Regel 10 – Bewege dich immer “gerade weit genug” (passives Schritte setzen)
Die Frage hinter unserem letzten Video der Serie ist: Wie weit soll ich gehen, wenn ich ausweiche? Wie setze ich meine Schritte im Moment eines Angriffs?
Im Video sehen wir zunächst drei Pushes zur Schulter – mit gesteigerter Intensität, und dann drei Pushes zur Hüfte – ebenfalls mit gesteigerter Intensität.
Man kann sehen, dass die Platzierung / Positionierung der Füße – einzig und allein (!) – vom Angriff abhängig ist, also von der Aktion des angreifenden Partners. – Man bewegt sich immer “gerade weit genug”! – Je intensiver der Angriff, desto mehr Bewegung ist nötig, dem Angriff im wahrsten Sinne des Wortes zu “entgehen”, ohne weg zu laufen. Diese Art des passiven Schritte Setzens, bei dem die Schritte von den Aktionen des Partners abhängen, ist typisch für Tai Chi. Das dahinter stehende Prinzip nennt sich “Neutralisieren” oder “Nachgeben”.
Passives Schritte Setzen – warum?
Passives Schritte Setzen scheint auf den ersten Blick kontraintuitiv: Warum sollte ich jede Idee des Ausrichten meiner Schritte – und damit jeden eigenen Handlungszweck – aufgeben angesichts eines solch akuten Angriffs?
Die letzten zwei Pushes zur Schulter und zur Hüfte geben einen Hinweis. – Du gibst deinen eigenen Impuls auf, weil über die ganze Strecke des Angriffs nachzugeben bedeutet, dass dein Partner (oder Gegner) keinerlei Ansatzpunkt (Widerstand) finden wird, an dem sich seine Kraft entfaltet. Das passive Setzen der Schritte – das Nachgeben bis zum Ende hin – leitet den Anderen ins Leere. Was heißt das? Dein Gegenüber wird den ganzen Weg über pushen, manchmal sogar länger als ursprünglich beabsichtigt, da sie sicher ist, “am Ende etwas zu kriegen”. Sie wird dabei ihren gesamten Bewegungsspielraum ausschöpfen und wahrscheinlich am Ende sogar die korrekte Körperstruktur verlieren. An diesem Punkt wird es dann einfach, dein Gegenüber in eine andere Richtung zu pushen / zu ziehen / zu bewegen (du “startest als zweiter und kommst als Erster an”).
Video passives Schritte setzen
Was ist KEIN passives (leeres) Schritte Setzen?
Passives Schritte Setzen ist NICHT, ein bißchen in die Richtung deines Partners mitzugehen UM DANN eine andere Aktion zu starten. Dein Partner wird den Braten riechen und den Angriff zu früh abbrechen – sogar in einer festgelegten Übung wie dieser. – Um deinen Partner zu ködern, dein ganzen Weg zu gehen, musst du den Gedanken “jetzt gehe ich mit UND DANN” aufgeben (intentionsloses Bewegen / Bewegen ohne yi).
👍🏼 Tipp: Sich daran zu gewöhnen, herumgeschubst zu werden, ist der Schlüssel zu dieser Fertigkeit!
Dies ist nicht leicht zu üben, da unsere natürliche Angst und Vorsicht, und manchmal auch unsere Egos (wer mag es schon, wieder und wieder herumgeschubst zu werden?) dazu neigen, unserem Fortschritt im Wege zu stehen.
👉🏼 Übt immer auf eine sichere Art und Weise! Besprich mit deinem Partner die Intensität, die dir angenehm ist und fangt hier an, um dann langsam darauf aufzubauen. – Bedenkt dabei: Wir trainieren diese Übung, um unsere Komfortzone zu erweitern. Deshalb muss jede Zunahme an Intensität graduell und mit unserem Einverständnis geschehen.
👀 Ohne diese grundlegende Kommunikation wird die Übung darin enden, dass wir uns gegenseitig zeigen, wie weit wir gehen können. Das einzige, dass mit einer solchen Art des Übens erreicht wird, ist, deinen Partner darin zu trainieren, ein gutes Opfer deiner Aggression zu sein – und andersrum natürlich auch. Es zu lernen, das eigene, unabhängige Vorgehen aufzugeben – also passiv zu sein im engeren Sinne – während die Hand einer anderen Person deinen Körper berührt, setzt zuallererst Vertrauen in deinen Partner voraus. Ohne dieses wird die Übung nichts als ein langer – und fruchtloser – Kampf sein.
Viel Spaß beim Anpassen eurer Tai Chi Schritte!
Autorin: Gabi Kannenberg
Fotos: Nils Klug
Englische Version
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