formt, wenn sich das Steißbein nach unten biegt und sich der Scheitel zusammen mit der Ausatmung ausdehnt und der Körper anschließend mit der Bewegung der Einatmung in das natürliche Gegenteil entspannt.

Mach das nicht schwierig oder mechanisch. Genieße die Art, wie sich dein Körper in diese sehr langsamen, wellenartigen, Gesundheit schenken- den Pulse hinein entspannt. Lass deinen Blick weich werden und ein Gefühl innerlichen Sehens sich öffnen. Sei einfach mit dieser Feinheit.


Qigong-Wirbelsäulendehnung

Die Qigong-Wirbelsäulendehnung ist vielleicht die wirkungsvollste Einzelübung im Qigong für Meditierende. Sie hilft, den Druck auf die Wirbelsäule, der durch langes Sitzen entsteht, abzubauen, und öffnet die Wirbelsäule in der Länge und der Breite für optimale Zirkulation und Qi-Fluss. Diese Übung kann im Stehen oder im Sitzen ausgeführt werden, je nachdem wie flexibel du bist. Die Qigong-Wirbelsäulendehnung stärkt und öffnet die Wirbelsäule und hilft Energieblockaden im Nervensystem zu lösen, was die geistige Klarheit, die Wachheit und die Aufmerksamkeit erhöht, indem die Zirkulation zum Gehirn verbessert wird und Spannungen in Nerven und Muskeln nachlassen.

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Abbildung 9: Zur Ausrichtung und Begradigung der Wirbelsäule werden bei der »Qigong Wirbelsäulendehnung« zunächst die Hände nach hinten gedrückt.

Ausgehend von der Standmeditationshaltung drehe die Handflächen nach hinten, indem du die Ellbogen sanft nach außen, vom Körper weg, rotieren lässt. Diese Bewegung schafft Raum zwischen den Armen und den Rumpfseiten von den Händen bis unter die Achselhöhlen. Drücke die Handflächen fünf bis acht Zentimeter nach hinten, als würdest du gegen eine Wand direkt hinter dir drücken. (Abb. 9)

Lass die Hüften sinken und beuge leicht die Knie. Entspanne die untere Lendenregion und lass sie flach werden und löse alle zusätzliche Anspannung zwischen den Schulterblättern. Löse die Nackenregion und zieh das Kinn leicht Richtung Kehle, während du gleichzeitig den hinteren Scheitel nach oben drückst. Erinnere dich daran, weniger als möglich zu tun, und lass eine organische Ausrichtung deine physischen und energetischen Körper durchdringen.

Wenn die Wirbelsäule in sich ausgerichtet und begradigt ist, bist du bereit loszulassen und die Wirbelsäule nach und nach neu aufzurichten. Mit einer Einatmung und in einer weichen, gleichmäßigen Bewegung wende die Handflächen langsam nach vorne, dann nach außen, bis sie nach oben zeigen. Lass die Hände seitlich des Körpers nach oben steigen; sobald die Bewegung über Kopfhöhe hinausgeht, strecke die Beine, bis die Handflächen zueinander zeigen in senkrechter Ausrichtung mit den Schultern. Werde dir des energetischen Raumes über deinem Kopf bewusst. Die Augen sind geöffnet und der Blick ist weich.

Beginne auszuatmen, während die Hände mit nach unten gerichteten Handflächen vor den linken und den rechten Leitbahnen des Körpers nach unten sinken. Wenn sie diesen Kreislauf beenden, kommen sie wieder auf natürliche Weise an den Seiten zur Ruhe. Während die Hände abwärts sinken, fühle ein inneres Lösen oder Loslassen von Stress und lass dies durch deine Beine nach unten in die Erde fließen.

Mit deiner Aufmerksamkeit in der Wirbelsäule beginne die Wirbel abzutragen: Hebe leicht den Scheitel an, zieh das Kinn nach innen löse dann langsam Wirbel für Wirbel, angefangen mit dem Gelenk zwischen Atlas und Schädel, indem du allmählich den Kopf sinken lässt und dich nach vorne beugst.

Mit längerer Übungspraxis werden deine Aufmerksamkeit und mühelose Konzentration so weit zunehmen, dass du jeden einzelnen Wirbel sich ausdehnen und loslassen fühlst. Entspanne die Arme beim Üben und finde Leichtigkeit in den Gelenken der Schultern, Arme und Hände.

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Abbildung 10: Die vorgebeugte Haltung soll entspannt und bequem sein.

Lass den Atem tun, was immer er tun muss. Wenn du die Schwerkraft die Dehnung erzeugen lässt, respektiere deinen Bewegungsspielraum und erzwinge keine Bewegung. Kein Stress, keine Anstrengung; dränge nicht in oder durch Schmerzen. Vollende das Abtragen der Wirbel in einer bequemen, halbgebeugten Haltung. (Abb. 10)

Richte deine Aufmerksamkeit auf das natürliche Weiten und Öffnen des Wirbelsäulenfeldes anstatt darauf, irgendetwas zu dehnen. Es kommt nicht darauf an, ob du in diesem Prozess ganz oder teilweise vorgebeugt bist. Worauf es ankommt, ist, dass du in und durch deinen Körper fühlst und dessen aufmerksam gewahr bist, was in deiner Erfahrung auftaucht. Die Knie bleiben gebeugt, die Gelenke entspannt. Lass deinen Nacken und deinen Kopf soweit los, wie es für deinen Körper angemessen ist. Du bekommst hier den Nutzen aus der Beugung – verstärkte Blutzufuhr zu Kopf und Gehirn und eine Umkehrung des normalen Drucks auf die inneren Organe und Strukturen.

Nachdem du eine dir angenehme Zeit – zwischen zehn und 60 Sekunden – in der Beugung geruht hast, beginne den Prozess der Neuaufrichtung, indem du mit einem Einatmen leicht den Bauch einziehst. Dies unterstützt den Anfang der Neuaufrichtung vom unteren Ende der Wirbelsäule an nach oben, Wirbel für Wirbel, wobei du dich langsam in eine aufrechte Haltung bewegst. Lass Kopf, Nacken und Schultern während der sanften, langsamen und gleichmäßigen Welle der Aufrichtung entspannt. Halte deine Aufmerksamkeit während der Aufwärtsbewegung im Feld der Wirbelsäule. Wenn Nacken und Kopf wieder aufgerichtet sind, hebe deine Schultern und rolle sie nach hinten. Dann entspanne und lass los in die Standmeditation hinein. Sei dir der Qualität der Energie in diesem Moment bewusst – es besteht keine Notwendigkeit, irgendetwas zu verändern: Sei einfach wach in deinem Körper. Du hast einen Durchgang der Qigong- Wirbelsäulendehnung vollendet. Du kannst bis zu drei Durchgänge hintereinander machen.

Dies ist nur eine kurze Einführung in ein paar der vielen Qigong-Übungen für Meditierende. Diese Übungen können sicher und wirkungsvoll vor, während oder nach jedweder formalen Meditationssitzung ausgeführt werden oder jederzeit als Möglichkeit, das Wohlbefinden zu steigern. Die Übungen bieten einen grundlegenden Zugang zu den Übungsprinzipien des Qigong, die lebenschenkend und lebenerhaltend sind. Geduld und Ausdauer werden die unmittelbaren und anwachsenden Wirkungen des Übens weiter vertiefen. Nimm es leicht, genieße und werde gesund und stark auf deinem Weg. Mögest du erwachen und aufblühen mit Meditation und Qigong!  

Video zum Artikel „ Qigong für Meditierende“

In diesem Video des Taijiquan & Qigong Journals zeigt der Autor Teja Bell die in diesem Artikel beschriebenen Qigong-Übungen. Die Übungen starten ab Minute 0.40. Weitere Videos mit Qigongübungen zum Mitmachen finden sie in unserem Mediabereich. Lesen Sie auch „Tai Chi für einen gesunden Rücken„!

Autor: Teja Bell

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Teja Bell hat mehr als 40 Jahre Erfahrung im Lernen und Unterrichten von energetischen Künsten, Heilungsverfahren und dem Dharma. Er ist Aikido-Lehrer (5. Grad Schwarzgurt) und unterrichtet chinesische innere Kampfkünste und Qigong. Teja Bell ist voll ordinierter Rinzai Zen-Priester.

Der Artikel ist ursprünglich auf Amerikanisch erschienen in »Tricycle. The Buddhist Review« Vol. XX, No. 3, Spring 2011. Die Übersetzung von Almut Schmitz ist im Taijiquan & Qigong Journal, Ausgabe 2/2013 erschienen.

Fotos: Stephen Mohan, Zeichnungen: Mason Holcomb